Interview

Das plant Erste Stadträtin Rauber-Jung bei einer Wiederwahl

Im Gespräch mit der Redaktion erklärt die Amtsinhaberin, weshalb ganzheitliche Konzepte zur zukunftsorientierten Stadtentwicklung Bensheims nötig sind.

Von 
Anna Meister
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Nicole Rauber-Jung möchte weiter Erste Stadträtin von Bensheim bleiben. Am morgigen Donnerstag stimmt die Stadtverordnetenversammlung entweder für ihre Wiederwahl oder die Vorbereitung einer Neuwahl. © Thomas Neu

Bensheim. Am morgigen Donnerstag wird es spannend in der Stadtverordnetenversammlung: Während die Grünen-Fraktion einen Antrag auf die Wiederwahl von Erster Stadträtin Nicole Rauber-Jung gestellt hat, möchte die Koalition aus CDU, SPD und FDP die Stelle neu besetzen (wir haben berichtet). Die Amtsinhaberin blickt im Interview mit der BA-Redaktion auf die vergangenen Jahre zurück und mit klaren Zielen nach vorne. „Um Bensheim zukunftsfähig aufzustellen, braucht es ganzheitliche Ansätze, die die vielen Interessen im Stadtgebiet vereinen können: Infrastruktur, Wirtschaft, Klima und mehr. Die Nutzungsansprüche auf engem Raum sind hoch.“

Welche Vorhaben und Erfolge Ihrer bisherigen Amtszeit sind Ihnen besonders wichtig?

Nicole Rauber-Jung: Ein wichtiges Projekt für uns war die Auslagerung der Firma Sanner in das Gewerbegebiet Stubenwald II. Dort ging das Verfahren sehr schnell voran, obwohl der Bebauungsplan noch einmal geändert werden musste. Alles hat in guter Abstimmung mit Sanner funktioniert. Ein weiterer Schritt ist nun, das ehemalige Firmengelände in Auerbach weiterzuentwickeln. Wir stehen in engem Kontakt mit der Familie Sanner, die Zusammenarbeit ist konstruktiv und wir verfolgen im Weiteren die Strategie, gemeinsam ein zukunftsweisendes städtebauliches Konzept zu entwickeln. Zum gegebenen Zeitpunkt planen wir hierzu eine breite Beteiligung der Öffentlichkeit.

Ein weiteres Vorhaben, mit dem ich sehr zufrieden bin, und das sich der Fertigstellung nähert, ist die Wohnbebauung in der Dammstraße. Der unglaublich engagierte Investor war überzeugt von seinem Vorhaben, ebenso wie wir. Die Umstände waren für ihn nicht gerade einfach: Das ehemalige Bahngelände hatte seine Tücken, dann machte sich die Corona-Pandemie mit deutlich gestiegenen Rohstoffpreisen bemerkbar, was die Baukosten in die Höhe trieb. Nach rund sechs Jahren dürften die Gebäude im Sommer dieses Jahres bezugsfertig sein. An diese Stellen konnten wir umsetzen, was für eine nachhaltigere Stadtplanung wichtig ist: die Innenverdichtung durch Nutzung innerstädtischer Brachflächen. Bensheim kann nicht immer weiter nach außen wachsen.

Eine deutliche Aufwertung werden wir auch im neuen Gewerbepark in der Fabrikstraße bekommen. Dort haben zwei Grundstückseigentümer ihre Baugenehmigungen erhalten, eine dritte ist auf dem besten Weg dahin.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass unter Ihnen Projekte ins Stocken geraten seien. Was entgegnen Sie?

Rauber-Jung: Mein Ansatz ist es, gewissenhaft und rechtskonform zu planen. Es nützt niemandem, Projekte durchzupeitschen, die einem dann später auf die Füße fallen. Ein Beispiel hierfür ist der Seegenberg in Schönberg. Schon vor meinem Amtsantritt wurde dort ein erster Bebauungsplan aufgestellt. Später stellte sich heraus, dass die Erschließung des Geländes so überhaupt nicht möglich war. Die Planungen wurden damals nicht korrekt durchgeführt, weshalb die Umsetzung noch immer in der Warteschleife hängt. Aktuell arbeiten wir an einem Entwurf für die Offenlage, vorab müssen aber noch weitere grundsätzliche Fragen zu Erschließung und Hangsicherung des Geländes beantwortet werden. Je anspruchsvoller ein Gebiet ist, desto komplexer wird das Vorhaben. Der Erfolg sollte weniger in der Anzahl durchgesetzter Verfahren als in der Qualität der einzelnen Projekte bemessen werden. Ein Beispiel dafür könnte die Entwicklung des alten Heilig-Geist-Hospitals werden. Nach jahrelangen Verhandlungen mit der Denkmalpflege haben wir uns nun gemeinsam entschlossen, noch einmal völlig neu zu denken. Ich sehe die Qualität dieses Standortes, die Entwicklung braucht aber Zeit.

