Heppenheim. Beim zweiten Kammerkonzert der Saison konnte Forum Kultur zum zweiten Mal nach 2022 das 1988 gegründete Minguet-Quartett in Heppenheim begrüßen. Diese durch über 30 CDs ausgewiesene Formation verkörpert geballte Erfahrung: Gründungsmitglied Ulrich Isfort (1. Violine), Annette Reisinger (2. Violine) und Matthias Diener (Violoncello) spielen bereits seit rund drei Jahrzehnten zusammen. 2020 gesellte sich die grandiose rumänische Bratschistin Aida-Carmen Soanea als künstlerisch perfekt passende Ergänzung zu den drei Routiniers. Etwa zur Hälfte besetzt war der Kurfürstensaal beim aktuellen Minguet-Programm, das als Hauptwerk den einzigen Gattungsbeitrag des Jubilars Maurice Ravel (150. Geburtstag) präsentierte.
Dass die Gäste auch nach so vielen Jahren noch nichts an Leidenschaft und Enthusiasmus eingebüßt haben, bewies schon ihre einleitende Wiedergabe von Haydns populärem „Sonnenaufgangsquartett“ B-Dur opus 76/4 (1797). Markant war hier vor allem der wunderbar süffig-warme Ensembleklang, der eine reizvolle Höralternative zur gängigen historisierenden Interpretationspraxis bot. Klug dosiert und nie überpointiert die Ecksätze, emphatisch ausgesungen das Es-Dur-Adagio, kernig beschwingt das folkloristisch inspirierte Menuett: Dieser Haydn à la Minguet hatte genau jene unprätentiöse wie vergnügte Gelassenheit, welche im Konzertbetrieb eher selten geworden ist.
Ein spannungsgeladenes Finale
Zu den besonderen Qualitäten des Ensembles zählt sein steter Einsatz für entdeckenswerte Raritäten – so auch diesmal im Kurfürstensaal in Gestalt eines noch spätromantisch getönten Jugendwerkes von Arnold Schönberg (1874-1951). Dessen 1897 entstandenes F-Dur-Scherzo war ursprünglich Bestandteil eines ausgewachsenen viersätzigen (D-Dur-)Streichquartetts, wurde dann aber am Ende wohl wegen seiner ungewöhnlichen Länge von fast zehn Minuten durch ein wesentlich kürzeres und leichtgewichtigeres „Intermezzo“ ersetzt.
Die superb harmonierenden Minguet-Musiker warben mit untrüglichem Stilgefühl und Farbensinn für dieses frühe Scherzo-Meisterstück des Anfangzwanzigers, der darin trotz mancher Anklänge an das Vorbild Brahms oder gar an Mahler (Trio-Abschnitte) schon bemerkenswert eigene Wege gerade in Sachen Harmonik und Rhythmik geht. Zum Abschluss der ersten Programmhälfte ließ das Ensemble mit dem innig leuchtenden „Andantino, doucement expressif“ immerhin noch eine kleine Kostprobe aus Claude Debussys ebenfalls singulärem g-moll-Streichquartett von 1893 folgen – jenem wiederum für Ravel zehn Jahre später vorbildhaft werdenden Werk, das man natürlich gerne ganz gehört hätte.
Ravels F-Dur-Quartett ist auch auf der neuesten Minguet-CD vertreten – originell gekoppelt mit zwei effektvoll kontrastierenden Kompositionen des Argentiniers Alberto Ginastera. Die Heppenheimer Aufführung unterstrich den Referenzrang der Gäste: mit Zartheit ohne Verweichlichung im melodiös beseelten Kopfsatz, mit bester Präzision im knackig federnden Scherzo, mit krönenden Bratschensoli im tief melancholischen „Très lent“, schließlich mit ebenso kompromisslos entfesseltem wie souverän kontrolliertem Furor im wahrhaft spannungsgeladenen Finale. Als charmante Abschiedsüberraschung servierte das Minguet-Quartett nach großem Beifall Edith Piafs 1945 herausgekommenen Chanson-Klassiker „La vie en rose“ in einer sehr gelungenen Streicherfassung.
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