Lindenfels. „Wenn mein Vater jetzt zusehen kann, sagt er bestimmt ,Gut gemacht’“, sagt Zimmermann Manfred Riebel und blickt zum Himmel. Gerade hat er an einem warmen Sommernachmittag etwa 50 interessierten Zuhörern die Geschichte des Hauses erzählt, vor dem er steht: Der Burgschänke am Zugang zur Burg Lindenfels. Der Verein für Kultur, Bildung und Soziales (Kubus), der die Schänke bewirtschaftet, hatte zum Vortrag über die Geschichte des Hauses eingeladen.
Multifunktionsgebäude mit Stall, Scheune und Wohnung
Manfred Riebel war gerade 15 Jahre alt und hatte eine Lehre als Zimmermann begonnen. Neben der elterlichen Bäckerei in der Lindenfelser Obergasse (heute Freiherr-vom-Stein-Straße) sollte ein Fachwerkhaus abgerissen werden. Er konnte seinen Vater Georg Wilhelm Riebel davon überzeugen, die Balken zu nummerieren, vorsichtig abzutragen und in der eigenen Scheune zu lagern. Irgendwann, so hoffte der angehende Zimmermann, sollten sie an einem anderen Ort wieder zusammengesetzt werden. 40 Jahre später erfüllte sich sein Traum: Er hielt 2021 den Richtspruch zum Abschluss des Wiederaufbaus.
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Die Stadt Lindenfels hatte das Fachwerkhaus am Standort des früheren Burg-Kiosks für 432 000 Euro wieder aufbauen lassen, unterstützt mit 200 000 Euro aus dem EU-Förderprogramm „Leader+“. Im Untergeschoss ist eine Gaststätte untergebracht, oben kann wahlweise die herrliche Aussicht über das Schlierbachtal oder das wie im Originalgebäude zusammengezimmerte Dachgebälk bewundert werden. Ein Statiker, so Riebel, hatte die Balken unter die Lupe genommen und für gut befunden. Deshalb musste keine neue statische Berechnung angestellt werden.
Körperwärme von Kuh und Schwein wirkte als Fußbodenheizung
Dabei dürfte das Holz um die 300 Jahre alt sein. Nach 1740 habe man hauptsächlich Fichtenholz zum Bauen benutzt, sagte Riebel. In dem wieder aufgebauten Haus dagegen findet sich ausschließlich Holz von Eichen und Kirschbäumen. Deshalb datiert Riebel den Bau auf die Zeit zwischen 1680 und 1740. Jetzt möchte er zur genauen Altersbestimmung eine sogenannte „dendrochronologische Untersuchung“ veranlassen. „Dendrochronologie“ ist das Fachwort für allgemeine Gehölzkunde.
Ursprünglich habe das Haus im gemauerten Erdgeschoss einen etwa 20 Quadratmeter großen Stall, daneben eine etwa ebenso große Scheune mit Dachboden (die Odenwälder sagen dazu „Schließ“) und ganz oben unter dem Dach Lagerfläche für Getreide beherbergt. Die Körperwärme von Kuh und Hausschwein wirkte wie eine Fußbodenheizung für die Wohnung über dem Stall. Allzu mollig warm wurde es darin nicht. „Kein Problem. Da hat man halt einen Wams mehr angezogen“, sagte Riebel.
Die Fäuste flogen, weil der Apfelwein zur Neige ging
Zimmerleute nennen ein solches Multifunktionsgebäude „Einhaus“. Weil dessen Grundfläche für die nach dem Wiederaufbau vorgesehene gastronomische Nutzung zu klein war, ließ der Architekt an den Flanken des alten Hauses zwei schuhkartonförmige Anbauten errichten. Sie heben sich mit ihrer geraden Linienführung deutlich vom Altbestand ab und erfüllen damit eine Forderung des Denkmalschutzes. Für das Obergeschoss fügte Riebel das alte Fachwerk originalgetreu zusammen.
Der Zimmermann laß seinen Zuhörern vor, wie es früher beim Richtfest zuging: Auf den Richtspruch des „Spruchgesellen“ folgte geselliges Beisammensein bei Rippchen und Apfelwein. Der frühere Kreis-Obermeister der Zimmerleute, Karl Fischer, hatte die Tradition zu Papier gebracht. Er beschrieb auch, dass es schon mal zu Handgreiflichkeiten kam, wenn der Apfelwein zur Neige ging. Fischer berichtet von einer Schlägerei bei einem Richtfest im Jahre 1678. Die Fäuste flogen: In Lindenfels.
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