Die Besten der Bergstraße

Hansjörg Holzamer: Ungewöhnlicher Meister-Trainer aus Heppenheim

Von 
Eric Horn
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Heppenheim. Hansjörg Holzamer ging als Leichtathletik-Trainer ungewöhnliche Wege. Ein Beispiel:

Florian Schwarthoff kam in den 1980er Jahren als junger, talentierter Weitspringer nach Heppenheim, um sich unter die Fittiche des renommierten Coaches zu begeben. Die Bestweite des damals 16-jährigen Teenagers aus Erlangen lag zu dieser Zeit bei 7,22 Meter. Holzamer, seit dem Olympia-Silber 1972 für seinen Schützling Hans Baumgartner ein Weitsprungtrainer mit Weltruf, sollte den mit 2,01 Meter hochgewachsenen Schwarthoff zu größeren Weiten bringen.

Hansjörg Holzamer

Hansjörg Holzamer stammte aus einer Lehrer- und Schriftstellerfamilie.

Sein Großvater Wilhelm Holzamer (1870-1907) absolvierte seine Lehrerausbildung in Bensheim und unterrichtete zeitweise an einer Heppenheimer Schule.

Wilhelm Holzamer hatte enge Verbindungen zur Jugendstilszene nach Darmstadt, war Schriftsteller und angesehener Literaturkritiker der Frankfurter Zeitung.

Hans Detlev Holzamer, der Vater von Hansjörg Holzamer, wurde 1901 geboren und galt seit 1945 im Krieg vermisst.

Hans Detlev Holzamer war ebenfalls Lehrer in Heppenheim und Dialektschriftsteller. Er veröffentlichte 1942 „Das bunte Buch der Bergstraße“, ein reich illustrierter Reisebegleiter durch die Städte und Orte der Bergstraße.

Hansjörg Holzamer schrieb 1968 das Romanfragment „Jakes Traum: Der Tod des Nichtschwimmers.“ Das Buch behandelt den problematischen Schulalltag eines Jugendlichen.

„Der Flug der Libelle“, ein Kriminal- und Heimatroman von Hansjörg Holzamer mit historischen Bezügen vor allem zum 30-jährigen Krieg, erschien 2005. Am zweiten Teil von „Der Flug der Libelle“ arbeitete Holzamer bis zu seinem Tod.

Hansjörg Holzamer starb im Alter von 80 Jahren überraschend am 28. April 2019 in Heppenheim und wurde in seiner Heimatstadt begraben. eh

Doch der Trainer aus Heppenheim hatte andere Pläne. Er studierte eingehend die Bewegungen des jungen Sportlers und erkannte in ihm einen Hürdenläufer. Seine Erkenntnis behielt Holzamer zunächst für sich. Während Schwarthoff glaubte, weiterhin für den Sprung in die Weitsprunggrube zu üben, waren die Trainingsinhalte längst auf 110-Meter-Hürden umgestellt. Diese Geschichte hat Hansjörg Holzamer einst im Gespräch mit dieser Zeitung bestätigt.

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Das Ergebnis ist bekannt: Holzamer entwickelte eine speziell auf die Körpergröße des Athleten zugeschnittene Hürdentechnik, Schwarthoff holte bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 die Bronzemedaille. Seine schnellste Zeit über diese Strecke erreichte er 1995 in Bremen. Die damals gelaufenen 13,05 Sekunden sind nach wie vor deutscher Rekord.

„Hansjörg hatte einen unglaublichen Blick für Bewegungsabläufe“, erinnert sich Hans Baumgartner an die außergewöhnlichen Fähigkeiten seines Trainers. Ausgestattet mit einem fotografischen Gedächtnis für Bewegungen sei es ihm möglich gewesen, jede Mini-Sequenz eines Weitsprunges von Anlauf und Absprung über Flugphase bis zur Landung zu sezieren – Analysen, die heute mit Unterstützung von Highend-Kameras und speziellen Computerprogrammen vorgenommen werden.

