Lindenfels. Viele Gäste, die die Eröffnung der neuen Sonderausstellung „Wilhelm Baur“ im Lindenfelser Drachenmuseum besuchten, waren neugierig, wer einst im Haus Baureneck, dem Anwesen Baur de Betaz, gewohnt hat. Heute befindet sich dort das Standesamt mit Trauzimmer, ausgestattet mit den Möbeln der Familie Baur de Betaz. Alle stammen aus der Zeit zwischen dem 18.und 19. Jahrhundert. Bis 1874 wurde das Anwesen als evangelisches Pfarrhaus genutzt. Wer vor der evangelischen Kirche steht und zum Haus Baureneck schaut, sieht dort noch die Verbindungstreppe. Es war der Wohnsitz der Familien Baur und Baur de Betaz.
Sie setzten sich für die sozialen Belange des Städtchens ein. Sie gründeten und unterhielten den evangelischen Kindergarten und die „Kleinkinderschule“ (heute ist dort der Jugendtreff) im Haus der Vereine in der Wilhelm-Baur-Straße. Direkt daneben befand sich die Schwesternstation Bethesda, in der bis in die 90er-Jahre bis zum Verkauf des Hauses eine Diakonisse als Gemeindeschwester arbeitete. Die Familien gründeten das Armenhaus (Altenheim) Salem.
All das vererbten sie der Stadt Lindenfels nach dem Tod des letzten Nachfahren. Als Dankeschön und Anerkennung verlieh die Stadt die Ehrenbürgerrechte an Wilhelm Baur (Hof- und Domprediger in Berlin und Generalsuperintendent der Provinzialkirche der Rheinprovinz) sowie an seinen Sohn Gustav BaurdeBetaz (königlich-preußischer Oberstleutnant und Schlosshauptmann auf Schloss Schönberg).
Vom Theologiestudenten zum Generalsuperintendenten
Wilhelm Baur (geboren am 16. März 1826 in Lindenfels, gestorben am 18.April 1897 in Koblenz) wollte seinen Ruhestand in Lindenfels genießen. Er war als Sohn des Oberförsters Ludwig Baur in der heutigen Wilhelm-Baur-Straße 17 aufgewachsen. Das Haus befindet sich zwischen den Stadttoren und war von 1817 bis 1834 Sitz des Oberförsters. Dort verbrachte der spätere Ehrenbürger der Stadt seine Kinder- und Jugendzeit, bevor er Theologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studierte.
Der spätere Hofprediger machte sich auch einen Namen als Volksschriftsteller. Einer seiner Brüder ging in die Politik. Zwei studierten ebenfalls Theologie. Wilhelm Baur besuchte das Gymnasium in Darmstadt und hielt viel Freundschaft „als das beste Mittel zur Veredelung des Gemüts“, nebenher schrieb er Gedichte.
Er besuchte das Predigerseminar in Friedberg, wurde 1852 Vikar in Arheilgen und 1853 in Bischofsheim. Die erste Pfarrstelle trat er 1855 in Ettingshausen in Mittelhessen an, bevor er 1862 ins benachbarte Ruppertsburg wechselte. Drei Jahre später berief ihn Johann Hinrich Wichern als Pastor an die St-Anschar-Kapelle in Hamburg und zum Direktor der dortigen Stadtmission. 1872 wurde er vierter Hof- und Domprediger in Berlin, zehn Jahre später stieg er auf zum zweiten Hof- und Domprediger. 1883 wurde er zum Generalsuperintendenten der altpreußischen Provinzialkirche der Rheinprovinz mit Sitz in Koblenz berufen. 1874 kaufte Baur das ehemalige Pfarrhaus (Haus Baureneck) in Lindenfels als Rückzugsort.
Im Jahr 1855 heiratete Wilhelm Baur die Hofdame Meta de Bétaz (1828-1909). Meta de Bétaz stammte aus Lausanne in der Schweiz. Ein Foto zeigt die Gedenksteine für das Ehepaar im Schenkenberg. Das Ehepaar hatte zwei Söhne, darunter Gustav Baur (geboren 1875).
