Bergstraße. Kurz nach 8 Uhr am Dienstagmorgen war in Rimbach plötzlich nichts mehr so wie zuvor: Ein Mann verschaffte sich mit Gewalt Zutritt zu den Räumlichkeiten der Volksbank Weschnitztal in der Rathausstraße. „Er hat die Tür regelrecht eingetreten“, schildert ein Zeuge die Szene, die einen der größten Polizeieinsätze im Weschnitztal in den vergangenen Jahren auslöste. Zuvor hatte der Mann wohl bereits in der Rathausstraße randaliert und zumindest eine Scheibe eingeschlagen.
Drei Stunden später nahm ein Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei den Mann fest, der bis dahin eine 21-jährige Mitarbeiterin der Bank dort „gegen ihren Willen festgehalten hatte“, wie es Bernd Hochstädter formulierte. Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Südhessen ist spürbar erleichtert, als er gegen 11 Uhr verkünden kann, dass „die Lage beendet“ ist, sich die junge Frau in Obhut der Polizei befindet und von Notfallseelsorgern betreut wird. Auch für die Einsatzkräfte ist das eine Ausnahmesituation. „Eine Geiselnahme hatten wir schon lange nicht mehr“, erklärt Hochstädter.
„Körperlich unversehrt“ sei die Geisel, fügt er an. Die seelischen und psychischen Wunden, die in den drei Stunden entstanden sind, lassen sich nicht abschätzen. Dies gilt für die 21-Jährige, die von dem Täter mit „einem Werkzeug“ – so die Angaben der Polizei – bedroht wurde, und auch für die anderen Mitarbeiter der Volksbank in Rimbach, die Zeugen des Geschehens wurden, das Gebäude aber verlassen konnten. Ebenso wie die Angehörigen der Geisel wurden sie im nahen Rathaus unter anderem von ehrenamtlichen Notfallseelsorgern des Kreises Bergstraße betreut - weit über das Ende der Geiselnahme hinaus.
Die Hintergründe der Tat sind unklar. Fest scheint zu stehen, dass es sich um keinen klassischen Banküberfall gehandelt hat. Auch um eine Beziehungstat scheint es sich nicht gehandelt zu haben. Ein Zeuge schildert gegenüber der Redaktion seinen Eindruck, dass der 36-jährige Geiselnehmer die Räumlichkeit eher zufällig gewählt hatte. Seine Festnahme erfolgte nach Angaben der Polizei nach drei langen Stunden „widerstandslos“ im Innern des Gebäudes.
Verhandlungen wurden durch ein Fenster geführt
Der Bereich um das Bankgebäude war weiträumig abgesperrt worden, wovon auch die viel befahrene B 38 betroffen war. Vor Ort waren etliche Spezialkräfte der Polizei, darunter auch eine Verhandlungsgruppe, die den Dialog mit dem Geiselnehmer führte. Dies geschah offenkundig durch ein Fenster auf der Ecke zwischen der Rathaus- und der Bundesstraße.
Davor hatten die Beamten eine kleine Leiter platziert, aus der Entfernung waren dahinter immer wieder zwei Personen zu erkennen, mutmaßlich der Täter und seine Geisel. Während sich in den Seitenstraßen – vom Bankgebäude aus nicht einsehbar – bewaffnete SEK-Kräfte mit allerhand Gerätschaft auf ihren Einsatz vorbereiteten, liefen ein paar Hundert Meter weiter die Verhandlungen. Gegen 10.30 Uhr mit dem Ergebnis, dass sich alle Polizei- und Rettungskräfte sowie deren Fahrzeuge – die unter anderem auf dem Hof der Martin-Luther-Schule platziert waren – aus dem Sichtfeld des Geiselnehmers zurückziehen mussten.
Festnahme des Verdächtigen und Befreiung der Frau
Zu diesem Zeitpunkt deutete noch nichts auf ein baldiges Ende der Geiselnahme hin. Betroffenheit und Ratlosigkeit herrschte da längst auch unter den Nachbarn und Anliegern, die teilweise ihre Wohn- beziehungsweise Geschäftsräume nicht aufsuchen oder verlassen konnten. Nachbarn und Mitarbeiter der Verwaltung verteilten warme Getränke an die Einsatzkräfte. „Ein Krisentag für die gesamte Gemeinde“, sagt Bürgermeister Holger Schmitt. Ein Tag, der bei etlichen Menschen Spuren hinterlassen wird.
Um 11 Uhr folgte das allgemeine Aufatmen. Wie genau die Festnahme und die Befreiung der jungen Frau abliefen, darüber hüllte sich die Polizei zunächst in Schweigen. „Das Wichtige ist, dass die Lage beendet ist“, so Hochstädter.
Wenige Meter weiter, in der Rathausstraße, ist auch Bürgermeister Schmitt und Volksbank-Direktor Christian Joos die Erleichterung deutlich anzumerken – ebenso wie die Erschütterung über die Ereignisse. Für die Beschäftigten Volksbank Weschnitztal ist es nach den Sprengungen von Geldautomaten in Lindenfels und Fürth das dritte traumatische Ereignis innerhalb eines halben Jahres. Joos weiß, dass jetzt zunächst eine behutsame Aufarbeitung folgen muss. Dabei wolle die Bank begleiten und Angebote machen, aber auch Rücksicht auf den individuellen Umgang von Menschen mit solchen Erlebnissen nehmen.
„Meine Gedanken sind bei dem Opfer, seinen Angehörigen und allen Beteiligten. Ich hoffe, dass sie Wege finden, mit diesem Trauma umzugehen“, sagt Holger Schmitt im Gespräch mit der Redaktion. „Die ganze Gemeinde ist geschockt“, fügt der Bürgermeister an. Er hat aber auch erlebt, dass solche Extremsituationen den Zusammenhalt stärken und viel Hilfsbereitschaft zutage fördern. Beispielhaft nennt er die Mitarbeiter der Verwaltung, die sich im Rathaus von Beginn an um die Augenzeugen und Betroffenen kümmerten.
Schmitt berichtet auch von diversen Anrufern, die ihre Hilfe angeboten hätten. Unter anderem habe die benachbarte Sparkasse Starkenburg ihre Unterstützung zugesichert, falls diese vonseiten der Volksbank benötigt würde. Auch die Feuerwehr und den gemeindlichen Bauhof erwähnt der Bürgermeister, die im Hintergrund - unter anderem bei Absperrmaßnahmen - im Einsatz waren.
Regelrecht „wütend“ macht Schmitt dagegen – auch mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen– ein Video von der Tat, das Augenzeugen ins Internet gestellt haben, wo es am Dienstagmorgen schnell die Runde machte. Auch von Spekulationen um das mögliche Motiv des Täters distanziert er sich. „Ich bin froh, dass die Polizei ihre Arbeit macht“, will er die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten.
Als sich gestern um 11 Uhr die Polizeikräfte nach und nach vom Ort des Geschehens zurückzogen, wurde dies vom Läuten der nahen Kirchenglocken begleitet. Wie zum Zeichen, dass eine Krise beendet ist - die aber noch einige Zeit nachwirken wird. arn/ü
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