Hansjörg Holzamer wurde am 9. Februar 1939 in Heppenheim geboren. Nach dem Abitur am Starkenburg-Gymnasium 1959 studierte er an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt (Soziologie, Geschichte, Deutsch und Bewegungslehre) und wurde anschließend Lehrer. Als Oberstudienrat unterrichtete er an der Lichtenbergschule in Darmstadt die Fächer Geschichte, Deutsch, Gemeinschaftskunde und Ethik. Zudem war er viele Jahre der für ganz Darmstadt zuständige Vertrauenslehrer. Von 1961 bis 1968 war er Vorsitzender des Stadtjugendringes Heppenheim.

Holzamer war im Alter von 15 Jahren Mitgründer der Leichtathletikabteilung des TV Heppenheim und deren erster Abteilungsleiter. Seine eigenen sportlichen Erfolge, über die er ungern Auskunft erteilte, erzielte er als Mehrkämpfer bei Gau- und Landesmeisterschaften. Insgesamt 65 Jahre engagierte er sich in unterschiedlichen Funktionen innerhalb der Leichtathletikabteilung des TVH.

Über die Grenzen Heppenheims bekannt wurde Hansjörg Holzamer zunächst als Trainer von Hans Baumgartner, der 1967 vom baden-württembergischen Waldshut nach Heppenheim und zum TV übersiedelte. Unter Anleitung von Holzamer gewann Baumgartner (Jahrgang 1949) Titel bei Deutschen sowie Europa-Meisterschaften und mit der persönlichen Bestleistung von 8,18 Meter die Silbermedaille bei der Olympiade 1972 in München. „Hansjörg war ein Visionär und seiner Zeit voraus“, beschreibt Baumgartner die Trainingsmethodik seines Mentors. In den Hochzeiten verbrachten Trainer und Athlet bis zu drei Stunden täglich auf dem Trainingsplatz, dazu kamen an den Wochenenden die Wettkämpfe im In- und Ausland. „Ohne Hansjörg wäre ich heute nicht dort, wo ich bin“, berichtet Baumgartner von einer tiefen Verbindung zu seinem Trainer, die weit über den Sport hinaus ging und bis zu Holzamers Tod im April 2019 fortbestand. Hans Baumgartner hielt die Trauerrede bei Hansjörg Holzamers Beerdigung.

Ein Trainer fürs Leben

Holzamer, ein Liebhaber von Kunst, Musik, Literatur und selbst Schriftsteller, habe seine Leichtathleten dazu animiert, sich weiterzubilden, zu lesen, sich politisch zu interessieren und überdies stets die Bedeutung einer beruflichen Ausbildung unterstrichen. „Er hat uns neue Horizonte eröffnet.“ Holzamer sei nicht nur ein Trainer für Leichtathletik, sondern in gewisser Weise auch ein Trainer fürs Leben gewesen.

Baumgartners eigene berufliche Laufbahn wurde wesentlich von Holzamer beeinflusst. Nach einer handwerklichen Ausbildung absolvierte er auch auf Einwirken seines Trainers hin ein Studium in Darmstadt und betreibt seit vielen Jahren ein eigenes Ingenieurbüro in Mörlenbach.

Als Hans Baumgartner 1967 nach Heppenheim kam, stand er einem akkurat frisierten, Anzug tragenden Hansjörg Holzamer gegenüber. In Erinnerung hat man eher das sympathisch-kauzige Erscheinungsbild des Trainers: längeres Haar, Vollbart, legere Kleidung. Das neue, nonkonforme Lebensgefühl der 68er-Generation habe Auswirkungen auf Holzamers Persönlichkeit und Ansichten gehabt, schildert Baumgartner im Rückblick seinen Eindruck aus jener Zeit. Diese Veränderungen hätten sich in seinem lockeren Äußeren niedergeschlagen. „Ich denke, das war Ausdruck seiner Persönlichkeit.“

