Bensheim. Im Oktober dieses Jahres endet die sechsjährige Amtszeit von Erster Stadträtin Nicole Rauber-Jung. Wenn es nach ihr geht, dann möchte sie ihr Amt gerne weiter ausüben. Allerdings kann sie dabei nicht auf die Unterstützung ihrer Parteikolleginnen und -kollegen zählen: Die CDU-Fraktion arbeitet aktuell an einem Antrag auf die Einrichtung eines Wahlvorbereitungsausschusses – gefolgt von einer Neuwahl durch die Stadtverordnetenversammlung.
„Ein ,weiter so’ darf es in der aktuellen Haushaltslage nicht geben. Unsere Vorstellung für die Zukunft Bensheims ist nicht mit dem Profil von Frau Rauber-Jung vereinbar“, drückt es Fraktionsvorsitzender Tobias Heinz im Gespräch mit der BA-Redaktion aus. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker der Amtsinhaberin. Unterstützt wird der Antrag von den Koalitionspartnern SPD und FDP.
Die Position der Ersten Stadträtin sei eine Wahlbeamtenstelle, weshalb klar gewesen sei, dass die geleistete Arbeit von Rauber-Jung gegen Ende ihrer Amtszeit auf den Prüfstand kommt. „Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass sie unsere Erwartungen nicht erfüllen konnte.“ Heinz zufolge tritt die Stadtentwicklung auf der Stelle, viele Vorhaben seien zum Erliegen gekommen oder hätten sich zeitlich enorm verzögert, was die Fraktion sowie die Bürger frustriere. „Das muss sich in Zukunft ändern.“ Wer für dieses Amt geeignet sein könnte und ob Heinz vielleicht sogar selbst Ambitionen auf diesen Posten hat, wollte er an dieser Stelle nicht beantworten. Man werde aber sicher einen geeigneten Kandidaten finden.
Dafür sparte Heinz nicht an der Kritik gegenüber seiner Parteikollegin. „In der Vergangenheit wurden Vorhaben stumpf verwaltet und abgearbeitet, ohne dass konstruktive Ideen verfolgt wurden. Die Erste Stadträtin hat eine zentrale Funktion als Bindeglied zwischen Verwaltung und Politik, zwischen Rathaus und Bürgern. Das sehen wir derzeit nicht.“ Weiter spricht der Fraktionsvorsitzende von einer unprofessionellen Umsetzung von Projekten.
So habe die Erste Stadträtin nicht vermocht, das Vorhaben zur Errichtung eines Solarparks an der A 5 voranzutreiben, der „Bensheimer Weg“ sei vor allem sehr steinig verlaufen, war kompliziert und nicht zielführend. Bei den Planungen der Kinder- und Jugendparks in der Taunusanlage gehe es nicht voran, obwohl dort mit Harry Hegenbarth ein verlässlicher Partner für die Umsetzung zur Verfügung stehe (wir haben berichtet). „Beim Neumarkt wurde dem Verfall der Tiefgarage tatenlos zugesehen, das Guntrum-Parkhaus noch in der Adventszeit geschlossen, genau dann, als mehr Menschen in die Innenstadt kamen. Ihnen standen weniger Parkflächen zur Verfügung“, listete er auf.
