Bürgermeisterwahl

Helge Braun kritisierte die Gesundheitspolitik der Regierung

Der Vorsitzende des Bundeshaushaltsausschusses, Helge Braun, war in Schlierbach zu Gast.

Von 
Nora Strupp
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Auf Einladung des Bürgermeisterkandidaten Rico Schrot (Mitte) war Helge Braun nach Schlierbach ins Restaurant „Zum römischen Kaiser“ gekommen. © CDU Lindenfels

Schlierbach. Millionen Versicherte müssen 2025 erneut mit höheren Beiträgen für die Krankenkasse und die Pflege rechnen, gleichzeitig gerät die Gesundheitsversorgung angesichts sinkender Zahlen an Ärzten und Apotheken immer mehr in Schieflage. Vor allem Lindenfels bekam dies spätestens 2016 zu spüren, als das Luisenkrankenhaus geschlossen wurde. Mit der geplanten Schließung des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) Ende dieses Jahres steht dem Burgstädtchen ein weiterer massiver Einschnitt in Bezug auf die medizinische Betreuung bevor.

Die aktuellen Entwicklungen im Gesundheitswesen beunruhigen nicht nur die Lindenfelser Bürger, sondern auch Helge Braun (CDU). Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag sowie früherer Kanzleramtsminister, der am vergangenen Samstag auf Einladung des Lindenfelser CDU-Bürgermeisterkandidaten Rico Schrot nach Schlierbach ins Gasthaus „Zum römischen Kaiser“ gekommen war, übte deutliche Kritik an der Gesundheitspolitik der aktuellen Ampel-Regierung.

Der Vorsitzende des Bundeshaushaltsausschusses Helge Braun (stehend) referierte in Schlierbach zum Thema „Gesundheitspolitik in schwierigen Zeiten“. © Thomas Zelinger

„Die Reduzierung der Infrastruktur und die Minderfinanzierung macht mir Sorgen. Das Jahr 2038 wird der höchste Belastungszeitraum, denn dann wird der geburtenstärkste Jahrgang 1964 maximal pflegebedürftig. Wir bräuchten eine halbe Million zusätzliche Pflegekräfte, um diese Aufgabe zu erfüllen“, mahnte Braun. Um das zu leisten, müsste man ein Drittel der aktuellen Jugend dazu animieren, in der Pflege zu arbeiten, legte er dar. Aber stattdessen würden die Eltern ihren Kindern davon abraten, den Pflegeberuf zu ergreifen. „Das ist eine riesige Herausforderung. Wie können wir den Beruf wieder attraktiv zu machen?“, fragte Braun.

Braun sieht Finanzierung der Krankenhausreform skeptisch

Der Pflegeberuf bedeute viel körperliche Arbeit und eine hohe Arbeitsbelastung. Um den großen Personalbedarf in der Pflege zu lösen, müsse man auch über die Anwerbung von ausländischem Personal nachdenken. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe damals etwa um mexikanische Pflegefachkräfte geworben.

Auch die Entwicklungen in der gesetzlichen Krankenversicherung betrachtet Braun mit Besorgnis. „Aktuell liegt der durchschnittliche Krankenkassen-Zusatzbeitrag bei 1,7 Prozent. Er wurde schon zweimal erhöht und nächstes Jahr steigt er wieder“, erläuterte er. Generell seien die Sozialversicherungsbeiträge mit 40 Prozent zu hoch. „Dadurch schaffen die Firmen lieber Arbeitsplätze im Ausland“, so Braun. „Man muss die Krankenversorgung stärken – aber ohne die Versicherten dabei zu belasten. Man darf nicht plündernd in die Tasche der Beitragszahler greifen.“

Kritik übte Braun zudem an der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Krankenhausreform. „Die Krankenkassen sagen, dass die Reform die Strukturen noch teurer macht. Der Krankenhaustransformationsfonds soll 50 Milliarden Euro umfassen, von denen die gesetzlichen Krankenkassen 25 Milliarden Euro übernehmen sollen“, erklärte Braun, der dadurch steigende Krankenkassenbeiträge und somit Mehrbelastungen auf die gesetzlich Versicherten zukommen sieht. „Die Umstellung müssen also wieder die Beitragszahler zahlen – ihnen wird Geld weggenommen, um eine staatliche Aufgabe zu finanzieren. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass die Beiträge steigen“, appellierte er.

Sogar der Bundesrechnungshof habe kürzlich die geplante hälftige Finanzierung des Krankenhausstrukturfonds durch die gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kritisiert. Die GKV trage nur die Kosten für die konkrete Behandlung ihrer Versicherten und den Betrieb der Krankenhäuser. Der Bundesrechnungshof fordert nun, dass die Bundesländer die Investitionen in die Krankenhausstrukturen allein tragen.

