„Erinnern – Gegen das Vergessen“

Das macht der Verein „Erinnern – Gegen das Vergessen“

Viel Wissenswertes über die Recherchen und Aktivitäten des Vereins gibt es auf der Homepage.

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Stephanie Kuntermann
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Christina Ihrig, Jürgen Winkler, Eberhard Bickel und Stephanie Janitschka-Bickel (von links) stellten den Internetauftritt ihres Vereins „Erinnern - Gegen das Vergessen“ vor. © Stephanie Kuntermann

Lindenfels/Rimbach. „Im Bierkeller haben sie damals einen jungen Mann aus Lindenfels aufgehängt und halb totgeschlagen.“ Es ist eine dieser Erzählungen, die man in Rimbach immer wieder hört, wenn es um die Nazizeit geht. Renate Schmitt ist damit aufgewachsen, und auf Nachfragen präzisiert sie, dass SA-Schläger die Täter waren, die ihr Opfer an den Händen aufhängten. Die Örtlichkeit gibt es noch heute, aber die Gaststätte existiert nicht mehr: „Wenn dieses Haus erzählen könnte.“

Man kann ihr lange zuhören; manches wiederholt sich in diesem Interview, an anderen Stellen bricht die Erzählung ab und mündet in ein klagendes „Oh, oh, oh“. Schmitt ist 95 Jahre alt und eine der letzten heute noch lebenden Zeitzeuginnen. Es gibt insgesamt vier Teile des aufgezeichneten Gesprächs, und man findet sie auf der Homepage des Vereins „Erinnern – Gegen das Vergessen“.

Vorträge und Zeitzeugen tragen zur Aufarbeitung bei

Der von der Mörlenbacher Firma Seltmann Webdesign produzierte Internetauftritt wurde im vergangenen Jahr nun ganz offiziell vorgestellt, und zwar im Garten von Stephanie Janitschka-Bickel und Eberhard Bickel. Die Schatzmeisterin und der Vorsitzende bedauern die gleichwohl „widrigen“ Umstände, weil Günther Röpert als derjenige, der viele Beiträge auf die Seite gestellt hat, nicht dabei sein kann. „Er ist der Administrator und derjenige, der viel Recherchearbeit geleistet hat“, erklärt Bickel. Das Interview mit Schmitt haben er, Röpert und noch andere geführt, und es bietet die Gelegenheit, in die Geschichte hineinzuhorchen.

Auch um die Täter geht es immer wieder: Man findet alte Dokumente und eine Zusammenfassung zur Entnazifizierung, außerdem Informationen zu den ehemaligen jüdischen Bewohnern des Orts, sowohl Opfer als auch Überlebende, die laufend aktualisiert werden. Es gibt Wissenswertes zu Synagoge und Friedhof, allgemeine Informationen zum Judentum und ein Beitrittsformular zum Verein. „Es ist ein Aushängeschild für uns, ein Informationsportal und fast wie ein Buch“, sagt Bickel. Wer will, kann auch bei Literaturempfehlungen stöbern und erfahren, welche Veranstaltungen in der nächsten Zeit geplant sind.

Kontakt und Spenden

Die Homepage findet man unter www.juden-in-rimbach.de/home

Kontakt kann man unter info@juden-in-rimbach.de oder per Telefon unter 01511/9299748 aufnehmen.

Der Leitgedanke wird so formuliert: „Damit auch zukünftige Generationen die Vergangenheit kennen und aus ihr lernen können.“

Spenden kann man hier: Volksbank Weschnitztal eG Verein „Erinnern – Gegen das Vergessen“ IBAN: DE18 5096 1592 0000 2192 90

Die Rückmeldungen seien durchweg positiv, freuen sich die Initiatoren, die auch eine Verbesserung des Verhältnisses zur Gemeinde registrieren. „Wir sind anfangs noch auf viele Ressentiments gestoßen“, bemerkt Vizevorsitzende Christina Ihrig. Zunächst hätten viele Nachkommen Angst gehabt, diskreditiert zu werden. Das habe sich geändert, hat auch Jürgen Winkler wahrgenommen, und Bickel sagt: „Eine ehrliche Aufarbeitung tut Rimbach gut.“ Dazu gehören Vorträge, zu denen der Verein Referenten einladen will, oder Kontakte zu Schulen, Kirchen und Nachkommen. Die Gruppe hofft, dass man ihre Homepage auch an den Orten liest, zu denen die Verfolgten damals flohen. Zur Aufarbeitung gehören nicht zuletzt die Zeitzeugen. Wenn Schmitt erzählt, sieht sie das alte Dorf noch vor sich und das „Ross“, das Gasthaus der Familie Geist.

Brüder zwangen ihre Opfer, sich auf einen Eisblock zu setzen

„Die Söhne waren auch eingesperrt“, sagt die 95-Jährige und meint, dass Ludwig und Wilhelm Geist nach 1945 wegen ihrer Beteiligung an der „Kristallnacht“ inhaftiert wurden. Die Brüder waren verantwortlich für einen Teil der Übergriffe, wie gerichtlich festgestellt wurde. Ihre Opfer hießen Jakob Westheimer oder Leo Wetterhahn – er wurde in der Nacht des 9. November aus dem Haus gezerrt und gezwungen, sich auf einen Eisblock zu setzen, was Erfrierungen zweiten Grades zur Folge hatte. Ein Zwischenbericht nennt als weitere Tatbeteiligte Fritz Falter, Wilhelm Ripper, den SS-Mann Georg Trautmann, Michael Schmitt und Peter Sattler, der noch anderes zugab.

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arn/ü
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„Rimbach war ein Hitlernest“, bilanziert die Zeitzeugin bitter und schildert, wie Konfliktlinien durch die Familien liefen: Der „Delp Schorsch“ sei Sozialdemokrat gewesen, sein Sohn dagegen „ein großer Hitler“. Sie war befreundet mit Stella Marx, die von allen nur Hella genannt wurde und die dem Terror gemeinsam mit ihrem Bruder Adolf auf einem Kindertransport entkam. Als junge Frau starb sie in England, doch in Schmitts Schilderungen werden die Kinderspiele von einst wieder lebendig, das gutbürgerliche Heim der Familie – und die Lehrer in SA-Uniform.

Einer von ihnen, Adolf Frisler, demütigte einst die kleine Renate vor der ganzen Klasse, ahndete jede Form des Abweichlertums. Auch wenn manches fragmentarisch bleibt, so beeindruckt an der Erzählung doch, dass der Verein Schmitt reden lässt. „Den alten Menschen bleibt nicht mehr viel Zeit zu erzählen“, erklärt Janitschka-Bickel und hofft, dass sich noch andere vor die Kamera setzen wollen.

Die schlimmen Zeiten von damals werden wieder ganz präsent

Manchmal kommt Schmitt in der Unterhaltung in Fahrt, werden die „schlimmen Zeiten“ von damals wieder ganz präsent, und sie schimpft über den Mob, der eine hilflose Frau mit Brennnesseln schlug, Besitztümer willkürlich zerstörte, und über die Gewinnler, die später die jüdischen Häuser „für e paar Knepp“ erwarben. Sie hat die Schreie der Opfer noch im Ohr, das Klirren der eingeschlagenen Scheiben, sieht die zerstörte Synagoge noch vor sich und schüttelt den Kopf: „Diese Schweine.“ stk

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