Lindenfels/Darmstadt. Es ist der siebte Tag im Prozess um den Mord an Jutta Hoffmann, und er neigt sich schon dem Ende zu, als das Opfer im wahrsten Sinne des Wortes ins Blickfeld rückt. Jetzt hat nämlich Rechtsmediziner Dr. Matthias Kettner das Wort, und er zeigt in einer Bildschirmpräsentation Fotos von der Auffindung und Obduktion der Leiche. Am 10. Februar 1988 wurde in einem Waldstück bei Lindenfels gefunden, was von der 16-Jährigen noch übrig war.
Am 29. Juni 1986 verschwand das Mädchen, das auf dem Heimweg vom Schwimmbad war; anderthalb Jahre später entdeckten ein Spaziergänger und sein Hund Teile eines Gerippes, die zwischen Holunderzweigen hervorschauten. Es ist ein abschüssiges Areal, die Polizeifotos von damals zeigen vorjähriges Laub und dazwischen viele, kleine Gegenstände, die mit Nummern gekennzeichnet sind.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
„Die Leiche ist größtenteils mit einer dünnen Erd- und Laubschicht bedeckt“, hat der Gerichtsmediziner von damals notiert und, dass Teile der unteren Extremitäten sichtbar gewesen seien. Die folgenden Aufnahmen wurden bei der Sektion gemacht und zeigen in schmerzhafter Deutlichkeit, was die lange Liegezeit in einem feuchten Stück Erde mit einem Körper macht.
„Fettwachs“ ist das Stichwort, auf das der Mediziner noch eingehen möchte – nicht am gestrigen Tag allerdings, weil der Vorsitzende Richter Volker Wagner alles Weitere auf die heute angesetzte Fortsetzung vertagt.
Man sieht die Reste der Kleidung, die das Mädchen auf seinem letzten Weg getragen hat, und auf den Fotos wirkt die Farbe dunkler als in der Realität. Es ist sehr still in dem Saal unterm Dach des Darmstädter Landgerichts, im Zuschauerraum und bei den Prozessbeteiligten; zwei von Juttas Geschwistern sind als Nebenkläger anwesend. Mancher verlässt den Raum später mit rotgeränderten Augen – diese Eindrücke lassen niemanden kalt. Auch nicht Peter F., der wegen Mordes an der Schülerin angeklagt ist, mal gebannt auf den großen Bildschirm blickt und mal unruhig auf seinem Stuhl hin- und her rutscht.
Frage an den Angeklagten
Nun kommt Kettner auf den Gürtel zu sprechen, der der Toten gehörte. Wurde sie damit gewürgt? Er sei zweimal geschlungen gewesen, die innere Schlinge habe einen Umfang von 32 Zentimetern gehabt, gibt er das Sektionsprotokoll wieder. Das Lederstück und der erste Halswirbel seien „mit Erde verbacken“ gewesen, dazwischen hätten sich Haare befunden. Die Weichteile waren zum größten Teil verschwunden, von Zungenbein und Kehlkopf war nichts mehr erhalten.
Dann geht es weiter mit der Bikinihose, die der Teenager trug; an mehreren Stellen fanden sich Löcher im Kleidungsstück, eines war etwa einen Zentimeter lang mit glatten Rändern, als ob hineingeschnitten wurde. Die inneren Organe waren „ohne pathologische Auffälligkeiten“ und von Fettwachs durchsetzt, ebenso der Genitalbereich; das Becken war „aus dem Zusammenhang gelöst“.
Es war wenig übrig von der Toten, und das Vorhandene war fragil und empfindlich. Genau wie die Überreste ihrer Bekleidung, die Gutachterin Dr. Susanne Michaelis in einem Karton mitbringt. Behutsam hebt sie eine Tüte heraus, wickelt das, was die Fachleute „Asservat“ nennen, mit den Fingerspitzen ihrer behandschuhten Hände aus und legt es vor die Kammer und die Anwälte.
Zum ersten Mal ist nun das, was Jutta zuletzt trug, im Gerichtssaal zu sehen – ein Stück vom Rückenteil, Reste von einer Knopfleiste und Überbleibsel von Ärmeln. „Großflächige Antragungen“ haben die Fachleute darauf gefunden, und Wagner formuliert mehrfach, was es ist: „Blut und nichts als Blut.“
2003, 2008 und 2013 wurden Untersuchungen gemacht, Fetzen wurden bereits 1989 ausgeschnitten und eingefroren. Ob das Blut „Fremd-DNA“ enthielt, ist die Frage, die mangels auswertbarer Ergebnisse aber nicht beantworten kann. Auch nicht, was den Blutfleck auf dem Bikinikörbchen betrifft.
Michaelis’ nächste Aussage lässt aber aufhorchen: „Es gab schwache Hinweise auf das Vorhandensein von Sperma.“ Mit einem Enzymtest, genauer gesagt mit saurer Phosphatase, wurde die Körperflüssigkeit nachgewiesen.
Anderes bleibt unklar. So bedauert Kettner, dass der damals obduzierende Arzt keine Erinnerungen mehr an diesen Fall habe, und Michaelis erklärt, dass an dem Messer des Angeklagten keine DNA-Spuren gewesen seien. Zudem sei versucht worden, genetisches Material eines damals 91-jährigen Zeugen und seines Sohnes zu bekommen; der Aufwand, der dabei betrieben wurde, lässt sich nur erahnen, jedenfalls wurden Gegenstände aus dem Nachlass des 1895 Geborenen auf serologische Spuren durchkämmt. Schließlich wurde das genetische Profil einer unbekannten, männlichen Person ausgewertet, das aber nicht zu den Spuren auf einem Spaten passte, die die Ermittler viele Jahre später zu Peter F. führten.
Angeklagter schweigt weiterhin
Am Vormittag wird noch ein Polizeibeamter vernommen; er war damals Vorgesetzter der beiden verdeckten Ermittler, die die Behörden auf F. ansetzten, nachdem seine DNA mit dem Mord in Verbindung gebracht wurde. Im Oktober 2021 fand der erste Kontakt von „Mirko Hansen“, so der Deckname des Beamten, mit dem Angeklagten statt.
Der Kriminalhauptkommissar gibt zu Protokoll, dass schon mehrere Monate zuvor eine Kontaktaufnahme versucht wurde. Für mehrere Stunden wird nun die Öffentlichkeit ausgeschlossen, jetzt machen „Hansen“ und sein Kollege ihre Aussagen. Ihre Identität werde nicht preisgegeben, hat Wagner zuvor dieses Vorgehen begründet, nicht zuletzt, weil eine Enttarnung sich auch auf die Arbeit und die Familien der beiden auswirken könnte.
Der Verhandlungstag endet schließlich recht abrupt – doch nimmt sich Wagner noch Zeit für eine entscheidende Frage an den Angeklagten, der in seinen Augen jetzt „ein bisschen blass um die Nase“ ist: „Vielleicht wollen Sie sich ja doch noch einlassen?“ Denn bisher hat F. eisern geschwiegen.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lindenfels_artikel,-lindenfels-lindenfels-darmstadt-jutta-hoffmann-mordfall-prozess-_arid,2154412.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lindenfels.html