Kröckelbach. Das Ende des Zweiten Weltkrieges jährt sich 2025 zum 80.Mal. Auch nach so langer Zeit wirken seine Schrecken nach – aber auch die selbstlosen Taten mancher Menschen, die sich dem Nazi-Regime in Deutschland, offen oder im Geheimen, widersetzt und dadurch Leben gerettet haben. Eine dieser Geschichten hat sich in Kröckelbach abgespielt – und sie ist ein Beispiel für große Zivilcourage und Menschlichkeit. Es ist eine Geschichte, die nie öffentlich erzählt worden ist – bis heute. 80 Jahre nach Kriegsende sind es die Nachkommen des Ehepaares Georg und Elisabeth Blessing, welche die mutige Tat ihrer Großeltern bekanntmachen.
Zwei Jahre lang haben die Blessings einen jüdischen Mann bei sich im Keller versteckt und ihm damit mutmaßlich das Leben gerettet – indem sie ihr eigenes riskiert haben. Hugo Zimmern, ein Textilfabrikant aus Mannheim, hatte im Odenwald Zuflucht gesucht und diese in Kröckelbach gefunden. Das Haus, in dem sich diese Geschichte zugetragen hat, steht heute nicht mehr. Es befand sich in der jetzigen Straße „Im Hofacker“, direkt am Ortsrand zur „Galgenhohl“ in Richtung Fürth. Eine Lage, die für die Blessings und ihren geheimen Gast von Vorteil sein sollte.
Einer großen Gefahr ausgesetzt
Aber der Reihe nach: Wann genau und wieso Hugo Zimmern ausgerechnet bei den Großeltern von Irmgard Schalk-Blessing an die Tür klopfte, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Bekannt ist nur, dass er ungefähr zwei Jahre vor Kriegsende mit seiner Frau zu Fuß und ohne festes Ziel von Mannheim in den Odenwald geflüchtet ist. „Vielleicht kannte er meinen Opa von seiner Firma her, das ist aber nur Spekulation“, erzählt die heute in Worms lebende Enkelin von Georg Blessing im Gespräch. Gemeinsam mit ihrer Cousine Gaby Dreher hat sie sich entschlossen, die Geschichte in die Öffentlichkeit zu bringen, und diese Redaktion kontaktiert.
In der heutigen Großgemeinde Fürth trennten sich vor etwas über acht Jahrzehnten die Wege der Eheleute Zimmern. Während seine Frau der Überlieferung nach in Krumbach Zuflucht fand, klopfte Hugo Zimmern in Kröckelbach an die Tür der Familie Blessing. Vielleicht wusste (ahnte oder hoffte) er, dass Georg Blessing als „Feingeist“ – als solchen beschreibt ihn seine Enkelin – mit den Nazis nichts am Hut hatte. Nur eine Tür weiter lebte ein überzeugter Nationalsozialist, bei dem den Mannheimer sicher ein anderes Schicksal erwartet hätte.
Dies zeigt aber auch, welcher Gefahr sich die Blessings ausgesetzt hatten. Wäre ihr Gast entdeckt worden, hätte dies auch für sie schlimme Konsequenzen gehabt. In dem Haus befanden sich damals, neben dem Ehepaar und Hugo Zimmern, noch die vier Kinder der Blessings – zwischen vier und 20 Jahre alt. Sie wussten von dem geheimen Untermieter nichts – „die Gefahr, dass die Kleinen sich in der Öffentlichkeit ,verplappern‘, war meinen Großeltern wohl zu groß“, erzählt Irmgard Schalk-Blessing.
Für Hugo Zimmern bedeutete dies, dass er die Tage in aller Stille im Keller des Hauses verbringen musste – zwei Jahre lang. Wenn die Kinder schliefen, holten ihn die Erwachsenen ab und an nach oben. Georg Blessing lief mit ihm dann die Galgenhohl entlang. Die Gefahr, dort nachts auf andere Menschen zu treffen, war relativ gering. Zu diesem Zeitpunkt war generell kaum noch jemand außerhalb seines Hauses unterwegs. Erst recht nicht in der unbeleuchteten Gasse nach Fürth hinunter. „Damals herrschte noch richtige Dunkelheit – das ist man heute überhaupt nicht mehr gewohnt, durch die allgegenwärtige Beleuchtung“, erklärt Irmgard Schalk-Blessing. Ihr Großvater kannte die Wege um sein Haus im wahrsten Wortsinn „im Dunkeln“.