„Immer offen kommuniziert, an welchen Stellen es hakt“
Nicole Rauber-Jung hat eine andere Sichtweise auf diese Dinge. Im Gespräch mit der Redaktion ging sie auf die von Heinz genannten Punkte ein: So musste sie in Sachen Solarpark erst einmal alle Erkenntnisse, die in mehreren Dezernaten, teils vor ihrem Amtsantritt, gesammelt wurden, bündeln. Dazu komme, dass mit der Streichung der Stelle des zweiten hauptamtlichen Stadtrates eine Menge an Aufgaben neu strukturiert und verteilt werden mussten. Gleichzeitig stand Rauber-Jung bei einer wachsenden Zahl von Aufgaben weniger Personal zur Verfügung: „Bis heute haben wir etwa keine Leitung für das Team Stadtentwicklung.“
Die Amtsinhaberin habe bei Problemen immer offen kommuniziert, an welchen Stellen es hake. So sei auch der Bensheimer Weg letztlich ein guter gewesen, selbst, wenn die Stadtgesellschaft einen langen Atem gebraucht hat. „Das Verfahren war zu jedem Zeitpunkt transparent, trotz Verzögerungen durch Gerichtsverfahren und mehr sind wir mit dem Abschluss des Ideenwettbewerbs zu einem guten Zwischenergebnis gekommen.“ Auf die Ausführung, welche Auswirkungen das Haushaltsdefizit auf einen möglichen Realisierungswettbewerb hat, wird an dieser Stelle verzichtet.
Was die Umgestaltung der Taunusanlage angeht: „Es gäbe nichts Schöneres für uns, als dieses Vorhaben umzusetzen. Wir sehen die Lücke, die beim Freizeitangebot für Jugendliche besteht. Deswegen wollen wir das Projekt nicht als gescheitert abschreiben. Wir müssen es aber finanziell abbilden können.“ Keiner Aufsichtsbehörde sei ein solches Projekt aktuell vermittelbar. Erste Planungen gab es bereits vor einigen Jahren, das damals beauftragte Büro habe allerdings einen überdimensionierte und zu teuren Entwurf vorgelegt. „Kurz, nachdem wir 2024 erste Gespräche mit einem anderen Planungsbüro geführt hatten, kam die Haushaltssperre.“
„Vieles ist in der Realität komplizierter, als es scheint“
Sowohl bei der Stadtbibliothek als auch der Tiefgarage im Neumarkt habe man regelmäßig die Mängel angemahnt, so Rauber-Jung. Es sei leicht, zu behaupten, die Erste Stadträtin habe beim Verfall der Immobilien zugesehen. Viele Abhängigkeiten an diesen Stellen seien lange vor ihrer Amtszeit geschaffen worden.
Abschließend ging sie noch auf das Guntrum-Parkhaus ein: Dort sei die Stadt nicht Herrin des Verfahrens, die Eigentümergemeinschaft habe den Baustart vorgegeben. Bei einer angegebenen Bauzeit von acht bis zwölf Monaten hätte eine Verschiebung der Arbeiten bestenfalls den Effekt gehabt, dass die Parkplätze zwar in der Adventszeit 2024, dafür aber nicht 2025 verfügbar gewesen wären. „Vieles lässt sich plakativ und vereinfacht darstellen. In der Realität sind eine Menge Projekte allerdings komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint“, gibt die Erste Stadträtin zu bedenken.
Nicole Rauber-Jung hätte sich natürlich über die Unterstützung der CDU-Fraktion gefreut. Trotzdem lässt sie sich nicht entmutigen und kündigte an, ihren Hut erneut in den Ring werfen zu wollen. „Ich habe noch viel vor für Bensheim.“ In ihrer Amtszeit sah sich die Diplom-Ingenieurin immer wieder unterschiedlichen Herausforderungen gegenüber, angefangen bei der Corona-Pandemie bis hin zum massiven Einbruch der Gewerbesteuer im vergangenen Jahr und dem damit einhergehenden Defizit im Haushalt. Letzteres dürfte die Arbeit im Baudezernat in den kommenden Jahren maßgeblich prägen. Deswegen plant Rauber-Jung einen starken Fokus auf die Ausschöpfung von Fördertöpfen zu legen, um die Stadtentwicklung trotz knapper Kassen weiter vorantreiben zu können. „Wir sind jetzt endlich an einem Punkt, an dem viele Projekte nach einer Ausbremsung durch Corona oder die schwierige Wirtschaftslage auf die Zielgerade einbiegen. Ich würde mich sehr freuen, sie auch zu Ende bringen zu können.“ Während ihrer Amtszeit habe Rauber-Jung einige wichtige Vorhaben erfolgreich begleitet, darunter die Bebauungsplanung für die Dammstraße in Auerbach, die Entwicklung der Gewerbeflächen in der Fabrikstraße in Bensheim, des Gewerbegebiets Stubenwald II, die Erarbeitung des Mobilitätskonzepts und der Stadtklimaanalyse.
