Bensheim. Obwohl die meisten Bensheimer wissen, wo der Nibelungenbrunnen ist, nämlich in der oberen Fußgängerzone, schenkt man ihm doch meist nicht viel Beachtung. Das liegt auch daran, dass er oft kein Wasser führt, wegen technischer Komplikationen, die es schon bald nach seiner ersten Inbetriebnahme im Jahr 1973 gab.
Aktuell nimmt man die Konstruktion ohnehin eher als prominenten Blumenkübel wahr: Passend zur Jahreszeit wird er, ebenso wie der Bürgerwehrbrunnen, jeweils mit Blumen geschmückt, die von anliegenden Geschäftsleuten bewässert werden.
Im Jahr 1973 wurde der Brunnen von Bürgermeister Stolle eingeweiht
Der Nibelungenbrunnen ist nicht nur der nördlichste einer ganzen Abfolge in der Hauptstraße, die über Marktbrunnen, Bürgerwehrbrunnen und Lammertsbrunnen bis zum Hospitalbrunnen reicht – er ist auch der jüngste. Aber im vergangenen Jahr hatte auch er sein immerhin schon 50-jähriges Jubiläum.
Eingeweiht wurde der Brunnen im Jahr 1973 von Bürgermeister Georg Stolle, doch der Auftrag war noch von dem 1971 verstorbenen Bürgermeister Wilhelm Kilian erteilt worden. Der ausführende Künstler war Friedrich Höfer, geboren 1940 im Vogtland, Steinmetz und studierter Bildhauer, der mehrere Jahre in Bensheim gelebt hatte, 1969 aber nach Laudenau bei Winterkasten gezogen war, wo er noch heute lebt und sein Atelier hat.
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Höfer hatte seine Ausbildung am Städel 1965 bei Professor Hans Mettel beendet – von Mettel stammt unter anderem der große Bartholomäusfries am Frankfurter Dom. Höfer selbst hatte 1965 das Mittelfenster im Chor der Kirche Mariä Geburt in Aschaffenburg gestaltet und war 1970 mit Standsteinreliefs der Kreuzwegstationen für diese Kirche hervorgetreten.
Für Bensheim sollte er nun den viel härteren Diabas aus dem Westerwald verwenden. Dieses Material, ebenso wie das Thema „Nibelungen“, war von der Stadt vorgegeben. Sein erster Plan, so erinnert sich Höfer heute, sah einen Brunnen ohne Rahmen mit einer hohen Fontäne vor. Doch entschied er sich dann für eine rechteckige Einfassung. Das Wasser sollte von oben über die Reliefplatten mit den Darstellungen aus der Nibelungensage herunterlaufen.
Sieben Reliefplatten mit Szenen aus der Nibelungensage
Schon nach drei Jahren, so Höfer, waren die Bilder aber verkalkt und mit Algen überzogen. Schließlich gab es das Wasser nur noch unten im Becken.
Der massive, quadratische Brunnenstock ist von einem Ring umgeben, der sieben Reliefplatten mit Szenen aus der Nibelungensage trägt. Bekrönt wird die Komposition von einer Darstellung des sagenhaften Schatzes der Nibelungen, die man umschreiten kann. Stilistisch erinnern die Reliefplatten noch an das figurale, die Linie betonende Vorbild des Lehrers Mettel, doch zeichnet sich schon der Weg zu Höfers raumgreifender Betonung des Volumens ab. Dargestellt sind unter anderem der Kampf Siegfrieds mit dem Drachen, die Doppelhochzeit in Worms und die Rheintöchter.
Mit dem Nibelungenbrunnen reiht sich Bensheim in die Städte und Gemeinden ein, die sich im Kreis Bergstraße und dem um den Handlungsort Worms herum liegenden Großraum auf diese mittelalterliche Sage beziehen. Immer wieder wurde versucht, konkrete Orte der Handlung des Nibelungenlieds zuzuweisen. Zum Beispiel gibt es Siegfriedbrunnen oder -quellen in großer Zahl – etwa in Grasellenbach, Hiltersklingen, Lautertal, Lindenfels, Amorbach oder Heppenheim. Dort soll jeweils der Held der Nibelungensage von Hagen von Tronje ermordet worden sein.
Sein Vorgänger war der Herrgottsbrunnen
Von solchem Anspruch ist man in Bensheim weit entfernt. Der Brunnen ist nur ein bescheidener Hinweis auf die regionale Verankerung. Übrigens, so erinnert sich der Bildhauer Friedrich Höfer, war ihm im Anschluss „ein richtiger, großer Auftrag“ in Aussicht gestellt worden – dazu sei es jedoch nicht mehr gekommen, weil der sogenannte Bauamtsskandal Anfang der 1990er Jahre die Bensheimer Politik in Atem gehalten habe.
Der Nibelungenbrunnen ersetzt den historischen Herrgottsbrunnen, der zwar nicht dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen war, aber doch später entfernt wurde. Es handelte sich um einen relativ kleinen, einfachen Brunnen mit sechseckigem Becken und pfeilerartigem Brunnenstock, der mit den gotisierenden Schmuckformen des 19. Jahrhunderts verziert war. Auf alten Bildern sieht man die schon früher schwierige Positionierung auf dem an dieser Stelle der Innenstadt stark abfallenden Gelände.
Auch der Brunnen von Friedrich Höfer hat mit diesen Gegebenheiten zu kämpfen und wurde bei der letzten Umgestaltung des Platzes auf einer abgetreppten Terrasse platziert.
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