Ein Freigeist, kein Diplomat

Baumgartner beschreibt Hansjörg Holzamer als Freigeist, der gnadenlos ehrlich und geradeaus gewesen und keinem Konflikt aus dem Weg gegangen sei. „Ein Diplomat war er nicht.“ Bisweilen wäre etwas mehr Verhandlungsgeschick und Zurückhaltung an der einen oder anderen Stelle hilfreich gewesen. „Damit hätte er in manchmal sicher mehr erreichen können.“

35 internationale Medaillen

Hansjörg, auch „Jake“ genannt, Holzamer gewann mit seinen Sportlern bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympischen Spielen insgesamt 35 internationale Medaillen. Acht Athleten führte er zu Olympischen Spielen. Von 1984 bis 1995 war er Weitsprung-Bundestrainer. Einen besonderen Coup landete er mit der 4x100 Meter-Staffel des TV Heppenheim bei den Deutschen Meisterschaften 1994 in Erfurt. Mit Florian Schwarthoff, dem Zehnkämpfer Thorsten Dauth sowie den Weitspringern Christian Thomas und Alexander Bub schickte er ein Team ohne echten Sprint-Spezialisten ins Rennen – die TVH-Equipe holte den Titel.

Redaktion

Thema : Die Besten der Bergstraße

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  • Heppenheim Hans Richter: Der Mann, dem Heppenheim die Festspiele verdankt