Ohne Frage ist es auf kommunaler Ebene die wichtigste Personalentscheidung in diesem Jahr: Denn die Erste Stadträtin – oder der Erste Stadtrat – muss sich nicht nur als Stellvertreter der Bürgermeisterin behaupten. In den Aufgabenbereich fällt bekanntlich hauptsächlich das Baudezernat. Besonders in einer Stadt wie Bensheim, die trotz mehr als angespannter Haushaltslage ein attraktiver Standort zum Wohnen und Arbeiten, für junge Familien und Gewerbetreibende bleiben möchte, gilt es, viele Herausforderungen fachlich kompetent anzugehen und den zahlreichen und unterschiedlichen Interessen vor Ort gerecht zu werden.
Grünen-Fraktion steht hinter Erster Stadträtin
Für – milde ausgedrückt – Irritationen sorgte bei den Bensheimer Christdemokraten im Zusammenhang mit der künftigen Besetzung der Stelle der Ersten Stadträtin ein Antrag der Grünen-Fraktion vor wenigen Tagen: Denn die fordert die Wiederwahl von Amtsinhaberin Nicole Rauber-Jung.
Streit scheint für die kommende Stadtverordnetenversammlung Mitte Februar damit vorprogrammiert: „Wir lassen uns durch das Vorpreschen der Grünen nicht erpressen. Es liegt auf der Hand, dass die Fraktion einen Konflikt provozieren möchte. Ansonsten ist für uns kein Grund für den Antrag erkennbar. Denn auch die Belange der Grünen wurden während der Amtszeit von Nicole Rauber-Jung nicht aufgegriffen.“ Diese Meinung vertritt zumindest der CDU-Fraktionsvorsitzende Tobias Heinz. Gemäß Koalitionsvertrag habe die CDU das Vorschlagsrecht auf Kandidatinnen oder Kandidaten.
„Wir sind mit der Arbeit der Ersten Stadträtin sehr zufrieden“
Die Grünen indes beschreiben die Situation ganz anders: Auf Anfrage erklärten die beiden Fraktionsvorsitzenden Doris Sterzelmaier und Thomas Götz: „Wir sind mit der Arbeit von Frau Rauber-Jung sehr zufrieden. Insbesondere was die Themen Klimaschutz und Verkehr angeht, sind ihre Positionen und die unserer Fraktion häufig nahe beieinander. Den Masterplan Klimaschutz II halten wir für einen großen Wurf. Bei diversen Bauprojekten gab es Maßnahmen zur Bürgerbeteiligung, die zur Transparenz der Arbeit des Baudezernats beitrugen.“
Auch über die Zusammenarbeit mit der Ersten Stadträtin könne sich die Fraktion nicht beschweren: „Wir haben Frau Rauber-Jung bereits bei ihrer ersten Wahl 2019 unterstützt. Die Zusammenarbeit war immer kollegial, von gegenseitigem Vertrauen und großer Offenheit geprägt, so wie sie es bei Amtsantritt auch allen Fraktionen zugesagt hatte.“
Keine Provokation
In ihrem Antrag sehen die Grünen keine Provokation: „Wir können nicht so recht nachvollziehen, weshalb das so gewertet wird. Dass die CDU ihre eigenen Vorstellungen über die Stelle der Ersten Stadträtin hat, sei ihr unbenommen – dass wir unsere Vorstellungen als Antrag formulieren, ebenso. Und dass der Antrag auf Wiederwahl jetzt kommt, hat mit der Einhaltung gesetzlicher Fristen zu tun“, erklärt die Doppelspitze abschließend. ame
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