Heimatgeschichte

Ein Reformator auf verlorenem Posten im Odenwald

D. Leander Johann Heinrich van Eß war katholischer Professor und Pfarrer in Marburg.

Von 
Peter W. Sattler
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Unser Bild zeigt Leander van Eß (links) um 1840 und seinen Neffen Leander Heidenreich um 1880. © Sattler

Odenwald. Im Überwald verbrachte eine bedeutende Persönlichkeit ihren Lebensabend, und hier liegt sie auch begraben: D. Leander van Eß. Seine Bibelausgaben gehören heute noch zu den gängigsten Übertragungen aus den Urtexten in Großbritannien, aber auch in deutscher Übersetzung in einigen Bibelgesellschaften in Deutschland. D. Leander Johann Heinrich van Eß war katholischer Professor und Pfarrer in Marburg.

Er hat Bibelübersetzungen gemacht, die in mehreren Versionen erschienen sind. Wie seinerzeit Martin Luther versuchte er, durch Übersetzung die in der hebräischen und griechischen Ursprungssprache geschriebenen Bibeltexte unter die Menschen zu bringen. Den Vertrieb seiner Texte wickelte er über sogenannte national und übernational tätige Bibelgesellschaften ab.

Verbindung nach Affolterbach

Die nachstehenden Ausführungen zu Leben und Werk des Leander van Eß fußen vorwiegend auf den Erkenntnissen des Historikers und Genealogen Bernd Philipp Schröder, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Personalgeschichte in Bensheim ist.

Leander van Eß wurde am 15. Februar 1772 in Warburg in Westfalen geboren. Vater Franz Anton van Eß (1742 – 1809) und Mutter Anna Maria Elisabeth Krewer (1746 – 1821) hatten zusammen elf Kinder. Darunter Anna Maria, die durch Heirat die Verwandtschaft mit den Familien Heidenreich und von Wedekind herstellte. Dadurch gerät deren Besitz im Odenwald in den Blickpunkt des Interesses: das Gut Wiesenhof in Affolterbach und das Hofgut im benachbarten Hiltersklingen.

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Johann Heinrich van Eß wurde mit 18 Jahren Benediktiner im Kloster Marienmünster und nannte sich ab jetzt Leander. Die durch Napoleon aufgelösten Klöster und der Verlust der Kirchengüter waren für van Eß Anlass, mit Reformen dem Rückzug der katholischen Kirche entgegenzuwirken. Er war der Überzeugung, durch Übersetzung der vollständigen Bibel das Anliegen der Heiligen Schriften dem Volk begreifbarer zu machen, als dies durch die lateinische Vulgata möglich ist.

Van Eß stellte die Übertragung der für die römisch-katholische Kirche verbindliche lateinischen Vulgata seiner Übersetzung des Alten Testaments gegenüber und veröffentliche die Texte in beiden Versionen. Er beschränkte nicht nur auf inhaltliche Reflexionen, sondern hatte auch liturgische Verhältnisse seiner Kirche vor Augen.

Hierbei standen für ihn hauptsächlich folgende Gesichtspunkte im Vordergrund: Schrifttreue, muttersprachlicher Gottesdienst, allgemeinverständliche Predigt und Eucharistiefeier in beiderlei Gestalt, also gleichzeitiges Austeilen von Wein und Brot.

Mehrere Neuauflagen

Rund 150 Jahre später sollten diese Vorstellungen in der katholischen Kirche in Erfüllung gehen. Die Erkenntnis damals wie später war dieselbe, die Intention hingegen eine andere: Die Vorstellungen von van Eß trugen zweifellos Züge eines überkonfessionellen Christentums.

Nach seiner Priesterweihe 1796 fing van Eß an, seine schriftstellerische Arbeit in Angriff zu nehmen. Zunächst begann er, das Neue Testament zu übersetzen. Nach vierjähriger Arbeit war dies 1807 beendet. Die Ausgabe war bald vergriffen; es folgten mehrere Neuauflagen.

1808 gab er eine Schrift heraus mit dem Titel: „Auszüge aus den heiligen Vätern über das notwendige und nützliche Bibellesen zur Aufmunterung der Katholiken“. Das in Rom als Traktat empfundene Druckwerk konnte der katholischen Kirche nicht gefallen, sie nahm diese kritische Formulierung aber hin.

Trotz gewisser Zweifel und Kritik an seiner Kirche dachte van Eß nicht daran, aus ihr auszutreten. Er wollte ihr vielmehr weiterhin als Bibelübersetzer dienen und mit neuen Ideen zur Verfügung stehen.