Begebenheit nach dem Einmarsch
Neben dem möglichen Entdecktwerden war, vorstellbarerweise, die Versorgung des geheimen Untermieters ein großes Problem. Ihm Bücher zu besorgen, um seine geistigen Fähigkeiten nicht verkümmern zu lassen, war da noch die einfachere Aufgabe. In einer Zeit, in der Lebensmittel ein kostbares und begrenztes Gut waren, stellte es die Familie vor eine Prüfung, einen weiteren Mund mitzufüttern. Wohl deshalb war der damalige Krumbacher Bürgermeister Eidenmüller als Einziger in die Geschichte eingeweiht. Er verhalf den Blessings zu zusätzlichen Lebensmittelmarken – und machte sich alleine schon damit strafbar.
Wann und wie der Aufenthalt von Hugo Zimmern in Kröckelbach endete, steht nicht genau fest. Sicher ist allerdings, dass er den Krieg überlebte und seine Geschäftstätigkeit in Mannheim wieder aufnahm. Allerdings waren ihm nicht mehr viele Jahre vergönnt, denn er verstarb im Mai 1951, zwei Monate nach seinem 75. Geburtstag.
„Meine Großeltern haben über diese Ereignisse nie geredet“, berichtet Irmgard Schalk-Blessing, die wenige Jahre nach Kriegsende zur Welt kam. Die Schrecken dieser Jahre wurden allgemein in der Bevölkerung eher verdrängt, anstatt sie zu verarbeiten. Völlig unentdeckt blieb das selbstlose Handeln der Blessings allerdings auch nicht. Die US-Soldaten, die nach dem Einmarsch vor 80Jahren in ihr Haus kamen und unter anderem die Geige von Georg Blessing und den Schmuck seiner Frau „beschlagnahmten“, brachten wenig später alles wieder zurück. „Vielleicht hatten sie ja von Hugo Zimmern erfahren“, mutmaßt die Wormserin.
Was sie weiß, ist, dass ihre Tante nach dem Krieg ab und an bei den Zimmerns in Mannheim zu Gast war und regelmäßig mit frischem Honig als Gastgeschenk zurück nach Kröckelbach kam. Dokumentiert ist zudem eine eidesstattliche Erklärung von Hugo Zimmern gegenüber den Besatzungsbehörden, in der er von der Hilfs- und Opferbereitschaft der Familie Blessing berichtet. Darin heißt es: „Blessings waren keine Nazis und keine Anhänger der Nazis sondern betätigten sich in der Untergrundbewegung.“
„Mein Großvater war sicher kein Widerstandskämpfer“, relativiert Irmgard Schalk-Blessing, „er hatte mit den Nazis nichts am Hut und sich einfach nicht an deren Treiben beteiligt.“ Mit der Aufnahme von Hugo Zimmern haben er und seine Frau Elisabeth, die beide damals Mitte 40 Jahre alt waren, aber einen großartigen und äußerst mutigen Akt der Zivilcourage geleistet. Den Vater von Irmgard Schalk-Blessing, Georg Blessing junior, bewahrte die bezeugte antifaschistische Haltung seiner Familie wohl vor einer längeren Kriegsgefangenschaft, nachdem er am Ende des Krieges noch zur Wehrmacht eingezogen und verwundet worden war.
Mutige Tat in dunkler Zeit
Dokumentiert ist ein vom Fürther Dekan Burkard beglaubigtes und von Bürgermeister Eidenmüller befürwortetes Gesuch an die Militärbehörde aus dem Jahr 1947, in dem Blessing senior um die baldige Freilassung seines Sohnes aus der Gefangenschaft in Ägypten bittet – wohl mit Erfolg.
Verdienter Lohn für eine mutige Tat in dunkler Zeit, die lange im Verborgenen geblieben ist. 80 Jahre nach Kriegsende war es für Gaby Dreher und Irmgard Schalk-Blessing an der Zeit, sie öffentlich zu machen. Im Andenken an ihre Oma und ihren Opa – und auch als Ansporn für Zivilcourage und Selbstlosigkeit. Eigenschaften, die heutzutage so gefragt wie lange nicht mehr scheinen.
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