Bergstraße. Noch vor einigen Tagen ging man von einer mittleren zweistelligen Zahl aus, doch inzwischen ist klar: Es werden am Ende wohl mindestens 4000 Menschen aus der Ukraine sein, die im Kreis Bergstraße eine Zuflucht suchen. Derzeit sind schon rund 500 aus dem Kriegsgebiet Geflüchtete beim Ausländeramt des Kreises gemeldet – aber, so Landrat Christian Engelhardt am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zum Thema, es dürften erheblich mehr sein, die zum Teil privat bei Bekannten und Verwandten untergekommen sind.
Ein großes Anliegen des Kreises: Es sollten sich wirklich alle beim Einwohnermeldeamt der jeweiligen Stadt und beim Ausländeramt des Kreises registrieren, wo ein entsprechendes Online-Formular hinterlegt ist und Informationen auf Russisch und Ukrainisch zu finden sind. Nur so könnten im Kreis die erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden und nur so könne eine gerechte Verteilung der Geflüchteten auf die Kommunen nach dem Königsteiner Schlüssel (also unter Berücksichtigung von Steueraufkommen und Bevölkerungszahl) gelingen.
Weder die Geflüchteten noch ihre privaten Gastgeber hätten aus dieser Registrierung Nachteile zu befürchten – etwa in Hinblick auf Sozialleistungen. Im Gegenteil: Die Registrierung sei zum Beispiel auch für die Krankenversicherung der Geflüchteten wichtig, erläuterte Engelhard.
Im Gegensatz zu den Jahren 2015/16 kommen die Flüchtlinge heute innerhalb eines wesentlich kürzeren Zeitraums an, weshalb im Kreis die Schaffung von Massenunterkünften als Durchgangslager erforderlich ist.
Der Herausforderung begegnet die Kreisverwaltung mit einer Krisenstruktur, für die der ehemalige und künftige Kreisbeigeordnete Matthias Schimpf (BILD: Neu) als „Ehrenbeamter“ und Leiter einer Taskforce rekrutiert wurde, die sich speziell um die Notunterkünfte kümmert. Parallel ist ein Team unter dem Kreisbeigeordneten Karsten Krug damit befasst, Wohnraum zu akquirieren. Gesichtet werden neben Hotels, Turnhallen oder Gewerbegebäuden auch viele private Wohnungen.
In diesem Zusammenhang richtete die Kreisspitze einen großen Dank an die vielen Bürger, die schon Wohnraum zur Verfügung gestellt haben. Mehr als 400 entsprechende Angebote sind bislang eingegangen, jedoch hofft man noch dringend auf weitere Meldungen.
Wichtig sei, so Krug, dass die Räume, zum Beispiel auch Ferienwohnungen, nicht nur kurzfristig, sondern durchaus für mehrere Wochen zur Verfügung stünden. Gebraucht werden die Unterkünfte zumindest nach derzeitigem Stand eher für Frauen mit Kindern im Teenageralter, weniger mit Kleinkindern. Wer Wohnraum anbieten möchte, kann sich unter der E-Mail-Adresse ukrainehilfe@kreis-bergstrasse.de melden.
Für den Donnerstag wurden Busse aus der Erstaufnahmestation in Gießen mit etwa 150 Personen erwartet, von denen 33 zunächst in der Forstschule Lampertheim unterkommen sollen. Die Forstschule war kürzlich schon prominent im spanischen Fernsehen zu sehen, als ein Bus mit ukrainischen Geflüchteten auf dem Weg nach Santiago de Compostela hier für eine Nacht Unterkunft fand und mit Hilfe von Johannitern und Maltesern versorgt wurde. Doch wird die Forstschule mit Platz für nicht mehr als 50 Personen zwar als derzeit bestmögliche, längerfristig aber nicht geeignete Immobilie angesehen.
Bessere Möglichkeiten bietet da schon das ehemalige Luisenkrankenhaus in Lindenfels. Derzeit verhandelt der Kreis mit dem Eigentümer über einen Mietvertrag, gleichzeitig laufen aber schon Arbeiten zur technischen Ertüchtigung des seit längerem leerstehenden Gebäudes, das unter anderem auch mit Betten und Küchen ausgestattet werden muss.
Eine künftige, ständige Verwendung als Flüchtlingsunterkunft schloss der Landrat aber kategorisch aus: Die Dauer des Mietvertrags wird unmittelbar an die Dauer der Fluchtproblematik in der Ukraine gebunden – die der Landrat vorsichtig „bis maximal Jahresende“ terminierte. In der „Luise“ werden etwa 200, notfalls auch bis zu 250 Menschen unterkommen.
Nach der ersten Zuweisung von Flüchtlingen vom Donnerstag erwartet der Kreis im Wochenrhythmus weitere – und wird nach derzeitigem Stand wohl in zwei Wochen erstmals auf Feldbetten und Notunterkünfte zurückgreifen müssen. In Kontakt stehe der Kreis dabei auch mit regionalen Hilfsorganisationen und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern, hieß es.
Geflüchtete im Schulalter sollen per Intensivklassen ein Unterrichtsangebot bekommen. Der Landrat verwies in dieser Frage auf die Zuständigkeit des Staatlichen Schulamts, das für seine Maßnahmen ebenfalls auf eine vollständige Meldung der Kinder angewiesen sei und zweifellos vor einer großen räumlichen und personellen Herausforderung stehe. Während die Raumfrage etwa durch die Nutzung von Klassenräumen am Nachmittag gelöst werden könne, werde die personelle Besetzung voraussichtlich schwieriger.
Eine weitere wichtige Frage: Wie steht es um den Aufenthaltsstatus der aus der Ukraine Geflüchteten, die nicht ukrainische Staatsbürger sind? Das hängt vom Status der jeweiligen Person in der Ukraine ab. Wer dort einen dauerhaften Aufenthaltstitel hat, genießt hier die gleichen Rechte wie die Ukrainer. Noch nicht rechtssicher geklärt ist jedoch, wie es um diejenigen steht, die nur über eine Duldung oder Ähnliches verfügen.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-grosser-ansturm-von-fluechtlingen-an-der-bergstrasse-ist-in-kurzer-zeit-zu-bewaeltigen-_arid,1926834.html