Die letzte Ruhe

An der östlichen Mauerbegrenzung findet der Besucher des 1837 errichteten Friedhofs in Affolterbach das Familiengrab Heidenreich / van Eß.

Auf dem Grab des gescheiterten Reformators steht ein Granitfelsen mit darüber installiertem Kreuz. Die Bronzetafel trägt die Inschrift D. LEANDER VAN ESS und die Versbezeichnung Galater 2.20: „Nicht ich, sondern Christus.“

Gerüchten zufolge soll van Eß gar nicht in Affolterbach begraben liegen, weil man ihm als Katholik ein Begräbnis auf dem dortigen evangelischen Friedhof verwehrt habe. Stattdessen sei er in aller Stille auf dem Friedhof in Wald-Michelbach beigesetzt worden, und die Grabstätte in Affolterbach stelle ein bloßes Denkmal dar.

Der Konflikt mit seiner Kirche spitzte sich zu, als eine anonyme, aber zweifelsohne von Leander van Eß verfasste Schrift erschien: „Die Bibel, nicht ein Buch für Priester nur, sondern auch für Fürst und Volk, von einem nicht römischen, sondern christkatholischen Priester herausgegeben.“ Das war für die katholische Kirche zu viel, sie musste reagieren. Daraufhin wurde das von Leander van Eß übersetzte Neue Testament durch den Papst im Jahr 1821 auf den Index gesetzt.

Van Eß musste einsehen, dass seine Reformbemühungen ins Leere liefen und der Kampf gegen Rom keine Aussicht auf Erfolg versprach. Resigniert schied er auf eigenen Wunsch aus allen geistlichen Ämtern aus, einschließlich seiner Funktion als Pfarrer in Marburg.

Nach diversen textlichen Anpassungen in seiner Übersetzung des Neuen Testaments erklärten die katholische theologische Fakultät der Universität Tübingen und das bischöfliche Generalvikariat Bruchsal im Jahr 1826 die Übersetzung als mit dem Leben der katholischen Kirche übereinstimmend und empfahlen die Neuauflage zur Freigabe. Das gab Leander van Eß Auftrieb für weitere Übersetzungsarbeiten.

Noch in Marburg lernte van Eß um 1820 die zehn Jahre jüngere Elisabeth von Elliot (1782 – 1838) kennen. Das Paar zog zusammen mit von Elliots siebenjährigem Sohn Leo nach Darmstadt. In der Wohngemeinschaft lebte auch der zehnjährige Neffe und Patensohn des Leander van Eß, Leander Heidenreich (1814 – 1881).

Schon 1818 hatte Leander van Eß mit der Übersetzung des Alten Testaments begonnen. Diese Arbeit setzte er, trotz des unliebsamen Verhältnisses zu seiner Kirche, mit vollem Elan fort. 1822 war eine erste Auflage, 1836 die zweite Auflage erschienen. 1840 gab es eine dreiteilige Gesamtausgabe seiner Bibelübersetzung.

Ein Zerwürfnis mit Folgen

Bevor die Publikation erschien, kam es zum Zerwürfnis mit der britischen Bibelgesellschaft, die er um Mitfinanzierung zur Veröffentlichung gebeten hatte. Das bedeutete einen gravierenden Einbruch des Buchverkaufs und damit einen starken Einkommensverlust. Da sich außer dem theologischen Argument auch persönliche und private Strömungen bemerkbar machten, kündigte van Eß die weitere Zusammenarbeit und verließ die Londoner und die Darmstädter Bibelgesellschaft.

Nach der Verheiratung des Leander Heidenreich mit Friederike Henriette Merkel (1812 – 1906) zog das Paar auf Empfehlung von Bekannten 1843 nach Affolterbach, um dort das Gut Wiesenhof zu bewirtschaften. Leander und Friederike Heidenreich hatten vier Kinder, fast alle sind in Affolterbach geboren.

Leander van Eß war seinem Neffen Leander Heidenreich 1843 auf den neuen Besitz nach Affolterbach gefolgt, relativ mittellos, um nicht zu sagen verarmt. Leander van Eß besaß einst eine Bibliothek mit 16 000 wertvollen Büchern, dazu zahlreiche alte Schriften. Aus Geldmangel musste er alles verkaufen. Leander van Eß starb am 13. Oktober 1847. Seine Absicht, seine katholische Kirche zu reformieren, ist ihm nicht gelungen. Den meisten sind der Name van Eß und seine Bibelübersetzung nicht mehr bekannt.

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