Gesundheitssystem zwischen Über-, Unter- und Fehlversorgung

Prinzipiell sei das deutsche Gesundheitswesen „sehr, sehr gut“, wie Braun betonte. Allerdings gebe es zum Teil eine Überversorgung (wenn die Patienten zu viel und unnötig lange behandelt werden), zum Teil eine Unterversorgung (vor allem in ländlichen Gebieten) und manchmal sogar eine Fehlversorgung. Vorbild in Bezug auf die Pflege könnten ihm zufolge die Niederlande sein, wo es einen deutlich besseren Pflegeschlüssel gebe als in Deutschland.

Zudem forderte Braun, dass die Corona-Krise aufgearbeitet werden müsse – und zwar mit dem Fokus, ob Deutschland bei der nächsten Pandemie besser vorbereitet sei.

Auch beim Arbeitsmarkt sieht Braun Nachholbedarf. Anfang der 2000er galt Deutschland als reformbedürftig. Dies lag vor allem an einer hohen Arbeitslosenquote und einer stagnierenden Wirtschaft. Um dem entgegenzusteuern, hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im März 2003 im Bundestag seine Pläne zur „Agenda 2010“ vorgestellt. Im Zentrum standen die sogenannten „Hartz-Reformen“ des Arbeitsmarktes. Sozial- und Arbeitslosenhilfe wurden zusammengelegt, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate gekürzt und Jobcenter eingerichtet. Die Arbeitslosenquote ging daraufhin von 11,7 Prozent im Jahr 2005 auf fünf Prozent im Jahr 2019 zurück. „Wir hatten bis zur Corona-Pandemie ein Wirtschaftswachstum. Sowas bräuchten wir jetzt wieder, aber stattdessen macht die Regierung das Gegenteil“, monierte Braun.

Laut dem Haushaltsentwurf 2025 will die Regierung nächstes Jahr elf Prozent, also fünfeinhalb Milliarden Euro, weniger für das Bürgergeld ausgeben als dieses Jahr. Um diese Einsparsumme zu realisieren, müssten aber rein rechnerisch rund 600 000 Leistungsberechtigte vollständig aus dem Bürgergeldbezug ausscheiden.

Rico Schrot regte an, als Stadt einen Kassenarztsitz zu erwerben

Widersprüchlich fand Braun die Absicht von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Flüchtlinge mit dem sogenannten Jobturbo schneller in Beschäftigung vermitteln zu wollen, gleichzeitig sei aber der Vermittlungsvorrang – also die bevorzugte Vermittlung in Erwerbstätigkeit – abgeschafft worden. „Der Vermittlungsvorrang ist wichtig für den Jobturbo“, stellte Braun klar, der trotz allem zuversichtlich gestimmt war: „Wir haben eine Menge Probleme, aber alle sind lösbar.“

Claudia Schmitt, Mitgliederbeauftragte der CDU Lindenfels, plädierte dafür, Überstunden steuerfrei zu bezahlen, um Anreize zu schaffen. Da man in einem Nebenjob 538 Euro monatlich steuerfrei dazuverdienen dürfe, sei dies für viele deutlich attraktiver als Überstunden zu machen.

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Nach dem Vortrag von Helge Braun schloss sich eine Diskussion mit den anwesenden Gästen an. Ein Besucher konnte die Aufregung um den Krankenkassen-Zusatzbeitrag nicht nachvollziehen: „Für einem Beitragszahler mit einem durchschnittlichen Gehalt sind das nur ein paar Euro im Monat. Ist es das nicht wert, um das Gesundheitswesen zu stabilisieren? Für einen Urlaub und Flugreisen gibt man deutlich mehr aus.“

Anschließend wurde die geplante Schließung des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in Lindenfels angesprochen. Der Bürgermeisterkandidat Rico Schrot ließ anklingen, dass es eine Interessentin gebe, die das MVZ möglicherweise übernimmt. Er regte auch an, dass die Stadt Lindenfels einen kassenärztlichen Sitz erwerben könnte.

Thema war darüber hinaus die Miete des MVZ, die laut der Aussage einiger Anwesenden viel zu hoch sei. „Die Investoren haben nichts davon, wenn ihre Immobilie leer steht. Und der aktuell vom Kreis Bergstraße gezahlte Zuschuss zur Miete der MVZ-Räumlichkeiten fällt auch weg, wenn keine Übernahme durch eine neue Arztpraxis gelingt. Man müsste das Gespräch mit den Investoren wegen einer Mietsenkung suchen“, schlug Sebastian Schmitt, Vorsitzender des Stadtverbands CDU Lindenfels, vor.

Redaktion

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