Musik

Melodien aus dem 17. Jahrhundert auf der denkmalgeschützten Lindenfelser Orgel

Von 
Gisela Grünwald
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Zwar könnte die alte Orgel in der evangelischen Kirche eine Überholung vertragen. Jens Hebenstreit entlockte dem ehrwürdigen Instrument aber auch ohne diese Maßnahme erfüllende Klänge. © Grünwald

Lindenfels. „Ich spiele diese unter Denkmalschutz stehende Orgel gerne“, betonte Organist Jens Hebenstreit. Er kennt das Instrument in der evangelischen Kirche in Lindenfels seit langem und weiß, wie er ihm die höchsten und die tiefsten Töne entlocken kann.

Das Publikum beim Orgelkonzert hörte aber auch, wenn Luft in die einzelnen Pfeifen geblasen wurde. Die Orgel stammt aus dem Jahr 1920. Sie ist also seit über 100 Jahren in der evangelischen Kirche in Lindenfels im Einsatz – sie hat den Zweiten Weltkrieg überstanden.

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Direkt unterm Kirchendach über dem Altar hat sie schon viel Feuchtigkeit abbekommen. In Zeiten, in denen Brennstoffe teuer oder nicht zu bekommen waren, gab es auch nicht genügend Wärme. Jetzt hat sich beim Dekanat Bergstraße ein Orgelbauer gemeldet. Er kennt das alte Tasteninstrument und kann es vielleicht reparieren.

Klänge passten zum Instrument

Hebenstreit kommuniziert auch so bestens mit der Orgel. Für das Konzert hatte er Stücke der Komponisten Vincent Lübeck und Dieterich Buxtehude ausgewählt. Sie gehören zur Norddeutschen Orgelschule und komponierten im 17. Jahrhundert Kantaten und Werke für Orgel und Cembalo.

Die Melodien sind bestens für die alte Orgel geeignet. Ihr Klang erfüllte den ganzen Kirchenraum und die rund 60 Zuhörer waren begeistert. Es gab viel Applaus für Hebenstreit. „Schade, dass hier nicht auch ein Cembalo steht“, sagte eine Besucherin. In Lindenfels schauen die Besucher des Gotteshauses von den Bänken aus auf die Orgel. Ihre Töne erfüllen so den Innenraum der Kirche, die wie ein Tempel, eine Halle, als einziger Raum gebaut ist. Zwischendrin erklärte Jochen Ruoff vom Kirchenvorstand, welcher Komponist gerade gespielt wurde. Denn im 17. Jahrhundert gab es nur „handgemachte Musik“.

In Amsterdam lebte damals der niederländische Komponist Jan Pieterszoon Sweelinck. Auch er gehörte zur Norddeutschen Orgelschule; war als Virtuose und Pädagoge weltweit geschätzt. Für seine Improvisationen auf Orgel und Cembalo war er so bekannt, dass Besucher von weither kamen, um den „Orpheus von Amsterdam“ zu hören. Nach Geschäftsschluss setzten sich die Kaufleute in die Kirche, um ihm zu lauschen. Auch der englische Komponist John Bull war ein Starkomponist der elisabethanischen und jakobinischen Epoche. Zu ihnen zählte auch William Byrd. Sie improvisierten auf Orgel und Cembalo wie heute klassische und Jazzpianisten auf ihren Tasteninstrumenten.

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Jens Hebenstreit hatte noch mehr englische Kompositionen ausgesucht. Mancher hatte das Gefühl, zu Gast am englischen Hof zu sein. Kein Wunder, denn nur Adelige wie die Earls und die Kurfürsten in Deutschland konnten die Musiker bezahlen und ihnen die Möglichkeiten zum Komponieren und Musizieren geben. John Travers war ein Spezialist für „Canzonets“ für zweistimmige Lieder. William Boyce schaffte es, sich in seinen Werken vom Einfluss Georg Friedrich Händels fernzuhalten.

Johann Sebastian Bach komponierte einstimmige und mehrstimmige Lieder für die Orgel. Später wurden es Fugen wie die Toccatta von Bach, die auch viele junge Musiker elektronisch nachgespielt haben. Eine einprägsame Melodie, die mit polyphoner Mehrstimmigkeit beginnt. Zum Abschluss spielte Hebenstreit noch Kompositionen von Josef Gabriel Rheinberger. Der in Vaduz in Lichtenstein geborene Musiker wurde 1877 Nachfolger von Franz Wüllner, dem Hofkapellmeister vom bayerischen König Ludwig II. Damit war er die zentrale Figur in der katholischen Kirchenmusik in Deutschland.

Das Konzert von Hebenstreit begeisterte das Publikum. Kirchenvorstand Ruoff freute sich über die Begeisterung. „Die Kollekte, die wir heute einsammeln, ist für die Musik auf dem evangelischen Kirchentag bestimmt“, sagte er. Musik war schon Reformator dem Martin Luther wichtig. Nicht nur Nonnen und Mönchen sollten demnach singen, sondern alle Gläubigen sollen sich an der Musik erbauen. Auch beim evangelischen Kirchentag wird musiziert und gesungen, überall in Bussen, Zügen und U-Bahnen, wie Ruoff hervorhob.

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