Worms. Mit der Götterdämmerung in Wagners „Ring“ haben die überirdischen Wesen abgewirtschaftet. Ihre Welt geht unter, nachdem die Schicksalsfäden in den Händen der drei Nornen reißen. Jene mythologische Mischwesen gelten als die Lenker der Geschicke zwischen Himmel und Erde, doch auch ihnen entgleitet die Macht über das Zukünftige. In Albert Ostermaiers musikalischem Melodram „Falsche Götter“, das jetzt bei den Wormser Nibelungenfestspielen Premiere hatte, legen sich die Nornen am Ende erschöpft schlafen.
Weibliche Ranküne und männliche Macht
Schon immer sind die Stücke, die seit 2002 auf der Festspielbühne inszeniert werden, auch eine Auseinandersetzung zwischen weiblicher Ranküne und männlicher Macht. Frauen, die gegen Besitzansprüche rebellieren, Männer, die sich ihrer Verantwortung für die Folgen ihres Handelns entziehen, werden schonungslos demaskiert. Unterm Strich herrscht in Worms aber die Neigung vor – und das nicht ganz unabhängig von der literarischen Vorlage –, das ewig Weibliche mit einem gewissen Opfermythos zu versehen. Auch die drei Nornen, die im Wormser Theater auf der Bühne stehen, figurieren eine Schöpferkraft, die vom Männlichen, das sie gebiert, verleugnet wird. Man könnte die Nibelungensage als ein mittelalterliches Dokument der Frauenemanzipation lesen, würden auch ihre Heroinen nicht in jene mythologischen Ereignisse verstrickt, die mit dem Untergang eines Menschengeschlechts auf die brennende Götterwelt einsetzen. Albert Ostermaier hat diese Vorgänge in seinem Libretto in einem hohen Ton verfasst, der jenem Sprachduktus folgt, wie der unbekannte Dichter die mythologischen Vorgänge zu beschreiben versucht.
Die drei Schauspielerinnen Sophie von Kessel, Wiebke Puls und Dennenesch Zoudé haben einen Text vor sich, der in seiner verdichteten und gebrochenen Syntax hohe Ansprüche an eine Form der Rezitation stellt, die den Prozessen im Kampf um einen mysteriösen Ring einen dramatischen Ausdruck gibt. In der Regie von Ludger Engels sind die Rollen der drei Nornen auf komplexe Weise miteinander verwoben, streben aber auch immer wieder auseinander. Etwa dann, wenn die Frauen Kleidersäcke aufreißen und Theaterkostüme anlegen, die sie als Wotan, Siegfried oder Brunhilde ausweisen.
Als eine Art Sprechgesang choreografiert, bewegen sich die dynamischen Rezitationen auf einem hohen rhythmischen Niveau. Auf diese Weise lassen sich die gesprochenen Texte eng mit der musikalischen Darbietung synchronisieren, die in diesem Melodram nicht nur eine begleitende, sondern häufig auch eine deutende und kommentierende Funktion hat. Auf der Bühne sitzt ein Streichseptett mit Musikerinnen und Musikern des Münchener Modern String und des Voyager Quartett.
Die Komposition für diese Vertonung durch Andreas Höricht und Winfried Zrenner lässt sich auf eine musikästhetisch reizvolle Weise auf das Libretto Albert Ostermaiers ein. Zitate aus der „Götterdämmerung“ stellen Bezüge zum musikalischen Drama Richard Wagners her, die sich beispielsweise mit den Stabreimen aus dem „Rheingold“ überkreuzen: „Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege!“ Doch versteht es auch das Eigenkompositorische, den tragischen Ton der Sage zu treffen. Gelegentlich mischt sich zeitgenössisch harmonisierte Stilistik mit Jazzelementen. Musik, die auch für sich alleine stehen könnte.
Entschlossen machen die drei Nornen am Ende „Schluss mit aller Heldensaga“, sei sie menschlichen oder göttlichen Ursprungs. An den verblassten Glanz der himmlischen Schicksalsmächte erinnern in Worms drei brennende Kerzen.
Nibelungenfestspiele: Rück- und Ausblick
Der Mario-Adorf-Preis für besondere künstlerische Leistungen bei den Nibelungen-Festspielen 2024 geht an Roger Vontobel. Das teilten die Festspiele in Worms mit.
Mit dem diesjährigen Stück „Der Diplomat“ hat Vontobel bereits zum dritten Mal in Worms Regie geführt. Mehr als 20 000 Menschen haben die Vorführung an insgesamt 16 Abenden gesehen.
Der Preis ist mit 10 000 Euro sowie einer gläsernen Stele mit Drachenmotiv des Illustrators Hendrik Dorgathen verbunden.
Das Stück für die Nibelungen-Festspiele 2025 heißt „See aus Asche – Das Lied der Nibelungen“.
Geschrieben wird es laut Mitteilung von Roland Schimmelpfennig, einem der meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschlands.
Inszeniert wird die Uraufführung von Mina Salehpour.
Die Nibelungen-Festspiele finden im kommenden Jahr vom 11. bis 27. Juli statt. Der Ticketvorverkauf startet voraussichtlich im Herbst. epd/ble
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