Lindenfels. Die Ouvertüre deutet den zentralen Konflikt der Handlung schon voraus: eine alte Grundfrage der Moral, der Kampf des Tugendhaften gegen seine heimtückischen Versuchungen, hier symbolisiert durch den fließenden Wechsel zwischen Dur und Moll. Auch in diesem Jahr war das Gastspiel der Opera Classica Europa auf der Burg Lindenfels, auf das Dirigent Adi Bar und sein Orchester vom rumänischen Nationaltheater so wirkungsvoll einstimmen, gut besucht. Mit Carl Maria von Webers berühmtester Oper „Der Freischütz“ gastierte ein internationales Ensemble an diesem lauen Sommerabend im Innenhof der Burgruine.
Die Handlung: Der Protagonist, Jäger Max (Vít König), lässt sich von bösen Mächten verführen, um die Hand Agathes, seiner Geliebten (Olena Androsiuk), zu erlangen. Das Wagnis nimmt ein insgesamt glückliches Ende und Max’ holde Absichten werden belohnt, die unlauteren Mittel indessen gebührend bestraft.
Schlüsselwerk der Romantik
„Der Freischütz“ gilt zurecht als ein Schlüsselwerk der Romantik, enthält er doch fast alle prägenden Elemente der Epoche: sehnsüchtige Liebe und tiefes Leid, schauerliche dunkle Magie und eine andächtige Naturmotivik. Weber hat seinem 1821 uraufgeführten Werk außerdem einen volkstümlichen Charakter verliehen, dem es seine wichtige Stellung für die Entstehung der deutschen Nationaloper verdankt.
Die Inszenierung beginnt mit dem Wettschießen, in dem der neuerdings glücklose Max dem selbstgefälligen Bauern Kilian (Aaron Moreno) unterliegt. Max’ eigentlich bereits sichere Verbindung mit Agathe droht zu zerbrechen. Ihr Vater Kuno (William Wilson), der fürstliche Erbförster, fordert Max auf, seine Eignung als Schwiegersohn und Erbe im traditionellen Probeschießen zu beweisen. In seiner Verzweiflung lässt sich Max von seinem Kameraden Kaspar (Bass: David Nykl) auf Abwege leiten. Denn dieser trinkfreudige Jagdgenosse ist mit dem teuflischen Samiel (Gregor Loebel) im Bunde und weiß, wie man die magischen Freikugeln herstellt, die nie ihr Ziel verfehlen. Er entführt ihn dafür in die verrufene Wolfsschlucht. Der besorgten Agathe tischt Max für seinen nächtlichen Ausgang einen Vorwand auf. Getröstet von Ännchen, ihrer zupackenden Cousine (Diana Tomsche), harrt sie zu Hause ihres Verlobten.
Interaktionen kamen etwas zu kurz
Das Probeschießen, das unter der Ägide des Fürsten Ottokar (Shea Lueninghoener) stattfindet, wird zur Katastrophe: Die Kugel aus Max’ Gewehr trifft durch Samiels Wirken zugleich Agathe und den ihm verfallenen Kaspar. Doch die holde Agathe steht unter dem Schutz des ehrwürdigen Eremiten (ebenfalls Gregor Loebel), dem sie sich in ihrer Furcht anvertraut hat, und entgeht so dem Tode – anders als der verderbte Kaspar.
Max gesteht seine Verzweiflungstat und wird schon vom Fürsten verurteilt – da tritt der Eremit als Hüter der Moral (und Stimme Gottes) auf und fällt einen barmherzigen Richtspruch, der Max’ hehre Absichten hervorhebt und auch den Fürsten überzeugt. Dieser gewährt Max ein Probejahr und damit eine zweite Chance, sich zu bewähren und Agathe zu ehelichen.
Webers volksnahe Oper zählt eindeutig zu den schlichteren Vertretern der Gattung, sowohl in ihrer Handlung als auch in Besetzung und Aufmachung. Die guten Gesangsleistungen besonders Königs und Androsiuks, aber auch von Tomsche – die außerdem schauspielerisch brilliert – sind für sich genommen ein Genuss und erhalten zurecht den stärksten Schlussapplaus. Doch hält sich hartnäckig der im Werk selbst veranlagte Eindruck, dass die Interaktionen zwischen den Figuren zu kurz kommen. Weber rückt abwechselnd Einzelschicksale in den Vordergrund, was zulasten ihrer Nähe zueinander geht.
Auftritt der Odenwälder Sänger
Das Ensemble wirkt dem nur punktuell entgegen. Sinnbildlich für die Distanziertheit ist es, als Agathe getroffen zu Boden fällt und weder ihr Vater noch Max ihr zur Hilfe kommen. Der Geliebte und vermeintliche Todesschütze schlägt lediglich die Hände vors Gesicht und wendet sich ab. Die Kühle der Emotionen kann auch die äußerst dynamische Performance des Orchesters nicht ganz wettmachen.
Die mitunter starken Akzente einiger Darsteller (unter anderem Nykl, Androsiuk) verfremden zwar etwas das Bild der volkstümlichen Handlung, müssen aber fairerweise hingenommen werden. Vermeidbar wären vielleicht die regietechnischen Schwächen gewesen: Die auf der Spielfläche verteilten Mikrofone nehmen die Stimmen der Akteure je nach Standort nicht immer gleich gut auf. Besonders die Chöre werden dadurch unausgewogen verstärkt. Die unterschiedlichen Stimmvolumina der Darsteller tun ihr Übriges, zumal das Ensemble gestandene Profis und junge Studierende in sich vereint. Unterm Strich stehen aber eine gelungene Darbietung und ein zufriedenes Publikum.
Ein kleiner Höhepunkt ist der Gastauftritt des Liederkranz Winterkasten und weiterer Odenwälder Sänger beim Jägerchor im dritten Akt: Der Chor aus 50 schwarz-weiß gekleideten Herren unter Leitung von Jürgen Martini, vor bunter Kulisse und umringt von kostümierten Operndarstellern, bietet einen denkwürdigen Anblick.
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