    Nein, besonders gemütlich saß man lange Zeit nicht gerade im „Theater im Hof“. Die Zuschauer nahmen Platz auf langen, harten Holzbänken, vor sich hatten sie nicht minder lange, harte Holztische, darauf ihren Bergsträßer Wein (anfangs vorzugsweise Riesling), und dazu knabberten sie am Laugengebäck. Insgesamt also ein Ambiente, das man eher als „rustikal“ bezeichnen würde – doch genau das sollte es ausdrücklich auch sein. Denn die Idee der Heppenheimer Festspiele orientierte sich am Theater der Shakespeare-Zeit und den damaligen Aufführungsbedingungen in England. Der Mann, der diese Idee hatte und sie an der Bergstraße umsetzte, war selbst ein Schauspieler: Hans Richter. Als er erstmals mit der Bergsträßer Kreisstadt in Berührung kam, hatte er in seinem Metier schon jahrzehntelange Erfahrung und nicht minder langen Erfolg gesammelt. 1967 erstmals in der Stadt {element} Es war im Jahr 1967, als die Dreharbeiten für den Kinofilm „Herrliche Zeiten im Spessart“ Hans Richter zum ersten Mal nach Heppenheim führten. Er lernte bei dieser Gelegenheit den Kurmainzer Amtshof mit seinem mittelalterlichen Ambiente kennen und auf Anhieb schätzen. Vor allem dessen Innenhof hatte es ihm angetan – als ideale Austragungsstätte eines Freiluft-Theaters nach historischem Vorbild. {furtherread} Sieben Jahre sollte es noch dauern, bis aus dieser ersten Begegnung die Heppenheimer Festspiele, das „Theater im Hof“, geworden waren – eine „mutige und riskante Entscheidung“, wie später die Regisseurin Pia Hänggi rückblickend beschrieb. Die erste Festspiel-Premiere am 9. August 1974 fand allerdings an einem anderen Ort in Heppenheim statt: Als Eröffnungsstück wurde auf dem Kirchplatz St. Peter der „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal gegeben, mit dem mächtigen „Dom der Bergstraße“ als Kulisse im Hintergrund. 1974 beginnt eine Erfolgsgeschichte Es war dies der Beginn einer Erfolgsgeschichte, wenn auch viele Einwohner der Sache anfangs wohl eher skeptisch bis unterkühlt gegenüberstanden, was sich aber schnell ändern sollte. In jedem Sommer wurde Heppenheim jetzt für mehrere Wochen zur Festspielstadt. Die Zuschauer kamen bald in Scharen: In der erfolgreichsten Phase der Festspiele waren die Spielzeiten oft schon Monate vorher ausverkauft und erreichten jeweils über 30 000 Besucher. Im Jahr 2010 wurde die Millionenmarke überschritten. Die Stücke – vor allem klassische Lustspiele etwa von Shakespeare oder aus dem Zeitalter der Commedia dell’arte (Molière, Goldoni) – waren selbst inszeniert, wie überhaupt die Festspiele lange Zeit ein reines Familienunternehmen waren. Hans Richter als Gründer und Intendant wählte Programm und Schauspieler aus und besorgte die Regisseure, wenn er nicht selbst Regie führte. Selbst auf der Bühne stand er allerdings nur in wenigen Fällen. Seine Frau Ingeborg richtete die Texte ein, Sohn Thomas übernahm die Rolle des Technikers, Bühnenbildners und Ausstatters. Selbst Kostüme, Programmhefte, Plakate und Kartenverkauf wurden selbst organisiert. Wie eine große Familie Familiär war auch der Umgang aller Mitwirkenden miteinander. Langjährige Festspiel-Akteure und Publikums-Lieblinge wie Walter Renneisen, Ingeborg Rassaerts oder Nikolaus Schilling (der lange Jahre in Kirschhausen lebte) erinnerten sich in späteren Interviews einmütig an die gemütliche Atmosphäre von damals, zu der auch beitrug, dass die Schauspieler bereits für die Proben in Heppenheim wohnten und dadurch Jahr für Jahr auch zu vertrauten Gesichtern im Alltag der Stadt wurden. Und an (damals) prominenten Namen war kein Mangel: So standen Joachim Hansen und Fritz Muliar ebenso bei den Heppenheimer Festspielen auf der Bühne wie Günter Strack, Christine Kaufmann und Anja Kruse, Klaus Wildbolz, Eva Pflug, Peter Bongartz, Marion Kracht und Harald Dietl oder Jörg Pleva und Klaus Wennemann. Zum Erfolg trug sicherlich bei, dass die Heppenheimer Festspiele lange Zeit weit und breit etwas hatten, was man heute ein „Alleinstellungsmerkmal“ nennen würde. Wer (Volks-)Theater in ähnlicher Form anderswo erleben wollte, musste dafür schon in eine Großstadt fahren – und selbst dort war dies keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Auch wirtschaftlich war das Unternehmen ein Familienbetrieb. Die Stadt Heppenheim gab zwar einen festgelegten jährlichen Zuschuss und stellte auch ihren Bauhof für Hand- und Spanndienste zur Verfügung; den Großteil des Risikos aber trugen die Richters selbst. Im Laufe der Zeit wurden die äußeren Bedingungen im „Theater im Hof“ verbessert. Die Tonübertragung von der Bühne wurde verständlicher, Bühne und Zuschauerraum erhielten eine regensichere Überdachung, die Sitzgelegenheiten wurden bequemer. 1992 übernimmt Sohn Thomas 1992 ging die Leitung der Festspiele auf den Richter-Sohn Thoma s über. Nach einer Verärgerung über den damaligen Heppenheimer Bürgermeister Ulrich Obermayr habe Hans Richter die Intendanz von einem auf den anderen Tag niedergelegt, erinnerte sich die Festspiel-Schauspielerin Inge Rassaerts in ihrem Buch „Alles Theater“. Sohn Thomas Richter führte als neuer Intendant zum einen das bewährte Lustspiel-Konzept fort, musste zum anderen aber auch vermehrt auf eine sich wandelnde Konkurrenzsituation reagieren: Die Heppenheimer Festspiele waren mittlerweile kein Unikat mehr, die Zahl ähnlicher oder sonstiger Veranstaltungen im Sommer wuchs auch im Umland. Es bedurfte einer – zunächst behutsamen – Neuorientierung, um auf Dauer wirtschaftlich bestehen zu können. Zum eigentlichen Programm kamen nun vermehrt Gastspiele hinzu, nicht nur aus dem Theater-Sektor, sondern später auch aus den Bereichen Musik und Comedy. Ab 2012 leitet Sabine Richter Wegen seiner schweren Alzheimer-Demenzerkrankung, an der er 2017 auch 69-jährig starb, musste Thomas Richter die Leitung der Festspiele im Jahr 2012 abgeben. Nachfolgerin als Intendantin war bis 2018 seine Frau Sabine. Bei der Programmgestaltung kam es zu einer Kooperation mit den Hamburger Kammerspielen und ihrem Intendanten Axel Schneider: Inszenierungen, die an der Elbe erarbeitet worden waren, wurden für die Heppenheimer Festspiele übernommen. Ab 2018 Festspiele GmbH Die ab 2018 für die Ausrichtung zuständige Festspiele Heppenheim GmbH um Geschäftsführer Stephan Brömme wurde 2020 ein Opfer von Corona: Die gesamte Spielzeit musste ausfallen, die GmbH vorläufige Insolvenz anmelden. Die Spielzeit 2021 ist ebenfalls ausgefallen, zumal in diesem Jahr der Amtshof wegen größerer Sanierungs- und Umbauarbeiten nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine Fortsetzung der Festspiel-Tradition soll es damit ab 2022 im modernisierten Amtshof geben. Wer für das Programm künftig verantwortlich sein wird, will die Stadt Heppenheim im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung ermitteln. Sicher ist bis jetzt nur, dass dann für das „Theater im Hof“ stark verbesserte Aufführungsbedingungen vorzufinden sein werden – und das rechtzeitig vor dem Jahr 2024, wenn es 50 Jahre her sein wird, dass die Geschichte der Heppenheimer Festspiele mit dem „Jedermann“ ihren Anfang nahm.