Zu viel Zeit ist der Auffassung vieler Bürgerinnen und Bürger dafür an anderen Stellen vergangen – Stichwort Marktplatz.

Rauber-Jung: Die Gemengelage in Sachen Marktplatz war nach meinem Amtsantritt eine schwierige: Die ursprünglichen Planungen waren gerade gestoppt worden, die Menschen fühlten sich von dem anschließenden Beteiligungsprozess nicht mitgenommen. Zahlreiche Gespräche und Verhandlungen, etwa mit der Marktplatz-BI, führten letztlich zu keinem für alle Seiten zufriedenstellenden Ergebnis. Ganz anders sah es dann aus, als das Vorhaben mit dem Ideenwettbewerb 2024 wieder an Fahrt aufgenommen hat: Ich habe selten so viel Beteiligung an einem Projekt wahrgenommen, die Rückmeldungen waren sehr positiv. Nun haben wir auch ein Büro gefunden, das den notwendigen Flächenbedarf für eine bauliche Nutzung ermittelt, ein Raumprogramm erstellt und erste, voraussichtlich entstehende Kosten für die Umsetzung ermittelt. Diesen Schritt hat die Stadtverordnetenversammlung im Juli 2024 beschlossen.

Welche Vision haben Sie bei einer Wiederwahl für Bensheim in den kommenden sechs Jahren?

Rauber-Jung: Ganz häufig werde ich nach all den Konzepten, die wir für die Stadt Bensheim auf den Weg gebracht haben, gefragt. In der Zeit seit meinem Amtsantritt 2019 habe ich gemeinsam mit meinen Teams eine Menge Projekte angestoßen. Viele von ihnen haben wir bereits beendet, andere nehmen nun gerade richtig an Fahrt auf. Einerseits möchte ich diese Verfahren weiter begleiten, andererseits die Stadt Bensheim nachhaltig weiterentwickeln. Die Zeiten, in denen Dinge wir Bebauungspläne isoliert voneinander betrachtet wurden, sind vorüber. Wichtig ist für eine zukunftsgerichtete Städteplanung, komplexer zu denken. Viele der Konzepte, die derzeit erarbeitet werden oder in Planung sind – Stadtklimaanalyse, Mobilitätskonzept, Wärmeplanung und mehr – setzen genau dort an und werden eng miteinander verzahnt.

Welchen Mehrwert kann diese Verzahnung für die Stadt bringen?

Rauber-Jung: Sinkende Steuereinnahmen – oder gar ein Wegbrechen wichtiger Einnahmequellen, wie wir es im vergangenen Jahr erlebt haben, erfordern effizientere Ressourcennutzung. Eine vorausschauende Planung verhindert kostspielige Fehlentwicklungen und spart langfristig Geld. Wir müssen die Stadt anpassungsfähiger für Extremwetterereignisse wie Hitzewellen oder Starkregen machen. Das gelingt, indem wir zum Beispiel besonders anfällige Bereiche herausdeuten und dort handeln. Grünflächen, Wasserversorgung, Frischluftkorridore – all das trägt entscheidend dazu bei, dass Bensheim ein attraktiver Ort zum Leben bleibt. In diese Maßnahmen hinein greifen Themen wie energieeffizientes Bauen oder nachhaltigere Mobilitätskonzepte. Städte müssen einen gewissen Mehrwert bieten, um Unternehmen und Fachkräfte anzuziehen. Eine gut durchdachte Infrastruktur, Breitbandausbau und ein attraktives Stadtbild fördern Investitionen.