Wilhelm Baur erhielt 1877 die Ehrendoktorwürde der Universität Berlin, der heutigen Humboldt-Universität. Die Verleihungsurkunde ist nun im Rahmen der Sonderausstellung zu Wilhelm Baur im Deutschen Drachenmuseum im Haus Bauren-eck in Lindenfels zu sehen – zusammen mit kürzlich erworbenen Briefen sowie Schriften, Dokumenten und Fotos des ersten Ehrenbürgers der Stadt Lindenfels.
Loch in den Boden einer Truhe gebohrt, um Inhalt zu inspizieren
An der Wand, an der die Verleihungsurkunde hängt, befinden sich noch weitere Fotos und Gemälde aus vergangenen Tagen. Ein Gemälde zeigt ein Porträt des Hofpredigers. Der Raum ist ebenfalls mit den Möbeln der Familie ausgestattet.
„Wir besitzen schon seit Jahren eine Truhe aus dem Nachlass, zu der wir keinen Schlüssel haben“, so Matthias Roth. Der Leiter des Lindenfelser Museums in der Zehntscheuer lächelt, als er den Gästen bei der Eröffnung der Sonderausstellung erzählte, wie sie ein Loch in den Boden der Truhe geschnitten haben: „Zum Vorschein kam kein Goldschatz, aber das Silberbesteck der Familie Baur de Betaz.“ In einer Vitrine in einer Ecke des Drachenmuseums stehen ein silbernes Kännchen und eine abschließbare, silberne Dose für Süßigkeiten – damals war Zucker kostbar und teuer.
Hausbibel, Manuskript und ein Brief an die Mutter ausgestellt
Matthias Roth will die Geschichte der Stadt Lindenfels genau dokumentieren. Der Anruf eines Archivars führte ihn nach München zu den Briefen, die der Hofprediger an die Familienmitglieder in Lindenfels schrieb. Über den Briefen an der Wand im Drachenmuseum hängt die Ehrenbürgerurkunde der Stadt, die Wilhelm Baur am 16. März 1896 verliehen wurde, mit den Unterschriften vom damaligen Bürgermeister Schnellbächer, den Beigeordneten und dem Stadtvorstand.
Ebenso findet sich eine Hausbibel der Familie Baur de Betaz von 1864 mit einer Widmung von Maximilian Graf von Lüttichau, Kammerherr der Königin Elisabeth von Preußen. In der Bibel sind Bildnisse von Elisabeth Ludovika, Prinzessin von Bayern und Königin von Preußen, sowie von Wilhelm IV., König von Preußen.
Daneben ist die Genehmigung eines Urlaubs für den Hof- und Domprediger durch Kaiser Wilhelm I zu sehen. Außerdem ein Dankesschreiben vom 21. Oktober 1892. Es stammt vom damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, später Kaiser Friedrich III. Daneben ist ein Dankesschreiben aus dem Jahr 1884 von Kaiser Wilhelm I. für Wilhelm Baur ausgestellt. In der Vitrine befindet sich auch das Buch „Neue Christo-terpe“ (Christenfreude). Dabei handelt es sich um ein Jahrbuch, das der Hofprediger mit Rudolf Kögel und Emil Frommel herausgegeben hat. In der Vitrine liegt die Ausgabe von 1898 mit dem letzten Beitrag von Hofprediger Wilhelm Baur und ein Nachruf. Er starb 1897 in Koblenz, ist aber in Lindenfels beerdigt worden.
Ein Foto zeigt außerdem Gustav Christian Wilhelm Otto Baur de Betaz mit Familie. An einer Wand hängt ein Foto von Wilhelm Baur mit der Bibel in der Hand. Darunter ein Brief an seinen Freund Max Rieger in Darmstadt von 1847. Er schreibt, er kommt am Tag vor Neujahr nach Darmstadt. „Den Sylvesterabend hab‘ ich Luft, auf den Ball zu gehen.“ Im Brief an eine namentlich nicht genannte Prinzessin bittet er die Königliche Hoheit um Bilder ihrer Mutter. Wilhelm Baur erforschte die religiöse Erweckung in den Deutschen Befreiungskriegen. Den Brief schrieb er am 28.11.1863 als Pfarrer von Ruppertsburg. Einen Monat später dankte er der Prinzessin für die Bilder und das Tagebuch ihrer Mutter.