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  • Einhausen Franz Hartnagel war ein Baumeister des Kreises

    Obwohl er den Chefsessel im Landratsamt nur von 1982 bis 1985 besetzte, gilt Franz Hartnagel als eine der prägenden Bergsträßer Politiker-Persönlichkeiten. Sein späterer Nachfolger als Landrat Matthias Wilkes bezeichnete ihn als „Macher und Kämpfer und als einen der Baumeister des Kreises“. Zuvor als ehren- und hauptamtlicher Erster Kreisbeigeordneter in der Verantwortung wurde Hartnagel nach einem triumphalen Wahlsieg mit einer absoluten Mehrheit seiner CDU im Jahr 1982 Landrat. Chef der Kreisverwaltung blieb er aber nur drei Jahre, dann wählte die neue rot-grüne Koalition im Kreistag den damals schon fast 67-Jährigen ab. Die Zeichen, die Franz Hartnagel mit seiner politischen Arbeit gesetzt hat, haben die Zeit trotz des abrupten Endes an der Kreisspitze überdauert: Das Wasserwerk Riedgruppe Ost, das Kreiskrankenhaus und der Erweiterungsbau des Landratsamtes sind einige der Meilensteine, die er gesetzt hat. Wie wenige andere hat er der Bergsträßer CDU und der Politik im Kreis seinen Stempel aufgedrückt. In den Kreistag zog es ihn bereits 1958 als Abgeordneter. Ab 1960 war er 17 Jahre lang ehrenamtlicher Kreisbeigeordneter, danach bekleidete er den Posten hauptamtlich. Für die Bergsträßer CDU trat Hartnagel sechsmal als Spitzenkandidat bei Kreistagswahlen an. Franz Hartnagel hätte in den 1960er Jahren – nach dem Tod des früheren Bundesaußenministers und damals amtierenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Heinrich von Brentano – auch auf bundespolitischer Bühne aktiv werden können. Doch Hartnagel lehnte dankend ab: „Lieber der Erste im Kreis Bergstraße als einer unter vielen in Bonn“, so die für ihn charakteristische Begründung. Für die Einhäuser „Kaiser Franz“ In Einhausen ist „Kaiser Franz“, wie ihn die Bürgerinnen und Bürger seines Heimatortes liebevoll und ehrfürchtig nannten, ohnehin bis heute eine Ausnahmegestalt. Er ist Ehrenbürgermeister und der einzige Ehrenbürger. Geplant ist, die neu gestalteten Wege links und rechts der Weschnitz östlich der steinernen Brücke in Franz-Hartnagel-Promenade umzubenennen. Dabei begann die berufliche Laufbahn des am 10. Juli 1919 geborenen Einhäusers zunächst einmal relativ normal. Nach seiner Schulzeit machte er eine Lehre bei der Bahn, nach deren Abschluss er sich zum Ingenieur weiterbildete. Bereits im Jahr 1946 startete er jedoch seine kommunalpolitische Karriere als Gemeindevertreter der CDU, wo er sich schon damals einen Namen als fachkundiger Bürger gemacht hat. Im Jahre 1954 wurde er dann in seinem Heimatort zum Verwaltungschef gewählt. Große Aufgaben erwarteten den neuen Bürgermeister. Als erstes engagierte er sich für eine zentrale Wasserversorgung in der Weschnitzgemeinde und ein Kanalsystem, was es bis dahin noch nicht gab. Weiter war auch beim Straßenbau einiges zu tun. Der Ehrenbürger war immer stolz darauf, dass er trotz geringer Mittel die zur Verfügung standen – das Volumen des damaligen Haushalts betrug gerade einmal 100 000 Mark – das alles geschafft hatte. Auch zahlreiche gemeindeeigene Gebäude waren renovierungsbedürftig oder zerstört. So wurde eine neue Schule gebaut, was ebenfalls einige Anstrengungen kostete. Hartnagel sorgte auch dafür, dass ein neues Rathaus gebaut