Stadtverordnetenversammlung

Eine Erste Stadträtin oder ein Erster Stadtrat für Bensheim?

Grünen-Antrag auf Wiederwahl von Nicole Rauber-Jung findet keine Mehrheit, nun wird eine Neuwahl vorbereitet.

Von 
Anna Meister
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Im Juni dieses Jahres entscheidet sich, wer den Posten der Ersten Stadträtin oder des Ersten Stadtratens in Bensheim erhält. © Dietmar Funck

Bensheim. „Heute werden wichtige Weichen in Bensheim gestellt. Es geht um die Besetzung der Stelle der Ersten Stadträtin. Es gab dazu in den letzten Wochen einige unschöne Begleiterscheinungen“, kommentierte Amtsinhaberin Nicole Rauber-Jung auf der vergangenen Stadtverordnetenversammlung den Umstand, dass ihre Parteikolleginnen und -kollegen der CDU sie nicht mehr im Amt sehen möchten. Unangenehm aufgestoßen waren nicht nur ihr in diesem Zusammenhang die Äußerung von Tobias Heinz, die Grünen-Fraktion habe die Christdemokraten mit einem Antrag auf Rauber-Jungs Wiederwahl erpressen wollen.

Ihr Ziel verfolgt die Amtsinhaberin weiter: „Wichtige Prozesse, die ich angestoßen habe, will ich weiter begleiten und die Stadt Bensheim auch zukünftig voranbringen. Bensheim braucht jemanden an der Spitze des Baudezernates, der eine hohe Fachlichkeit aufweist, um die immer komplexeren Fragestellungen einordnen und die Lösungsfindung lenken zu können. Sie können sicher sein, dass ich die dafür notwendigen Kompetenzen mitbringe.“ Die politischen Vertreter der Stadt hätten vor geraumer Zeit entschieden, dass an der Spitze des zentralen Fachbereichs Stadtentwicklung, Immobilien und Umwelt mit vier Teams keine Stelle für eine Fachbereichsleitung im Stellenplan geschaffen werden soll.

Dadurch sei dieser strategisch wichtige Fachbereich der einzige bei der Stadt Bensheim, der keine Fachbereichsleitung habe. „Die Leitung des Fachbereichs ist also weder fachlich zuständig, noch in der Zuständigkeit der Baudezernentin übernommen. Aber wie soll das funktionieren, wenn diese Expertise nicht mehr gegeben ist? Oder soll zukünftig eine solche hoch dotierte Stelle geschaffen werden, um mögliche fachliche Defizite in der Dezernatsleitung auszugleichen?“, fragte sie.

„Welche Bedeutung sollen Bau-, Planungs- und Umweltthemen in Bensheim zukünftig haben, wenn sie nur noch mitverwaltet und nicht mehr wie jetzt ganzheitlich und strategisch gestaltet werden? Bensheim hatte nahezu durchgehend Leitungen im Baudezernat, die fachlich kompetent waren und die Herausforderungen im Kontext der jeweiligen Zeit gemeistert haben. Es wäre fatal, dies zukünftig anders zu handhaben.“ Gerade in diesen turbulenten Zeiten mit einem noch nie dagewesenen Haushaltsdefizit sei es unersetzlich, auf Kontinuität, Stabilität, Fach- und Verwaltungswissen und Führungserfahrung an der Spitze der Stadtverwaltung zu setzen.

Ihrem Appell schloss sich eine hitzige Diskussion an - gefolgt von der Mehrheitsentscheidung, im Juni dieses Jahres die Neuwahl der Ersten Stadträtin - oder des Ersten Stadtrates - anzuberaumen (32 Ja-Stimmen, sieben Nein-Stimmen, drei Enthaltungen).

