Lindenfels. Wilhelm-Baur-Straße, Kindertagesstätte Baur de Betaz, Haus Baureneck: der Name Baur ist in Lindenfels präsent. Doch warum einmal Baur, ein anderes Mal Baur de Betaz? Und wer war eigentlich Wilhelm Baur? Hört man sich im Burgstädtchen um, bekommt man verschiedene Antworten, bis hin zu „Großvater von Karl-Heinz Bauer“.
Dieser leitete den Kur- und Touristikservice, als der noch Kurverwaltung hieß. Diese Erklärung lässt sich aber schon durch die unterschiedliche Schreibweise des Namens ausschließen. Bei „ehemaliger Bürgermeister“ und „früherer Pfarrer“ wird es schon schwieriger. Doch auch sie treffen nicht zu – zumindest nicht komplett.
Pfarrer war Baur tatsächlich – wenn auch nie in seiner Heimatstadt. Er war sogar einer der bedeutendsten Köpfe der evangelischen Kirche im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Seine Karriere führte ihn nach Hamburg, an den kaiserlichen Hof in Berlin und schließlich ins Rheinland. Seinen Lebensabend wollte er aber verbringen, wo er am 16. März 1826 zur Welt gekommen war: in Lindenfels. Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt: Wilhelm Baur hatte seinen Pensionsantrag bereits gestellt, als er am Ostersonntag des Jahres 1897 an den Folgen eines Schlaganfalles starb.
Kaiser Wilhelm I. hatte ihn 1872 als Hof- und Domprediger nach Berlin geholt. Schon einmal hatte die Fähigkeit zur begeisternden Predigt dem Lebensweg von Wilhelm Baur eine neue Richtung gegeben: Die 24-jährige Meta de Betaz hatte sich in Arheilgen eine Predigt des jungen Vikars angehört. Dabei soll sie Feuer gefangen haben. Jedenfalls schloss sie 1855 mit ihm den Bund der Ehe. Das Ehepaar gründete und förderte zahlreiche soziale Einrichtungen: die Innere Mission in Deutschland, die „Magdalenensache“ (Hilfe für Prostituierte), die Armenpflege und den internationalen Verein „Freundinnen junger Mädchen“.
„Für Lindenfels war die Familie ein Glücksfall“, schreibt der Lindenfelser Ehrenbürgermeister Peter C. Woitge auf der Internetseite der evangelischen Kindertagesstätte Baur de Betaz. Woitge betreut das Familienarchiv und eine Ausstellung im Haus Baureneck, die der Familie gewidmet ist. Wilhelm Baur hatte das ehemalige Pfarrhaus 1874 der evangelischen Kirche abgekauft, um seinen Lebensabend dort zu verbringen. Heute gehört es der Stadt Lindenfels. Diese ließ es 2008 mit Fördermitteln renovieren und richtete dort ihr Trauzimmer ein. Und das Drachenmuseum.
Den Namen Baur de Betaz hatte sich Wilhelm Baurs Sohn Gustav erst 1913 zugelegt. Die Verlängerung des Familiennamens um den Mädchennamen der Mutter wurde von Großherzog Ernst-Ludwig persönlich genehmigt. In Lindenfels dagegen war Gustav eher als „Quetschekopp“ bekannt. So hemdsärmelig-charmant redete er alte Bekannte an, wenn er sie länger nicht gesehen hatte.
Gustav Baur de Betaz war so etwas wie der verlängerte Arm seines Vaters in Lindenfels. Er ließ in dessen Auftrag im Schlierbacher Weg das Armenhaus Salem und das Haus Bethesda mit Krankenstation und „Kleinkinderschule“ bauen, die man heute Kindergarten nennen würde. Beide Anwesen wurden 1887 und 1891 von der Familie gestiftet. Etwa 100 Jahre später gab der Magistrat der Stadt Lindenfels der neuen Verbindungsstraße zwischen Schlierbacher Weg und Burgstraße den Namen Am Salem.
1919 gründete Gustav Baur de Betaz mit dem Erlös aus dem Verkauf der beiden Gebäude die Baur-de-Betaz-Stiftung. Diese führte mit der evangelischen Kirchengemeinde und der Stadt die sozialen Einrichtungen weiter. Der Vorläufer des heutigen Kindergartens am Almenweg entstand im Fürther Weg, der heute Wilhelm-Baur-Straße heißt, im heutigen Haus der Vereine. Daneben wurde die Kranken- und spätere Schwesternstation Haus Bethesda – heute ein Wohnhaus – neu gebaut. Die Straße wurde wohl in den 1920er Jahren umbenannt.
Die Stadt Lindenfels verlieh Gustav Baur de Betaz für sein soziales Engagement die Ehrenbürger-Würde. Seinen Vater Wilhelm hatte sie bereits am 2. April 1877 dazu ernannt. Wilhelm Baur war damit der erste Ehrenbürger der Stadt. Er wohnte zwar nur die ersten Jahre seines Lebens dauerhaft im Burgstädtchen, doch immer wieder zog es ihn dorthin zurück.
Als Student soll er mit seinen Kommilitonen den Schenkenberg unsicher gemacht haben, debattierend und deutsche Volkslieder singend. Später machte er in Berlin Werbung für seine Heimat und lockte viele hohe Herrschaften nach Lindenfels. Sein ganzes Leben lang nutzte er jede sich bietende Gelegenheit zu Abstechern in den Odenwald. Wahrscheinlich auch im Juni 1882. Jedenfalls bewilligte ihm sein Chef Kaiser Wilhelm I. am 13. Mai 1882 höchstpersönlich handschriftlich Urlaub „vom 22. Mai bis Ende Juni“ jenes Jahres.
Aus Lindenfels nach Berlin: Stationen von Wilhelm Baur
Wilhelm Baur kam am 16. März 1826 in Lindenfels zur Welt. Sein Geburtshaus hat heute die Adresse Wilhelm-Baur-Straße 17 und befindet sich in Privatbesitz. Er war das siebte Kind des großherzoglich-hessischen Revierförsters Ludwig Baur (1790–1857) und bekam noch vier weitere Geschwister.
1838 zog die Familie wegen der Versetzung des Vaters nach Griesheim. Wilhelm besuchte das Gymnasium in Darmstadt und studierte in Gießen.
Seine beruflichen Stationen waren das Prediger-Seminar in Friedberg sowie Pfarrstellen in Arheilgen, Bischofsheim, Ettingshausen (Thüringen) und Ruppertsberg (Rheinland-Pfalz). 1855 heiratete er die aus dem Waadtland in der französischen Schweiz stammende Meta de Betaz, mit der er zwei Söhne bekam.
1865 wurde der Theologe an die St.-Anschar-Kapelle nach Hamburg berufen. 1872 rief Kaiser Wilhelm I. Wilhelm Baur als Hof- und Domprediger nach Berlin. Dort verlieh ihm die theologische Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelm Universität 1877 die Ehrendoktorwürde.
1883 wurde er zum Generalsuperintendenten (Bischof) der Rheinprovinz mit Sitz in Koblenz berufen.
Am Ostersonntag des Jahres 1897 starb Wilhelm Baur an den Folgen eines Schlaganfalles. ppp
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