Mannheim. Pünktlich auf die Minute kommt Maik Machulla im Trainingszentrum der Rhein-Neckar Löwen zum Interview. Nach einer Einheit in der Halle bringt der Trainer noch einen Kaffee mit, am Nachmittag erwartet er die Spieler erneut in Kronau. Dann zu einer intensiven Laufrunde. Keine Frage: Machulla fordert seine Mannschaft – und sprüht nur so vor Tatendrang. Das spürt und hört man bei jeder Antwort.
Maik, in einem Handball-Managerspiel kaufe ich mir eine Mannschaft mit Spielern aus verschiedenen Vereinen zusammen und dieses Team liefert sofort ab. Das klappt in der Realität allerdings nicht. Wie schnell können die Löwen mit acht neuen Spielern zusammenwachsen?
Maik Machulla: Mit harter Arbeit, gerade was das Spielerische angeht. Aber auch jeder Einzelne steht in der Verantwortung, damit die Gruppe schnell zu einer Mannschaft zusammenwächst und alle ein Gefühl füreinander bekommen. Acht Jungs waren zuletzt beim Waldhof und haben sich das Spiel angeschaut. Und da sage ich als Trainer: „Die haben sich privat irgendwie gefunden und unternehmen etwas zusammen.“ Das freut mich. Ich lege großen Wert darauf, dass Spieler auch außerhalb der Halle Zeit miteinander verbringen. Denn das hilft auf dem Feld. Wir können viele Sachen trainieren und sie zigmal wiederholen – aber die Spieler müssen sich auch verstehen und bereit sein, sich gegenseitig zu helfen. Und was das angeht, habe ich ein gutes Gefühl.
Was ist die größte Aufgabe bei den Löwen für Sie mit Blick auf den Handball?
Machulla: Sieben von unseren acht Zugängen sind komplett neu in der Bundesliga. Die wissen noch gar nicht, wie es ist, in jedem Spiel, egal ob in Erlangen oder Kiel, voll abliefern zu müssen (lacht). Der eine oder andere steckt noch im Spielsystem seines früheren Vereins. Bei Haukur Thrastarson merke ich, dass er zuletzt mit Talant Duschebajew und mit David Cámara zwei spanische Trainer hatte. Bei denen ging es eher darum, das Tempo aus dem Spiel zu nehmen und zu warten, bis der Kreisläufer seine Position hat. Aber das wollen wir nicht. Ich möchte Geschwindigkeit und Breite, der Ball soll schnell laufen. Um das zu verinnerlichen, brauchen wir Zeit.
Reichen sechs Wochen Saisonvorbereitung?
Machulla: Unser Ziel ist es, bis zum ersten Spieltag zumindest eine Formation gefunden zu haben, die uns den größtmöglichen Erfolg garantiert. Und dann müssen wir uns weiter über die Spiele und über das Training aneinander gewöhnen. Es wird bestimmt zu Saisonbeginn unzufriedene Spieler geben, weil sie nicht diese Rolle bekommen, die sie sich vielleicht vorgestellt haben. Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich muss erstmal eine Formation aufbauen, mit der es die größtmögliche Erfolgswahrscheinlichkeit gibt. Für Experimente haben wir vorerst keine Zeit.
Von Ihren vorherigen Stationen kennen Sie es nur, dass jeden dritten Tag gespielt wird. Die Löwen sind aber nicht im Europapokal dabei. Darf der Trainer Machulla jetzt wirklich das sein, was seine Berufsbezeichnung auch aussagt: ein Trainer?
Machulla: Ja, das wird eine ganz neue Erfahrung für mich und auch eine Umgewöhnung. Eine ganze Trainingswoche, kein Spiel dazwischen – das kannte ich bislang nicht. Bei meinen vorherigen Vereinen ging es eigentlich im Laufe der Saison nur noch um Regeneration, jetzt muss ich das ganz anders angehen. Das finde ich spannend und das ist für mich wirklich die größte Herausforderung.
Ist es mit so vielen neuen Spielern ein Vorteil, viel trainieren zu können?
Machulla: Ich wäre gerne im Europapokal dabei. Denn so könnten wir jedem Spieler gerecht werden, ihm eine Rolle und Einsatzzeit geben. Ein paar neue Sachen kann man auch in der European League ausprobieren. Aber diesen Wettbewerb haben wir jetzt nicht und müssen zusehen, dass wir den ganzen Kader bewegen und bei Laune halten.
Nach dem Testspiel gegen Paris sprachen Sie konkret über Dinge, die Ihre Mannschaft besser machen muss. Vielleicht geht es aber noch gar nicht besser wegen der vielen neuen Spieler. Wie schwer fällt es Ihnen, das zu akzeptieren?