Spannend ist das Manuskript des Hofpredigers über die „Aufnahme-Bedingung für die Schwestern des Magdalenenstifts bei Berlin“. Die zehn Bedingungen verfasste er auch im Namen der Baronin von Romberg und Anna von Koschhall.
Berührend ist der Brief von Wilhelm Baur aus dem Jahr 1873 an seine Mama: „Liebe Mama! Zu Deinem Geburtstag bring‘ ich Dir kindliche Segenswünsche! Der treue und barmherzige Gott, der Dich 73 Jahre lang wie auf Adlersflügeln getragen, sei Dir Sonne und Schild im Alter. Sonne, Deinen Lebensabend freundlich auszuleuchten, Schild, die Sorgen und Schmerzen von Dir abzuwehren!“
Im Brief 1887 an eine namentlich nicht genannte Prinzessin bedankte er sich für die ihm huldvoll übersandten neuen Auszüge aus den Tagebüchern der unvergesslichen Mutter. Er freut sich, dass diese so rege am gesellschaftlichen Leben teilgenommen hat. Immer wieder spricht er mit anderen Damen aus der Gesellschaft über die Mutter der Prinzessin.
Hofprediger war in Sorge um seinen Freund Max
Am Herzen lagen Wilhelm Baur zudem die Klöster, die Magdalenenstifte, und die Magdalenenheime, also von evangelischen Diakonissen geführte Besserungsanstalten für Prostituierte, für ledige Frauen mit Kind oder verlassene Ehefrauen. Benannt sind das Stift und die Heime nach Magdalena Sybille von Sachsen-Altenburg. Während man in Europa den „gefallenen Mädchen und Frauen helfen wollte mit Schulbildung und Beruf“, wurde es im katholischen Irland zur Folter für viele Frauen.
Wilhelm Baur schrieb auch einen Brief an Kaiser Wilhelm I. (1797-1888), erster Deutscher Kaiser und König von Preußen. Es war ein Gnadengesuch für Max Rieger in Darmstadt. Sein Freund von recht christlicher und treu konservativer Gesinnung sei wegen seines Artikels in der „Deutschen Reichspost“ wegen Majestätsbeleidigung angeklagt worden. Der Prozess sei schon am nächsten Tag, dem 19.05.1979, und er habe Angst, dass Max Rieger zum Tod durch Hinrichtung verurteilt wird. Rieger hatte die Hinrichtung Hödels und die Begnadigung Thierolfs mehr auf Gefühlsebene als juristisch fachlich in dem Artikel verglichen.
Sonderausstellung ist noch bis 27. Juli zu sehen
Um den Fortbestand der Hohenzollern-Dynastie zu sichern, schickte König Friedrich Wilhelm III. seinen Sohn auf „Brautschau“ an den bayerischen Hof. Er hoffte durch Heirat auf eine geschlossene politische Verbindung zwischen dem Mittelstaat Bayern und der Großmacht Preußen. Friedrich Wilhelm IV. verliebte sich in Elisabeth Ludovika von Bayern. Eine Heirat zwischen dem Protestanten und der Katholikin war nur möglich, weil sie versprach zum Protestantismus zu konvertieren. Bis dahin führten sie eine Mischehe.
Die Sonderausstellung im Obergeschoss des Haus Baureneck zeigt zu den Öffnungszeiten des Deutschen Drachenmuseums bis zum 27. Juli neu erworbene Dokumente und Bilder von der Familie Baur de Betaz – ein Leben zwischen den Umbrüchen des 19. Jahrhunderts, zwischen industrieller Revolution und bürgerlicher Forderung nach politischer Mitsprache. An Wochenenden, Feiertagen und in den Schulferien ist das Drachenmuseum auch Dienstag und Donnerstag von 15 bis 17 Uhr geöffnet.
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