Lindenfels. „Wenn der Patient im Gespräch mit mir vergisst, was ihm weh tut, dann habe ich alles richtig gemacht“, sagte die seit Anfang des Jahres selbstständig in Lindenfels praktizierende Ärztin Susan Winkler. Im Gespräch mit der SPD-Landtagsabgeordneten Josefine Koebe wurde deutlich, dass der Arztberuf für sie Berufung ist und nicht nur ein Beruf. „Ich bin nie wegen des Geldes arbeiten gegangen“, betonte Winkler.
Mit viel Bürokratie und Versicherungen konfrontiert
Susan Winkler will den Menschen helfen. Das bekam auch Koebe zu spüren, die samt Bürgermeister Maximilian Klöss, SPD-Ortsvorsitzendem Ingo Thaidigsmann, Koebes Mitarbeiterin Kristina Höly und dem Praktikanten Leo Gebauer eine halbe Stunde auf den Beginn des Gesprächs warten musste, weil Winkler noch Patienten behandelte. Als die Besucher aber an der Reihe waren, galt ihnen die ungeteilte Aufmerksamkeit der Ärztin bei Kaffee und süßen Teilchen im eigens vorbereiteten Aufenthaltsraum. Ihr Stethoskop hatte sie auch dabei stets griffbereit.
Zu Beginn dieses Jahres wagte die Internistin den sprichwörtlichen Sprung ins kalte Wasser der Selbstständigkeit. Von Beginn an habe sie die „ganz furchtbare Bürokratie“ in Deutschland kennengelernt. Die Kassenärztliche Vereinigung genehmigte erst Anfang Dezember 2024 ihren Arztsitz, obwohl die Schließung des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) des Kreiskrankenhauses im Burgstädtchen zum 31. Dezember bereits Ende August bekannt gegeben worden war. Wenige Wochen später ging Winkler mit ihrem Team an den Start. „Da ist uns allen ein riesen Stein vom Herzen gefallen“, kommentierte Bürgermeister Klöss.
Die Ärztin betont, dass sie den Schritt nicht bereue, denn sie sei „von ganzem Herzen Ärztin“. Sie sagte aber mit Blick auf die vielen Formalitäten auch: „Ich würde es kein zweites Mal machen.“ Mit der Vielzahl von Versicherungen, die sie nun abschließen musste, sei sie in ihren 14 Jahren als Klinikärztin nicht konfrontiert worden. Auch die Rolle als Arbeitgeberin war neu für sie. Geschafft habe sie den Neustart dank der Unterstützung ihrer gesamtenFamilie. Dazu gehören Ehemann Mohammad Zubair sowie drei Töchter und drei Söhne im Alter von zwei bis 20 Jahren.
Der Ehemann ist neben den beiden Arzthelferinnen Daniela Heßmer und Sonja Schepula sowie einer Reinigungskraft ihr vierter Angestellter. Er kümmert sich um alle technischen Belange im Klinikablauf. Eine von künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerte Telefonanlage habe er bereits eingeführt, an den Voraussetzungen für den Einsatz von Telemedizin arbeite er gerade – neben seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der islamischen Hilfsorganisation Humanity First Deutschland.
Elektronische Patientenakte ist laut Winkler zu intransparent
Winkler bedauert, dass die Einführung der elektronischen Patientenakte schleppend und für viele Beteiligte intransparent laufe. Sie schätze, dass „höchstens fünf Prozent“ ihrer Patienten überhaupt wisse, wie diese funktioniert.
Sie wünsche sich, dass den Hausärzten mehr Entscheidungsspielräume gelassen werden, antwortete sie auf die entsprechende Frage der Besucherin aus dem Landtag. „Wir Hausärzte könnten noch viel mehr tun“, sagt sie und führt als Beispiel eine Ohrspülung an. Diese dürfe nur von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt durchgeführt werden, obwohl jeder Hausarzt dazu in der Lage wäre.
Susan Winkler stammt aus Cottbus, studierte in Lübeck, arbeitete am Klinikum Wiesbaden und legte an der Universität Mainz ihr Staatsexamen ab. Sie bezeichnet sich als tief gläubig und konvertierte 2008 zum Islam. 14 Jahre war sie Ärztin in der Kreisklinik Groß-Umstadt, bevor sie 2022 in das MVZ nach Lindenfels wechselte. Dort erhielt sie im Herbst 2024 die betriebsbedingte Kündigung, obwohl sie erst im Juni einen unbefristeten Arbeitsvertrag unterschrieben hatte.
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