Rimbach. Einer entscheidenden, aber gar nicht so oft gestellten Frage ging der Rimbacher Pfarrer Dr. Uwe Buß in einem Vortrag nach: Wie war es möglich, dass die Reformation, das Nachsinnen über einen gerechteren Umgang mit dem Glauben solch einen Siegeszug mit nachhaltiger Wirkung erlebt hat? Es kann nicht nur an den theoretischen Grundlagen gelegen haben: den Thesen Martin Luthers - angeblich angeschlagen an der Kirchentür zu Wittenberg im Jahr 1517 - und den Schriften des geistigen Vordenkers Philipp Melanchthon.
Pfarrer Buß ist promovierter Kirchenhistoriker. Er hat sich intensiv mit der Kirchengeschichte Hessens sowie mit der Reformationsgeschichte befasst. Auf die Frage nach dem Grund für den Erfolg der Bewegung gibt es seiner Meinung nach zwei wesentliche Antworten:
Buchdruck als Revolution
Zum einen gab es schon vorher einen Konkurrenzkampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht um gegenseitige Einflussnahme, zwischen weltlichen Fürsten und der römischen Kurie. Zum anderen hat sich mit der Erfindung des Buchdrucks von Gutenberg eine technische Revolution ergeben, die es vielen ermöglichte, die von Luther in deutsche Sprache übersetzte Bibel zu lesen. Die Deutungshoheit lag nicht mehr allein bei den alten Kirchenmächten.
Die Unterstützung der neuen Lehre macht Buß am Beispiel des hessischen Landgrafen Philipp I, mit dem Beinamen "dem Großmütigen" deutlich. Er skizzierte dessen Biografie, sein Wirken im Sinne der Reformation, der Neustrukturierung des Kirchenrechts auf hessischem Boden, der sich damals von Kassel bis in die südliche Wetterau erstreckte.
Begegnung mit Melanchthon
Dabei kam es zu einer persönlichen Begegnung zwischen Landgraf Philipp und Philipp Melanchthon nördlich von Frankfurt. Melanchthon versprach dem Landgrafen, ihm einen Text über die wesentlichen Merkmale der Reformation zukommen zu lassen. Das war wohl das einschneidende Erlebnis. Dabei geht es im Wesentlichen um das Verhältnis zwischen menschlichem und göttlichem Recht.
Philipp beruft sich in den Folgejahren auf die Autorität von Gott und Kaiser und lässt dabei bewusst die Autorität des Papstes aus. Alles weitere ist Geschichte: Es kam zum Reichstag 1526 in Speyer, in dem für eine Übergangsform den Fürsten die Verantwortung für den Glauben auf ihrem Gebiet übertragen wurde: Landgraf Philipp gab danach der Kirche in Hessen ein eigenes Gepräge, das bis auf den heutigen Tag Gültigkeit hat.
Er erließ eine Reformationsordnung. Es kam zu den Marburger Religionsgesprächen im Jahr 1529, wo sich innerhalb der Reformation die verschiedenen Zweige und Linien offenbarten, die den Diskurs bis heute aufrecht erhalten, den aber die Leitungen der Landeskirchen und der Evangelischen Kirche Deutschland heute als zweitrangig und überbrückbar erachten.
Unüberbrückbare Gegensätze
In der damaligen Zeit unüberbrückbar waren die Gegensätze und Machteinflüsse zwischen Katholischer und Evangelischer Kirche, was gut 100 Jahre nach dem Thesenanschlag zur großen Katastrophe, zu einem bisher nicht gekannten Massensterben im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 führte. Tröstlich und erfreulich ist es, dass heute die versöhnlich ökumenisch gebildeten Kräfte beider Kirchen, die das Gemeinsame betonen, die Überhand behalten.
Eine Anmerkung zu Landgraf Philipp von einem Besucher des Vortrags bestätigte auch der Referent: Philipp ging noch zu Lebzeiten seiner ersten Frau eine zweite morganatische Ehe ("Trauung zur linken Hand") ein. Das stürzte nach Kirchenrecht und moralischem Recht jener Zeit die Reformation in eine schwere Krise. Der bereits konvertierte Erzbischof von Köln nahm in der Folge seinen Wechsel mit den Worten zurück: "Wenn es das ist, was man unter Evangelisch versteht, möchte ich dieser Kirche nicht angehören". mk
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/lindenfels_artikel,-lindenfels-kirchlicher-siegeszug-mit-weltlicher-hilfe-_arid,1128387.html