Grüne stehen nach wie vor hinter Amtsinhaberin

Zunächst stellte sich Thomas Götz (Grüne) klar hinter die Amtsinhaberin: „Wir sind mit der Arbeit von Frau Rauber-Jung sehr zufrieden. Insbesondere was die Themen Klimaschutz und Verkehr angeht, sind ihre Positionen und die unserer Fraktion häufig nahe beieinander. Den Masterplan Klimaschutz II halten wir für einen großen Wurf. Bei diversen Bauprojekten gab es Maßnahmen zur Bürgerbeteiligung, die zur Transparenz der Arbeit des Baudezernats beitrugen. Wir haben Frau Rauber-Jung bereits bei ihrer ersten Wahl 2019 unterstützt. Die Zusammenarbeit war immer kollegial, von gegenseitigem Vertrauen und großer Offenheit geprägt.“

Unter Rauber-Jung seien Wohnraum geschaffen und Gewerbegebiete ausgewiesen worden. Was Dauerthemen wie den Neumarkt angehe, so sei es auch Rauber-Jungs Vorgängern innerhalb mehrerer Amtszeiten nicht gelungen, eine Lösung zu finden. „Das ist eine Altlast, die sie nicht zu verantworten hat.“ Die Grünen sehen die Aufgabe, die eng verzahnten Analysen zu Klima, Verkehr, Wärmeplanung und mehr zu einem nachhaltigen Gesamtkonzept für die Stadt zu vereinen bei Rauber-Jung in guten Händen.

In ihrem Antrag auf Wiederwahl sahen die Grünen keine Provokation, vielmehr hatte er mit der Einhaltung gesetzlicher Fristen zu tun. „Dass die CDU ihre eigenen Vorstellungen über die Stelle der Ersten Stadträtin hat, sei ihr unbenommen. Aber Frau Rauber-Jung in so einer Art und Weise zu demontieren - das tut man einfach nicht“, kritisierte Götz Tobias Heinz (CDU). Es sei unappetitlich mitanzusehen, dass er allem voran seine eigenen Interessen verfolge, nämlich, selbst Erster Stadtrat zu werden. Da die CDU das Vorschlagsrecht habe, müssten sich alle anderen Fraktionen klar machen, dass sie die Ausschreibung der Stelle nach ihren Vorstellungen gestalten werde. „Diese Wahl wird Ihnen genommen werden.“

„Ziehen nach sechs Jahren ernüchternde Bilanz“

Nicht Heinz, sondern Bernhard Stenger ergriff für die CDU das Wort. Natürlich sei Rauber-Jung nicht an allem Schuld, was in der Stadt nicht laufe. „Wir haben die Lage sorgfältig abgewogen und ziehen für die vergangenen sechs Jahren eine ernüchternde Bilanz. Noch einmal sechs Jahre soll es so nicht weitergehen.“ Die Fraktion habe sich gefragt, ob Projekte nicht auch anders hätten gemanagt werden können. Die CDU attestierte Rauber-Jung eine mangelnde Kritikfähigkeit, ihr sei es nicht gelungen, wichtige Impulse zu setzen. „Um gemeinsam voranzukommen, braucht man ein gemeinsames Grundverständnis - und das gab es bei uns nicht, was die Zusammenarbeit in Vergangenheit schwierig gemacht hat.“

Mit dem Votum, den Wahlvorbereitungsausschuss zu bilden, sei die personelle Entscheidung noch nicht gefallen. Folglich könne die Stelle auch nicht auf eine Person zugeschnitten werden. Bewerberinnen und Bewerber müssten einiges an Expertise mitbringen, es gebe mehr als nur eine Person, die sich dafür eignen könnte, so Stenger. „Bei der Suche ist eine konstruktive Arbeit mit allen Fraktionen nötig.“

Neue Rahmenbedingungen erfordern Umdenken im Handeln

Auch Jürgen Kaltwasser (SPD) gestand Nicole Rauber-Jung viele ihrer Erfolge zu - in Summe seien es für die SPD allerdings zu wenige. „Angetreten ist sie mit der Ansage, unter ihr als Fachfrau müsste die Stadt keine Aufträge mehr für teures Geld nach außen vergeben. Noch heute warten wir darauf, dass sich an dieser Praxis etwas ändert. Selbst eine einfache Zaunanlage braucht eine externe Ausschreibung“, spielte er auf den Sportplatz des FC Italia am Berliner Ring an. Beim Amtsantritt 2019 war die Ausgangslage eine andere, das Geld saß locker. Später wurde es zunehmend ungemütlicher, erst kam die Pandemie, dann das Defizit. „Dafür kann sie natürlich nichts. Aber neue Rahmenbedingungen erfordern ein Umdenken im Handeln.“ Dabei brauche es mehr Gestaltungswillen.

