Heimatgeschichte

Heimatgeschichte aus dem Weschnitztal: Soldaten mit dem Tod im Gepäck

Ab Ende 1813 grassierte im Weschnitztal das Nervenfieber als Folge der Völkerschlacht von Leipzig

Von 
Eugen Weber
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Weschnitztal. Vor mehr als 200 Jahren – nämlich in der Zeit von November 1813 bis Mai 1814 – brachte das Nervenfieber Tod und Verderben über viele Orte in Deutschland, so auch über die Menschen im Weschnitztal. Das Nervenfieber ist eine heimtückische Krankheit und gehört in die Rubrik Typhus. Eingeschleppt wurde diese hochansteckende Krankheit durch die von der Völkerschlacht bei Leipzig zurückkehrenden Soldaten, die völlig entkräftet, zerlumpt, verletzt und anderweitig krank waren. Die Schlacht dauerte vom 16. bis zum 19. Oktober 1813.

Es waren überwiegend Soldaten, die von dem vernichtend geschlagenen Heer des französischen Kaisers Napoleons übrigblieben. Als die Völkerschlacht bei Leipzig am 19. Oktober 1813 mit verheerenden Verlusten an allen Fronten nach vier Tagen zu Ende war, machten sich die Überlebenden in kleineren und größeren Gruppen auf den Weg in Richtung Heimat.

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Die Kämpfer konnten dabei je nach ihrer körperlichen Verfassung am Tag zwischen 25 und 40 Kilometer zurücklegen. Mit im Gepäck hatten sie dabei unwissentlich eine todbringende Fracht, nämlich das Nervenfieber.

Bevölkerung war verarmt

Die Heimkehrer waren während des Fußmarsches überwiegend auf sich alleine gestellt. Sie mussten sich auf Bauernhöfen das Essen besorgen und haben dort auch in Scheunen, Ställen, in Heu- und Strohlagern übernachtet. Sie trafen aber überall auf eine verarmte Bevölkerung, die selbst kaum noch etwas zum Überleben hatte. Damit nahm die Katastrophe ihren Lauf. Das Nervenfieber sprang auf die Zivilbevölkerung über, die aus medizinischer Sicht ohnehin in keinem guten Zustand war. Hygiene, ärztliche Versorgung oder gar Medikamente gab es nicht einmal annähernd in der Form von heute.

Im Weschnitztal ist die todbringende Epidemie sehr gut nachvollziehbar aus dem Sterbebuch der lutherischen Kirche in Rimbach, das als Zweitschrift beim Staatsarchiv Darmstadt zur Einsichtnahme vorliegt. Nicht in jedem Ort, aber in Rimbach fast ausnahmslos zutreffend, ist im Sterbeeintrag auch die Todesursache vermerkt. So lässt sich nach mehr als 200 Jahren noch gut nachvollziehen, an welchen Krankheiten die Menschen damals gestorben sind.

Das erste Opfer, das am 25. November 1813 dem Nervenfieber sein Leben lassen musste, war die knapp 18 Jahre alte Anna Maria, Tochter des Gerichtsschöffen Johann Nikolaus Reibold in Zotzenbach. Am 9. Dezember folgte das zweite Nervenfieber-Opfer: Anna Maria, Ehefrau des Johann Adam Brecht in Münschbach, di e 50 Jahre alt wurde. Am 21. Dezember 1813 starb Johann Michael Schmidt aus Zotzenbach mit 36 Jahren.

Trügerische Hoffnung

Für die Ortsmitte von Rimbach sind im Jahr 1813 noch keine diesbezüglichen Todesfälle feststellbar. Doch am 12. Januar 1814 verstarb Susanna, Ehefrau des Nagelschmiedemeisters Johann Peter Jakob, als das erste Seuchenopfer in Rimbach im Alter von nur 44 Jahren. Am Tag darauf gab es ein Opfer auf dem Kreiswald. Gleich drei Nervenfieber-Tote gab es in Rimbach am 31. Januar 1814. Am Tag darauf, dem 1. Februar 1814, starben zwei Personen am Nervenfieber.

Als vorläufiger Abschluss starb am 19. April 1814 in Rimbach der Beisasse Johann Adam Heckmann im Alter von 52 Jahren und drei Tage später starb seine Ehefrau Eva Katharina geborene Büchler im gleichen Alter. Insgesamt sind im lutherischen Kirchenbuch von Rimbach für die Zeit von November 1813 bis Ende April 1814 21 Tote verzeichnet, die am Nervenfieber verstorben sind.

Wer im Mai 1814, als keine Todesopfer mehr zu beklagen waren, glaubte, dass die Seuche überwunden ist, wurde nach drei Jahren bitter enttäuscht. Am 5. Juli 1817 verstarb in Zotzenbach am Nervenfieber der Familienvater Johann Michael Trautmann im Alter von 45 Jahren. Sechs weitere Todesfälle folgten 1818 in Rimbach.

