Lindenfels. Zum dritten Mal gastierte das Kikeriki-Theater aus Darmstadt auf der Burg Lindenfels. Das Samstags-Gastspiel des Stücks „Deppenkaiser“ war mit rund 500 Zuschauern ausverkauft. Für den Sonntagabend gab es – Stand Vortag – noch Tickets an der Abendkasse. Ermöglicht wurden die Open-Air-Vorstellungen vom Sportverein Lindenfels, der sich auch um den kulinarischen Teil der perfekt organisierten Veranstaltungen kümmerte und in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen feiert.
Die Kikeriki-Crew mit Stammsitz in der Bessunger Comedy-Hall serviert seit über 40 Jahren Volkstheater im traditionellen Stil: derb, ironisch und authentisch, entwaffnend ehrlich und gnadenlos frech, im künstlerischen Ansatz immer voll saftiger Mund- und Lebensart. Das bis in den kleinsten Holzkopf leidenschaftlich fabrizierte Puppenspiel lebt von wunderbar expressionistischen Bühnenbildern und den verbalen Qualitäten der Menschen, die stets eine Hand im Gesäß der Figuren und ein Händchen für ihr Publikum haben. So auch in Lindenfels, wo die „dreigedrehte Dorfgeschichte“ trotz ihres eher schlanken Inhalts am Samstag mit viel Beifall belohnt wurde.
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Viel passiert auf dieser austarierten Drehbühne nicht: Drei befreundete Dorfbewohner drehen sich im Alltagskreis aus den immer gleichen Ritualen. Da werden schon zum Frühstück Brezeln gebacken, Handkäs gefuttert und Äbbelwoi gesoffen. Alles gemeinsam, es herrscht das altbewährte Tauschgeschäft. Neid, Missgunst und Geiz sind unbekannt.
Bis eines Tages ein völlig aufgedrehter Fremder die stabile Umlaufbahn des Trios stört. Ein peinlich vornehm parlierender Freiherr Franz von Zossenhain, eine Art nebenberuflicher Wirtschaftsförderer, führt das Prinzip Ordnung ein. Und das Wertscheinsystem. Was bald zu inflationären Entwicklungen führt, denn die Preise steigen und die Ansprüche der Dorfleute nicht minder. Statt dem Nutzwert haben Herbert, Schorsch und Ingeborg den ökonomischen Wert ihrer Waren im Visier.
Das Stück darf als bissiger Kommentar auf die Finanzkrise und als Warnung vor dem Haifischkapitalismus verstanden werden: Ohne Geld keine Gier, und ohne Gier keine blinde und ausufernde Macht. Dieser Zossenhain auf dem Esel ist ein Modell des machthungrigen Agitators und besserwisserischen Polit-Blenders, der mit seinen Fortschrittsfloskeln das beschauliche Dorfleben „hinterm Mond“ um Glück und Verstand bringt.
Schnoddrige Dialoge
Aus diesem Schlamassel kann sich das depperte Volk nur selbst befreien, indem es die Gefolgschaft verweigert und dem verfressenen Schnösel die Speisekarte kürzt. Frei nach Karl Marx ist hier nicht die wirtschaftliche, sondern die menschliche Krise eine Voraussetzung des Umsturzes. Aus Dienern werden Revoluzzer. Der Despot wird gestürzt. Und das Märchen ist gerettet.
Die dramaturgischen Längen werden von schnoddrigen Dialogen und Kommentaren im Darmstädter Dialekt weitgehend ausgebügelt. Florian Harz, Felix Hotz, Jasmin Heist und Hanno Winter spielen souverän mit viel Sinn für verbale Soli und vermeintliche Stegreifelemente: Was spontan wirkt, ist Teil des Drehbuchs. Aber exzellent inszeniert. Und Felix Hotz trifft den nassforschen Tonfall seines Vaters und Theatergründers Roland inzwischen perfekt, ohne ihn zu kopieren. Die Zukunft des Ensembles scheint auf einem sicheren Fundament.
Am besten beraten ist man, wenn man die Story ohne großes Nachdenken – so auch die Empfehlung der Macher – an sich vorüberziehen lässt und sich dem hessischen Puppenspiel mit all seinen feinen Zitaten und Anspielungen wehrlos ausliefert. Dann ist man empfänglich für den würzigen Charme und das famose Ensemblespiel der Darmstädter, die mit ihren dreidimensionalen Karikaturen und den überzeichneten Figuren ein volksnahes, aber nicht volkstümliches Erlebnis bieten. Und das in Lindenfels vor einer Kulisse, die ihresgleichen sucht. Die Burg war am Samstag zudem einer der kühleren Orte der Region.
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