Kaltwasser zählte auf, welche Projekte aus Sicht der SPD in den vergangenen Jahren nur schleppend vorangegangen sind: Beim Hoffart-Gelände habe es interessierte Investoren gegeben, die vertröstet worden seien, stattdessen habe man nun eine 50.000 Euro teure Fassadengestaltung, während das Projekt „Urban Gardening“ mangels Interesse der Bevölkerung wieder eingestellt wurde. Nach mehreren Jahren, in denen immer wieder Gespräche und erste Planungen stattgefunden hätten, ruhe auch bei der Neugestaltung der Taunusanlage der See. In Sachen Stadtbibliothek gebe es noch immer keine Einigung mit dem Eigentümer des Gebäudes in der Schwanheimer Straße. Die Stadtverordneten hatten im Oktober 2024 beschlossen, den zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Mietvertrag wieder zu kündigen. „Wir müssen sogar damit rechnen, dass die Sache vor Gericht geht. Und dass, obwohl es doch einen interessierten möglichen Nachmieter gibt.“

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Thorsten Eschborn (FDP) fand, vor allem was die Zusammenarbeit zwischen Rauber-Jung und seiner Fraktion angeht, einige versöhnliche Worte: „Der Umgang miteinander lief stets harmonisch. Ein Grund dafür war das gegenseitige Vertrauen, das wir pflegen und dass sich Rauber-Jung an Vereinbarungen gehalten hat.“ Die CDU habe sich dafür entschieden, eine Neubesetzung der Stelle anzustreben, einer Neuwahl des Ersten Stadtrates oder der Ersten Stadträtin möchte sich die FDP nicht in den Weg stellen, zumal auch die Amtsinhaberin Gelegenheit habe, sich zu bewerben.

Parteizugehörigkeit sollte untergeordnete Rolle spielen

„Geheime Wahlen in Bensheim bringen immer ein gewisses Risiko mit sich“, spielte Franz Apfel (BfB) auf die Erfahrungen der vergangenen Jahre an. Die Mehrheit der Stadtverordneten hat sich mit 24 Nein-Stimmen (17 Ja, eine Enthaltung) gegen eine sofortige Wiederwahl von Nicole Rauber-Jung ausgesprochen. Sowohl für eine Person mit viel Expertise im Bereich Bauen oder aus dem Bereich Finanzen sprechen gute Argumente. Er zeigte sich optimistisch, dass weniger das Parteibuch als die Fähigkeit, gewinnbringende Arbeit für die Stadtgesellschaft zu leisten, bei der Neubesetzung der Stelle eine Rolle spielen werden.

Die Stadtverordneten müssten sich fragen, wohin die Reise gehen soll: „Möchten wir Kontinuität auf vertrauensvoller Basis oder einen Wechsel mit ungewissem Ausgang?“, fragte Rolf Tiemann (FWG). Vor sechs Jahren war der Ton gegenüber Nicole Rauber-Jung noch ein ganz anderer: Der damalige CDU-Bürgermeister Rolf Richter und der damalige Fraktionsvorsitzende Markus Woißyk waren überzeugt, „die Richtige“ gefunden zu haben. „Sechs Jahre später musste sie einen totalen öffentlichen Verriss aus den eigenen Reihen hinnehmen. Natürlich kritisieren auch wir die vielen offenen Baustellen in Bensheim - ob ein personeller Wechsel aber die Lösung der Probleme bringt, bleibt abzuwarten.“ Die FWG werde sich individuell entscheiden.

Rofl Kahnt (VuA) sieht, dass Nicole Rauber-Jung auch bei einer Neuausschreibung der Stelle Chancen haben könnte. „Die Arbeit mit ihr war immer kollegial und häufig auch zufriedenstellend. Das sollten wir wertschätzen, auch, wenn das Amt befristet ist. Die Stellenausschreibung wird nicht so zugeschnitten sein, dass nur eine Person infrage kommt. Die Entscheidung wird zum Wohle Bensheims fallen. Deswegen ist dieser Schritt vernünftig.“

Thomas Götz zeigte sich davon nicht überzeugt. Sein Parteikollege Jochen Kredel ergänzte: „Niemand hat die Gerüchte um Tobias Heinz bestätigt - aber es hat sie auch niemand dementiert. Wir würden uns über ein Statement diesbezüglich freuen.“ An diesem Abend verzichtete die CDU-Fraktion allerdings darauf.

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