Machulla: Ich bin ungeduldig ohne Ende. Als ich das Paris-Spiel analysierte, stachen mir gewisse Dinge ins Auge. Der eine Spieler müsste einen Meter weiter rechts stehen, der andere weiter links und der nächste bewegte sich zu früh. Das sind Details, an denen wir Schritt für Schritt arbeiten. Im Prinzip ist jede Mannschaft wie ein Orchester. Jeder Spieler hat eine Aufgabe. Alles muss aufeinander abgestimmt sein, damit der andere eine bessere Ausgangsposition hat. Es geht um Timing – und da werde ich auch nicht müde, das immer wieder zu betonen. Auch wenn die Spieler irgendwann müde davon werden – aber es ist der einzige Weg, um es verständlich zu machen. Ich möchte so schnell wie möglich mit der Mannschaft auf ein hohes Niveau kommen. Aber ich muss natürlich auch lernen zu akzeptieren, dass es Zeit braucht.
Sind Sie ein lockerer oder ein strenger Trainer?
Machulla: Es geht um die richtige Mischung. Ich bin ja nicht nur der Trainer, der eine Taktik vermitteln will, sondern versuche genauso, eine gute Stimmung zu kreieren, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Die Spieler müssen sich wohlfühlen – und das geht natürlich nicht, wenn man diktatorisch alles vorgibt. Das wäre nicht mehr zeitgemäß und ist nicht meine Art. Wir werden nur gemeinsam erfolgreich sein und ich möchte in gewisser Weise auch ein Partner für die Spieler sein. Dennoch habe ich klare Erwartungen an die Jungs, die ich auch so äußere. Letztendlich sollen die Spieler aber ebenso hohe Erwartungen an sich selbst haben, weil sie gemeinsam den maximalen Erfolg haben wollen. Und das geht nicht nur mit guter Laune, sondern wir brauchen einen stimmigen Mix zwischen Spaß und Fokussierung.
Warum haben Sie sich für die Löwen entschieden?
Machulla: In den Gesprächen mit Uwe Gensheimer habe ich sehr schnell festgestellt, dass unsere Vorstellungen vom Handball übereinstimmen. Sonst hätten die Löwen mich vermutlich auch gar nicht erst angesprochen. Sie wussten ja, für welche Spielphilosophie ich stehe. Außerdem arbeite ich total gerne mit jungen Spielern, was hier auch eingefordert wird. Hier können wir gemeinsam etwas entwickeln und voranbringen. Nicht zuletzt sind die Löwen ein bekannter Name mit einer großen Strahlkraft, weit über die Region hinaus. Und was mich angeht, da habe ich nicht gesagt: „Okay, ich setze mich jetzt hin und warte, bis Paris Saint-Germain, der FC Barcelona oder der THW Kiel mich anruft.“ Ich bin davon überzeugt, dass es viele Trainer in Europa gibt, die meinen Job gerne hätten.
Inwieweit ist es ein besonderer Reiz, einen gefallenen Riesen wie die Löwen wieder nach oben zu führen?
Machulla: Das ist eine riesengroße Herausforderung und natürlich komplett das Gegenteil von dem, was ich bei meiner letzten Station in Aalborg erlebt habe. Dort kam ich zu einer Mannschaft, die gerade dänischer Meister geworden war und im Finale der Champions League stand. Da fragt sich vermutlich der eine oder andere Spieler, warum etwas verändert werden muss. Jetzt bin ich bei einem Verein, bei dem sich mir sehr viele Möglichkeiten bieten, wirklich etwas nach meinen Vorstellungen zu verändern. Und das bereitet mir riesengroßen Spaß. Wenngleich mir bewusst ist, wie viel harte Arbeit vor uns liegt. Aber alle sind bereit, einfach einen großen Strich unter die vergangenen Jahre zu ziehen und sich neu zu orientieren.
Sie sprechen von einem „großen Strich“. Aber ganz ehrlich: In den vergangenen Jahren gab es oft einen Neustart, einen Umbruch und sogar einen Fünfjahresplan. Verzeihen Sie mir, aber das kann keiner mehr hören.
Machulla: Und das ist auch richtig so. Ich möchte nichts von dem sagen, weil es ausgelutscht ist. Neustart, Umbruch, Fünfjahresplan – das hilft uns nicht weiter. Ich sage: „Lasst uns demütig sein – aber dabei nicht vergessen, was die Löwen für eine Tradition haben, was sie gewonnen haben und welche Möglichkeiten es hier gibt.“ Also fangen wir jetzt einfach an. Und das beginnt damit, dass ich die Grundtugenden immer sehen will: Laufbereitschaft, Kampf, Aggressivität und Emotionen. Handball ist für mich Kampfsport, Abwehrarbeit ist zu 80 Prozent Einstellungssache. Die Herangehensweise muss stimmen, das fordere ich ein – danach können wir über taktische Dinge reden.
Maik Machulla
Maik Machulla wurde am 9. Januar 1977 in Greifswald geboren .
Der gelernte Kfz-Mechanike r begann seine aktive Handball-Karriere in der Jugend bei Einheit Halle-Neustadt, als 14-Jähriger ging er in das Internat des SC Magdeburg.
Vereine als Profi: SC Magdeburg (bis 2001), SG Hameln (2001-2002), HSG Nordhorn (2002-2010), HSG Ahlen-Hamm und ASV Hamm Westfalen (2010-2012), SG Flensburg-Handewitt (2012-2014).