wurde. Als im Jahre 1968 das Wasserwerk Jägersburger Wald entstand, bedeutete dies für die Kommune Mehreinnahmen durch die anfallende Grundsteuer. Das Geld wurde in den Bau des Hallenbads und der Mehrzweckhalle investiert. Bedacht war der damalige Verwaltungschef auch darauf, dass sich die Weschnitzgemeinde weiterentwickelte und sich vergrößerte. So wurden zahlreiche Baugebiete ausgewiesen. In diese Zeit fielen auch der Bau des Kindergartens in der Friedensstraße und der damalige Neubau des evangelischen Kindergartens, bei dem die Gemeinde als Bauherr fungierte. Durch die Zuschüsse zur 1200-Jahrfeier von Einhausen war es der Kommune möglich, das Gebäude, das heute das Bürgerhaus beheimatet, zu kaufen und zu renovieren. Im Laufe der Jahre kam die damals geschaffene Infrastruktur jedoch in die Jahre. Rathaus und Hallenbad wurden saniert und umgebaut, der evangelische Kindergarten wurde in diesem Frühjahr abgerissen. Die Einrichtung wird durch einen vergrößerten Neubau ersetzt. Als nächstes Großprojekt steht die Sanierung und Erweiterung des Bürgerhauses an. Die Eigenständigkeit erhalten Dank Hartnagels Einsatz blieb Einhausen von einer Eingemeindung verschont. In den frühen 1970er Jahren hatte sich Hartnagel erfolgreich für die Eigenständigkeit von Einhausen eingesetzt und mit diplomatischem Geschick die einst getrennten Ortsteile Klein- und Groß-Hausen auch emotional zusammengeführt. Die Jagd war für den Privatmann Franz Hartnagel eine große Leidenschaft. Als Pächter des Jagdbogens Nord engagierte er sich auch für den Naturschutz. Der von ihm geschaffene Wildpark am Wasserwerk Jägersburg ist heute ein beliebtes Ausflugsziel für Familien. Am Herzen lagen ihm stets die örtlichen Vereine, denen er fast allen angehörte und die er über seinen Tod hinaus mit der 1989 zu seinem 70. Geburtstag gegründeten Franz-Hartnagel-Stiftung unterstützt. Anlässlich seines 80. Geburtstages hatte er im Jahr 1999 das Kapital der Stiftung auf eine Million D-Mark aufgestockt. Jeweils an seinem Geburtstag am 10. Juli werden die Spenden an die örtlichen Vereine übergeben. Eine Tradition, die auch nach seinem Tod im Jahr 2010 weitergeführt wurde. Bis zu seinem 100. Geburtstag 2019 war dieser Anlass – wie von ihm selbst festgelegt – auch immer mit einem Fest für die Bevölkerung verbunden. Zu seinem 90. Wiegenfest wurden 9000 Euro ausgezahlt. Hartnagels lokales Engagement lebt unter anderem auch im Caritas-Zentrum St. Vinzenz weiter, für dessen Realisierung er 50 000 Euro zur Verfügung gestellt hatte. Den gleichen Betrag hatte Hartnagel für die Anschaffung einer neuen Orgel in der katholischen Kirche St. Michael gespendet. Am 5. Januar 2010, knapp ein Jahr nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau Katharina, mit der er 66 Jahre verheiratet war, verstarb Franz Hartnagel nach kurzer Krankheit im Alter von 90 Jahren. Zu seiner Beerdigung kamen politische Weggefährten aus dem gesamten Kreisgebiet, etliche Bergsträßer Bürgermeister, Freunde und Verwandte sowie zahlreiche Vertreter aus Einhäuser Vereinen und aus der Bevölkerung. „Hessenweit hat sich Franz Hartnagel über ein halbes Jahrhundert lang als engagiertes CDU-Mitglied und Politiker mit Herz hervorgetan“, sagte der damalige hessische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Ministerpräsident Roland Koch. kel/red