Opfer im besten Alter

Dann war wieder Ruhe bis zum 13. Dezember 1826, als in Zotzenbach der Schullehrer Johann Nikolaus Getrost im Alter von 52 Jahren am Nervenfieber sein Leben lassen musste. Von 1830 bis 1840 gab es in Rimbach zwölf Nervenfiebertote, von 1841 bis 1850 16 Tote und zwischen 1851 und 1860 weitere 17 Todesfälle.

Danach ist das Nervenfieber als Todesursache in den Sterbeeinträgen nicht mehr vermerkt. Auffallend bei allen Nervenfiebertoten ist die Tatsache, dass sich die Opfer im besten Lebensalter befanden. Das jüngste Opfer, Anna Katharina Trautmann aus Rimbach, starb am 14. Januar 1833 im Alter von 13 Jahren, während das älteste Opfer mit 58 Jahren verstarb.

Bemerkenswert ist auch, dass Kinder vor der Pubertät sowie Schwangere, stillende Mütter und Personen über 60 Jahre vom Nervenfieber mit Todesfolge verschont blieben. Nicht nachweisen lässt sich aus jener Zeit, wie viel Menschen überhaupt dieser Krankheit befallen wurden.

In Bezug auf das Nervenfieber lässt sich für den Ort Mörlenbach nichts aussagen, weil in den Sterbeeinträgen keine Todesursache angegeben ist. Dass allerdings auch in Mörlenbach ebenso wie in den Nachbarortschaften Birkenau und Fürth das Nervenfieber grassierte, lässt sich aus den Sterbezahlen des Jahres 1814 ableiten, wobei Birkenau noch am glimpflichsten davon kam, wie nachstehende Zahlen vom ersten Vierteljahr 1813 verglichen mit dem ersten Vierteljahr 1814 zeigen:

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Birkenau mit Nieder-Liebersbach, Reisen, Schimbach, Hornbach, Kallstadt und Rohrbach, jedoch ohne Löhrbach: erstes Quartal 1813: zehn Todesfälle, dagegen erstes Quartal 1814: 18 Todesfälle.

Mörlenbach, mit Weiher, Groß- und Klein-Breitenbach, Bettenbach und Nieder-Mumbach, jedoch ohne Bonsweiher, Ober-Mumbach, Geisenbach und Vöckelsbach: erstes Quartal 1813: fünf Todesfälle, erstes Quartal 1814: 21 Todesfälle.

Rimbach, mit Zotzenbach, Münschbach, Unter-Mengelbach, Litzel-Rimbach und Albersbach, jedoch ohne Mitlechtern und Lauten-Weschnitz: erstes Quartal 1813: zehn Todesfälle, erstes Quartal 1814: 49 Todesfälle. Unter der Gesamtzahl der Todesfälle, die für Rimbach gemeldet wurden, befinden sich auch zahlreiche Kinder, die an den Röteln verstorben sind.

Fürth, mit allen damals katholisch geprägten umliegenden Orten: erstes Quartal 1813: zehn Todesfälle, erstes Quartal 1814: 48 Todesfälle.

Im Sterbebuch von Mörlenbach sind aus jener Zeit vier Einträge von Soldaten bemerkenswert, die mit der Rückkehr von der Völkerschlacht bei Leipzig im Zusammenhang stehen dürften: Der erste Eintrag lautet: „Im Jahre Christi eintausendachthundertdreizehn, den sechsundzwanzigsten November abends um fünf Uhr starb, mit den heiligen Sakramenten versehen, der Jakob Schugar, geboren zu Vitschowitz bei Freiberg in Mähren, k.u.k. österreichischer Dragoner bei der Böhmischen Landwehr, der Angabe nach fünfunddreißig Jahre alt, wurde den siebenundzwanzigsten abends um fünf Uhr nach christlich katholischem Gebrauch zur Erde bestattet“.

Ein unbekannter Husar

Der zweite Eintrag lautet: Im Jahre Christi eintausendachthundertdreizehn, den dreißigsten November morgens um acht Uhr starb hier zu Mörlenbach ein auf dem Marsch nach Heidelberg berittener Königlich Württemberger Husar, dessen Namen, Alter und Religion unbekannt, wurde auf Verlangen des transportierenden Militärs am nämlichen Tage nachmittags um ein Uhr zur Erde bestattet. Der dritte Soldateneintrag am 18. Dezember 1813 betrifft einen französischen Soldaten, dessen Namen, Geburtsort, Alter und Religion unbekannt sind.

Beim vierten Soldateneintrag handelt es sich um einen k.u.k. österreichischen Soldaten, dessen Personalien ebenfalls unbekannt sind. Er ist am 18. nachts um 11 Uhr verstorben und wurde am 19. Dezember 1813 um 10 Uhr nach christlichem Brauch begraben. Alle vier Soldaten wurden auf dem Kirchhof zu Mörlenbach beerdigt. Der Kirchhof befand sich damals im direkten Umfeld der katholischen Kirche.

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