Größte Erfolge als Profi: Meister (2001), Champions-League-Sieger (2002, 2014), DHB-Pokal-Sieger (2015), EHF-Pokal-Sieger (1999, 2001, 2008).
Vereine als Trainer: HSG Nordhorn (2009-2010), ASV Hamm-Westfalen (2010), SG Flensburg-Handewitt (2012-2017 Co-Trainer, 2017-2023 Cheftrainer), Aalborg/Dänemark (2024), Rhein-Neckar Löwen (seit Juli 2025).
Größte Erfolge als Trainer: Meister (2018, 2019).
Was ist für die Rhein Neckar Löwen in der nächsten Bundesligasaison möglich?
Machulla : Gerade in eigener Halle können wir jeden Gegner besiegen. Aber wir wissen auch, dass über die ganze Saison die Top-Mannschaften konstanter sind und auch ein anderes Selbstverständnis mitbringen. Die Füchse Berlin, der SC Magdeburg, die SG Flensburg-Handewitt, der THW Kiel und auch die MT Melsungen stehen ein Stück weit über allen anderen Mannschaften. Es wäre respektlos und wenig reflektiert, wenn wir sagen würden, dass wir diese Vereine angreifen wollen.
Bedeutet also, dass die Löwen im besten Fall Sechster und damit die Besten vom Rest werden können?
Machulla: Es kann Platz sechs, aber auch Platz zehn werden. Ich werde mich nicht auf eine Platzierung festlegen. Die TSV Hannover-Burgdorf, der VfL Gummersbach, der TBV Lemgo Lippe und wir – das ist alles eng beieinander. Wenn man da Sechster werden will, darf man sich so wenige Ausrutscher wie möglich erlauben. Solche Niederlagen tun richtig weh – und die werde ich nicht akzeptieren.
Sie haben die Historie des Vereins und die Erfolge angesprochen. Sind die Löwen noch ein Topclub?
Machulla: Im Moment gehören wir sportlich sicher nicht zu den besten vier Mannschaften der Liga. Wie gesagt: Wir können in einem Spiel ein Topteam schlagen, aber wir müssen auch über eine ganze Saison mithalten. Nach meinem Empfinden wissen unsere Fans aber sehr gut, an welchem Punkt wir uns gerade befinden. Schauen wir uns Schalke 04 an. Dort reden sie immer noch davon, dass sie ja eigentlich ein Fußball-Erstligist sind. Aber es ist besser, die Realität zu akzeptieren. Und was das angeht, sind wir im Augenblick ein mittelmäßiger Bundesligaverein.
Mit Blick auf die Kaderkonstellation und die Vertragslaufzeiten kann diese Löwen-Mannschaft zu einem sehr großen Teil in den nächsten Jahren zusammenbleiben. Wäre es nach dem Weggang von Ivan Martinovic nicht eine Option gewesen, anstelle von Lukas Sandell direkt Jacob Lassen vom HSV Hamburg zu verpflichten? Er kommt im Sommer 2026 ohnehin.
Machulla: Die Idee hatten wir. Aber der HSV hat recht schnell sehr deutlich gemacht, dass dieser Transfer eher nicht oder nur zu einem hohen Preis möglich ist. Die Löwen haben mit dem Verkauf von Martinovic nach Veszprém einen richtig guten Deal gemacht, gleichzeitig war plötzlich Sandell auf dem Markt. Ich bin extrem überzeugt von Lukas, auch wenn diese Zwischenlösung ein wenig unsere Entwicklung blockiert. Aber aus Sicht des Vereins hätte es überhaupt keinen Sinn gemacht, das Geld aus Veszprém gleich nach Hamburg zu überweisen.
Offen ist für den Sommer 2026 eigentlich nur noch die Personalie Jannik Kohlbacher. Bleibt er?
Machulla: Die Gespräche laufen. Kohli ist ein wichtiger Spieler in dieser Mannschaft und er ist bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und das Team zu führen. Diese Rolle will er annehmen, das sehe und das spüre ich. Ich bin sehr zufrieden mit ihm. Und dass er als Spieler gut zu dieser Mannschaft passt, steht außer Frage. Deswegen sprechen wir mit ihm.
Mit Kreisläufer Aron Seesing, Rechtsaußen Marius Steinhauser und eben Rückraumspieler Lassen stehen für 2026 schon drei Zugänge fest. Die Löwen agieren mit Weitblick.
Machulla: Bei Transfers muss man früh dran sein und die Dinge auch relativ zeitig entscheiden. Das ist mir extrem wichtig, damit wir nicht hinterherrennen, sondern agieren und nicht reagieren. Ich will einfach nicht böse überrascht werden und auch immer einen Plan B in der Tasche haben. Zu spät dran zu sein bedeutet: Entscheidungen werden unter Druck getroffen und man verpflichtet Spieler, die man vielleicht nicht zu 100 Prozent haben will. Oder man ist vom Spielerberater abhängig – und dann wird es teuer. Das alles wollen wir nicht für die Löwen.
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