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    Fliegender Wechsel im Amtshof. Noch hängt die Fahne des am Sonntag beendeten Weinmarkts über der großen Bühne, da sind schon die Veranstaltungs- und Lichttechniker für das nächste große Ereignis am Werk. Die gemeinnützige „Theaterlust“-GmbH übernimmt die Regie mit ersten Vorbereitungen für das Bühnenbild, das ab diesem Mittwoch aufgebaut wird. In wenigen Tagen beginnen die Heppenheimer Festspiele: Die Premiere von Carl Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ markiert am 15. Juli nach zweijähriger Corona-Pause den Neubeginn des traditionsreichen, 1974 von Hans Richter begründeten Freiluft-Theaters. {element} Die Schauspielerin und Regisseurin Iris Stromberger hat die Intendanz übernommen, jetzt steht sie zum ersten Mal auf der Bühne, die bis Ende August der Mittelpunkt ihres Theaterlebens sein wird. Ihr Mann Ingo Schöpp-Stromberger, Geschäftsführer und Bühnenbildner der Festspiele, schaut unterdessen auf dem Pflaster nach den Markierungen fürs Podest im hinteren Teil des Hofes. Weil das Gelände abfällt, werden die Sitzplätze erhöht, damit die gute Sicht gewährleistet ist. Neues Mobiliar und neue Polster {furtherread} Und auch in die Bequemlichkeit für die Gäste wird einiges investiert. Die Stadt hat neues Mobiliar angeschafft, vierzig Tische, achtzig Bänke, zusätzlich Stühle, allesamt ausgestattet mit Rückenlehnen. Denn der Festspielbesuch konnte früher zur Strapaze werden, altgediente Theaterfreunde erinnern sich an die harten Biertisch-Garnituren. Auch Andrea Helm, Stiftungsmanagerin der Sparkassenstiftung Starkenburg, hat solche Abende erlebt, „es war doch immer eine Herausforderung“, seufzt sie. Umso erfreuter stellte sie eine Anschaffung vor, die am Dienstag der Stadt von der Stiftung als Dauerleihgabe übergeben wurde: Polster für Bänke und Stühle, maßgeschneidert für das Amtshof-Mobiliar, abwaschbar, wetterfest und mit praktischen Klettbändern zu befestigen. Bei der Auswahl der grauen Farbe hat die Intendantin ein Wörtchen mitgeredet, sieht ja auch sehr schick aus zum Weiß der Bänke, und Iris Stromberger verspricht Tischdecken und Blumen-Deko. Sie will die Menschen aus ihren bequemen Fernsehsesseln wieder ins Live-Theater locken, und dann sollen sie es auch schön haben. „Die Festspiele bekommen einen anderen Charakter“, sagt Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU), und er meint nicht nur den Anblick im Theaterhof, sondern auch die enge und offenkundig sehr gute Zusammenarbeit der Betreibergesellschaft mit der Stadt. Dass die Zuschauer in diesem Sommer unter freiem Himmel sitzen, sei angesichts wieder steigender Corona-Zahlen eine gute Sache. Für die kommenden Jahre, ergänzt Schöpp-Stromberger, solle es aber wieder einen Regenschutz geben. Premiere fast ausverkauft Neben den Polstern, die von der Stadt auch für andere Veranstaltungen genutzt werden können, spendet die Stiftung den Festspielen 20 000 Euro. „Gelebte Kulturförderung“, die sowohl bei der Sparkasse als auch bei deren Stiftung selbstverständlich sei, sagt Helm. Allmählich zieht auch der Vorverkauf an, für die erste Premiere gibt es nur noch vereinzelt Karten, an allen Abenden lohnt es, an der Abendkasse nachzufragen. In den kommenden Tagen wird der Hof sein Gesicht verändern. An der Seite wird sich die Herrmann Gastro Gruppe aus Lampertheim einrichten, die außer Wein der Bergsträßer Winzer eG und Odenwaldquelle-Wasser auch kleine Speisen anbietet. Nicht nur der weiche Sitz, auch die Bewirtung markiert die Abkehr vom sehr rustikalen Charme, der dieses Festival früher auszeichnete. Dann geht es Schlag auf Schlag, die Endproben zum „Fröhlichen Weinberg“ sind schon auf der Amtshof-Bühne angesetzt, und nach dem ersten Wochenende muss rasch umgeräumt werden, damit die bereits fertig einstudierte zweite Produktion „Cash!“ am 22. Juli folgen kann. Die Wartezeit darauf verkürzt von 19. bis 21. Juli an drei Abenden der Schauspieler Walter Renneisen – mit zwei Programmen seines Dauerbrenners „Deutschland, deine Hessen“, dazwischen moderiert er mit eigenen Erinnerungen den Abend „Als der Jazz in Deutschland laufen lernte“, zu dem Sigi’s Jazz Men musizieren. Dann wird im Wochenturnus zwischen rheinhessischem Volksstück und britischer Farce gewechselt. In beiden Komödien hat Iris Stromberger als Regisseurin ihren Ensembles nicht nur Präzision, sondern auch Tempo verordnet. Den „Weinberg“ will sie in rekordverdächtigen neunzig Minuten plus Pause auf die Bühne bringen. Die Regisseurin verspricht: „Wir sind flott unterwegs.“ job/ü

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    In rund sechs Wochen – am 15. Juli zunächst mit Zuckmayers „fröhlichem Weinberg“ und ab 22. Juli mit „Cash“ – hebt sich nach zwei Jahren Corona-Pause wieder der Vorhang in Heppenheim.

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