Heppenheim. Um kurz nach 10 Uhr stehen die Ersten schon in der Schlange am Seiteneingang des Stadthauses. Kurze Zeit später erstreckt sich diese bis hinunter zur Buchhandlung: „Wollt ihr alle einen Fischweck“, fragt ein Passant am Dienstagvormittag in Richtung der vielen Menschen. Der Gag kommt nicht von ungefähr: Es ist Wochenmarkt und der Fischstand steht direkt vor dem Stadthaus. Aber natürlich denkt keiner der Wartenden in diesem Moment an ein Matjes-Brötchen. Alle stehen sie Schlange für eine Spritze, denn das Impfteam des Kreises macht Station in Heppenheim.
Eine der Ersten in der Reihe ist Margret Kasper aus Lampertheim; sie ist zum Boostern hier und froh, dass sie das vor ihrer geplanten Berlin-Fahrt erledigen kann. Anne Rieger aus Bensheim steht mit Rollator in der Schlange. „Was soll ich denn sonst machen?“, fragt sie. „Ich bin schon über die Zeit für die Booster-Impfung und habe bisher keinen Termin gekriegt. Da haben sie was falsch gemacht“, kritisiert die Seniorin die Regierungsverantwortlichen.
Keine Hoffnung auf Termin
Auch Christina Fischer ist unter den Wartenden. Die Geschäftsfrau hat es nur wenige Schritte zum Stadthaus. Sie erzählt, dass ihr Hausarzt komplett überlastet sei und ihr für dieses Jahr keine Hoffnung mehr auf einen Termin gemacht habe. Sie selbst hat als Erstimpfung den Impfstoff von Johnson & Johnson bekommen, hier empfiehlt die Stiko dringend eine Auffrischung für jeden. Sie habe sogar bereits eine Mail an den Kreis geschrieben und darum gebeten, dass wieder dezentrale Impftermine angeboten werden. „Ich fand es wichtig, das mitzuteilen, weil man ja nie weiß, was den Verantwortlichen übermittelt wird.“ Zwei Tage später hat sie dann von den Impfangeboten des Kreises erfahren.
„Mein Hausarzt dreht am Rad“, so Karl Heinz Hortsch aus Birkenau. Dass das so ist, dafür hat er durchaus Verständnis, da dieser gerade auch gegen Grippe und Gürtelrose impfe. Benjamin Helm ist genesen und braucht nach einem halben Jahr nun seine Impfung. Beim Hausarzt hätte der Schüler deutlich länger warten müssen. Eine junge Frau holt sich heute ihre allererste Impfung ab. Warum? „Weil es sein muss. Ich will am öffentlichen Leben teilnehmen“, erklärt sie. Zur moralischen Unterstützung hat sie eine Freundin dabei.
Während die Schlange draußen wächst, sind die Ersten schon durch und voll des Lobes für den Ablauf und das Impfteam. Mit dem Fahrstuhl geht es in den Keller des Stadthauses. Im Wartebereich werden die notwendigen Unterlagen ausgefüllt, dann geht’s zum Impfen in den großen Proberaum. Es läuft gut. Nur ab und zu gibt es Diskussionen, müssen Leute weggeschickt werden, bei denen die sechs Monate nach der zweiten Impfung noch nicht vorüber sind, die Voraussetzung für die Booster-Impfung sind.
Draußen haben die Letzten in der Schlange mittlerweile Angst, nicht mehr an die Reihe zu kommen. 150 Impfungen können an diesem Tag angeboten werden. Doch das Impfteam denkt mit: Immer wieder kommt jemand und zählt die Wartenden kurz durch. Keiner soll umsonst warten müssen.
Angebote für Einsatzkräfte
Wer wartet, hat Zeit und kommt ins Gespräch. Die Geschichten sind nahezu überall gleich: Die Menschen versuchen, sich impfen zu lassen, haben aber beim Hausarzt keinen oder nur einen sehr späten Termin bekommen. „So was wie heute hätten sie schon früher machen müssen“, sagt eine Frau. „Mein Hausarzt impft gar nicht mehr gegen Corona“, sagen etliche in der Schlange. Auch Landrat Christian Engelhardt schaut vorbei, diskutiert mit und beantwortet Fragen. Etwa die, ob es für den Feuerwehren und Rettungsdienst wieder Impfangebote geben werde. Das kann er bejahen. Warum das Impfzentrum nicht wieder öffne, wollen einige wissen. „Das habe ich dem Land vorgeschlagen“, erwidert er. Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und Sozialminister Kai Klose würden das nicht für nötig halten. „So viele Menschen wären nicht hier, würde nicht etwas im Argen liegen“, merkt eine Frau kritisch an und erntet dafür viel Zustimmung.
Booster für alle wichtig
„Die Arztpraxen, die impfen, sind kurz vor dem Kollaps, und die Patienten sind zunehmend ungehaltener“, fasst der Heppenheimer Hausarzt Heiko Mikkat die derzeitige Situation zusammen. Er schließt im November für ein paar Tage seine Praxis. Das Personal braucht eine Auszeit. Er selbst wird in dieser Zeit Liegengebliebenes aufarbeiten.
Mikkat hält die Booster-Impfung für alle für wichtig. Er versteht die Empfehlung der Stiko nicht, nur über 70-Jährige und Risikopatienten zu impfen. Es sei überhaupt noch nicht klar, wo der Grenztiter liege. Deshalb rät er zum Booster. Die Arzthelferinnen weisen alle, die keinen Termin bekommen haben, auf die mobilen Impftermine hin. Zunehmend kämen auch Menschen zur Erstimpfung in die Praxis. rid/ü
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