Lindenfels. Olena Selinska hat einen langen Weg hinter sich. Aus der Hafenstadt Odessa ist die Mutter mit ihren sechs Kindern von dem russischen Angriff auf die Ukraine nach Deutschland geflohen. Zeitweise war sie im Zeltdorf im Bensheimer Festplatz untergebracht, bevor sie in die neue Unterkunft kam, die der Kreis Bergstraße Ende Juni im ehemaligen Lindenfelser Luisenkrankenhaus eröffnete. Sie ist froh, jetzt in der Burgstadt zu sein. „Lindenfels ist ein wunderschöner Platz mit viel Natur“, sagt Selinska auf Ukrainisch. Julia Shablij, ebenfalls Geflüchtete aus der Ukraine, übersetzt ins Deutsche. Shablij arbeitet für den Verein Kubus, der in der Luise ein Sozialbüro für die Ukrainer eingerichtet hat – eine Anlaufstelle für alle Sorgen und Nöte, vor allem aber für pädagogische Beratung.
40 Neuankömmlinge erwartet
Die Unterkunft in den Klinikzimmern sei für sie und ihre Kinder viel besser als jene im Bensheimer Zeltdorf, sagt Selinska. Schwierig sei nur, dass die Schulen nicht so gut zu erreichen sind wie in der größeren Stadt an der Bergstraße. Unabhängig davon ist Selinska allen dankbar, die ihr in Bensheim und Lindenfels geholfen haben. „Die Aufnahme so vieler Flüchtlinge ist teuer und bedeutet viel Arbeit. Dafür danke ich allen“, übersetzt Shablij für sie.
Nach Angaben des Kreises Bergstraße wohnen bisher 188 ukrainische Flüchtlinge im Luisenkrankenhaus. Es sind hauptsächlich ältere Menschen und Mütter mit Kindern, wie Kubus-Geschäftsführer Jochen Ruoff erläutert. Menschen aus anderen Staaten, die sich zum Zeitpunkt des Einmarschs in der Ukraine aufhielten und dann von dort nach Deutschland flohen, seien nicht dabei. Für heute plant der Kreis die Ankunft von 40 weiteren Flüchtlingen in Lindenfels.
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„Aus unserer Sicht läuft es gut“, blickt Ruoff auf den ersten Monat nach der Eröffnung der Unterkunft zurück. Die neuen Bewohner hätten sich schnell eingelebt. Kubus übernimmt die sozialpädagogische Begleitung, das Deutsche Rote Kreuz sorgt für die Betreuung des Hauses. Die DRK-Helfer kennen die Flüchtlinge zum Teil schon seit deren Zeit im Bensheimer Zeltdorf – ein Vorteil bei der Eingewöhnung.
An der einen oder anderen Stelle hakt es mitunter trotzdem. Behördengänge gestalten sich mitunter als schwierig. Ruoff schildert einen Fall, bei dem eine Person aus der Unterkunft ärztliche Behandlung benötigte. Da der Patient noch keine Gesundheitskarte hatte, seien längere Telefonate zwischen dem Jobcenter des Kreises und der Krankenkasse nötig gewesen. „Das hat sich den ganzen Tag hingezogen“, sagt der Kubus-Geschäftsführer. Aus früheren Jahren weiß er, dass schon so mancher ehrenamtliche Flüchtlingshelfer wegen solcher Hürden kapituliert hat.
Ein weiteres Problem: Nicht alle schulpflichtigen Kinder wurden schon in den umliegenden Bildungshäusern untergebracht. Er wolle darauf hinarbeiten, dass das bis zum Ende der Sommerferien gelöst ist, kündigt Ruoff an. Zumindest die Betreuung der kleineren Kinder ist derzeit keine Baustelle, die organisieren die Krankenhausbewohner selbst. Andernfalls gäbe es auch Schwierigkeiten: Die Kindergärten in Lindenfels sind überfüllt.
Der Verein Kubus will nun mit Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern aus der Burgstadt die Betreuung der Flüchtlinge ausbauen. Es kämen fast täglich Menschen, die ihre Hilfe anbieten, sagt Betreuerin Shablij. Sie hätten sich als Übersetzer, als Fahrer oder Kinderbetreuer angeboten. Das hat Vorteile: Shablij und eine Kollegin teilen sich 50 Wochenstunden. Und es gibt viele Behördengänge zu erledigen, bei denen die Ukrainer Sprachmittler gut gebrauchen können. Auch Kleiderspenden habe es viel gegeben. Der Bedarf an Textilien ist allerdings überschaubar. Geldspenden seien immer noch am sinnvollsten, sagt Ruoff – etwa um Ausflugsfahrten für die Kinder zu finanzieren.
Akzeptanz in der Bevölkerung
Große Ressentiments gebe es aus der Lindenfelser Bevölkerung nicht. Vereinzelt habe es negative Kommentare auf Facebook gegeben. „Da ging es aber auch um die Zukunft des Krankenhaus-Gebäudes“, lautet Ruoffs Einschätzung. Vielen Odenwäldern hängt die Schließung der Luise nach. Mit der Einrichtung der Flüchtlingsunterkunft sieht mancher auch die letzten Hoffnungen auf eine Reaktivierung der Klinik begraben.
Ansonsten verhielten sich die Lindenfelser eher neutral, ist Ruoffs Eindruck. Sie fielen den Neuankömmlingen nicht um den Hals, schlügen ihnen aber auch nicht die Tür vor der Nase zu. Ruoff selbst sieht die Ukrainer als „Bereicherung“ für Lindenfels.
Für ein wenig Unmut hat in den ersten Woche gesorgt, dass die Feuerwehr gleich mehrfach wegen Feueralarmen zur Luise fahren musste. Eine Ursache sei die Brandmeldeanlage in der Küche gewesen, in der mehreren Herde und Öfen aufgereiht sind, erläutert Ruoff dazu. Die Probleme seien mittlerweile behoben. Tatsächlich hat die Feuerwehr seit dem 13. Juli keinen derartigen Einsatz mehr am alten Luisenkrankenhaus gemeldet.
Schon vor der Eröffnung der Unterkunft im Krankenhaus lebten etwa 40 Geflüchtete aus der Ukraine in Lindenfels. Sie habe mit einigen von ihnen Kontakt, sagt Selinska. Gerne würde sie selbst mit ihren Kindern in eine Wohnung ziehen, bisher ist sie aber nicht fündig geworden. Auch wenn der Krieg in der Ukraine irgendwann einmal zu Ende sei, würde sie gerne in Deutschland bleiben, betont die sechsfache Mutter auf Nachfrage.
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