Laufende Projekte im Baudezernat der Stadt Bensheim

  • Das Baudezernat der Stadt Bensheim arbeitet derzeit an einer Reihe von Projekten.
  • Im Bereich Stadtentwicklung und Bauleitplanung stehen mehrere Satzungsbeschlüsse an, darunter für die Gebiete Dorfmühle (Edeka-Markt in Auerbach) und Neuwiesenfeld (Erweiterung des KMB-Sitzes), die im April beschlossen werden sollen. Für das ehemalige Bundeswehrdepot wird ein Kita-Raumprogramm erarbeitet, während die Altlastenerkundung sowie die Ausschreibung für ein Konzept vorbereitet werden.
  • Im Bereich erneuerbare Energien sind zwei Photovoltaikanlagen in Planung: die PV-Anlage Hartbrücke, die Offenlage für den Bebauungsplan soll im April beschlossen werden, und die PV-Anlage Kühruhlache, für die der Beschluss für die frühzeitige Beteiligung ebenfalls im April vorgesehen ist.
  • Weitere Bauprojekte umfassen die Neubebauung des ehemaligen Firmengeländes von Sanner in Auerbach, zu der ein Workshop mit der Politik im März 2025 stattfinden wird, sowie das Projekt Seegenberg, bei dem noch grundlegende Fragen zur Erschließung und Hangsicherung geklärt werden müssen.
  • Im Bereich Verkehr und Infrastruktur werden das Mobilitätskonzept weiterentwickelt, eine Raddirektverbindung zwischen Heppenheim und Zwingenberg geplant (Öffentlichkeitsbeteiligung im Mai/Juni, Beschluss im September) und abhängig von der Regierungsbildung in Berlin die DB-Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim parlamentarisch behandelt. Zudem muss zukünftig das Planfeststellungsverfahren zum Ausbau der A67 begleitet werden.
  • Klima- und Stadtentwicklungsmaßnahmen umfassen die laufende Stadtklimaanalyse (Fertigstellung bis Herbst), den Masterplan Klimaschutz, der in den aktuellen Sitzungsrunden beraten wird, sowie die Wärmeplanung, die bereits gestartet ist. Ein Flächenkonzept für den Regionalplan wird derzeit erarbeitet.

Welche Rolle spielt dabei die interkommunale Zusammenarbeit?

Rauber-Jung: Städte wie Bensheim müssen ihren Ressourcenmangel, finanziell und auch mittelfristig personell, als Chance dafür begreifen, effizienter zu arbeiten. Gemeinsame Projekte und Dienstleistungen mit Nachbarkommunen reduzieren Kosten und steigern die Effizienz. Ein großes Projekt ist neben gemeinsamen Analysen zu den Themen Windkraft oder der Wärmeplanung die Zusammenarbeit mit dem Kreis Bergstraße und den Städten Zwingenberg und Heppenheim: Die Planungen für die neue Raddirektverbindung zwischen den Städten geht voran, schon im Frühsommer dieses Jahres soll eine erste Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden. Im September könnte es dann schon den Beschluss zu Streckenführung geben.

Ohne eine nachhaltige und gut abgestimmte Stadtplanung drohen finanzielle Engpässe, wirtschaftliche Stagnation und sinkende Lebensqualität. Die Zukunftsfähigkeit einer Stadt hängt maßgeblich davon ab, wie frühzeitig und klug sie diese Herausforderungen angeht. Die Bevölkerung altert, was eine Anpassung der Infrastruktur an die Bedürfnisse älterer Menschen erforderlich macht. Gleichzeitig muss die Stadt für junge Familien attraktiv bleiben, um Abwanderung zu verhindern.

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Wie kann das alles bei einem so hohen Defizit im Haushalt gelingen?

Rauber-Jung: Das Maß aller Dinge wird in den kommenden Jahren die Finanzierbarkeit der Projekte und Aufgaben der Stadt Bensheim sein. Wir müssen klare Schwerpunkte setzen und bei jeder Maßnahme Kosten und Nutzen abwägen. Wenn es zum Beispiel um den Masterplan Klimaschutz geht, können wir uns konkret die Projekte aussuchen, die sich mit möglichst wenig Personal schnell und günstig realisieren lassen. Am Ende haben unsere Stadtverordneten die Entscheidungshoheit. Ein wichtiges Ziel, das ich habe, ist, dass die Stadt in eines der großen Städtebauförderprogramme für die Innenstadt aufgenommen wird. Für die Vorbereitung eines entsprechenden Antrags haben wir Mittel in den Haushalt 2025 eingestellt und arbeiten hier mit der MEGB zusammen. Wir müssen zudem neue Wege finden, bestehende Angebote zu erhalten. Ein Beispiel: unsere Sportstätten, in die wir immer gerne investiert haben. Nun müssen wir gemeinsam mit den Vereinen in Bensheim Lösungen finden, wie der Unterhalt der Anlagen weiter darstellbar ist.

Redaktion

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