Heppenheim. Seit inzwischen mehr als zehn Jahren besteht für unter Dreijährige in Deutschland der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, doch die Realität ist oft noch eine andere – und der Fachkräftemangel nimmt zu. Im jüngsten Sozialausschuss hatte Heppenheims Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) eingeräumt, dass nicht allen Anträgen auf einen Platz habe entsprochen werden können. Auf Nachfrage zur trägerübergreifenden Quote lieferte die Stadt inzwischen trotzdem beachtlich gute Werte: 93 Prozent der über Dreijährigen seien bis Dezember versorgt, im so begehrten und arbeitsintensiveren U3-Bereich sogar 99 Prozent – „eine positive Entwicklung“. Und doch bleiben Familien mit Absagen zurück. Nicht nur deren Leben steht gerade Kopf.
„Durch das Erfordernis individueller und intensiverer Betreuung kommt es zu geringfügigen Platzreduzierungen“, erklärt die Stadt und spricht für insgesamt 19 Kitas in städtischer (neun), kirchlicher (vier katholisch, zwei evangelisch) und privater Hand (vier). Personal suchen alle Verantwortlichen händeringend.
In besonders unruhigem Fahrwasser befindet sich aktuell die Kita Arche Noach. Sie reduziert ihr maximales Betreuungsangebot nun ab 8. April auf unbestimmte Zeit von zehn auf acht Stunden am Tag. Bei den Eltern regt sich Protest, den sie mit dem Wunsch nach Anonymität dieser Zeitung vermittelten. Sie erhielten am 22. März ein Schreiben, das der Redaktion vorliegt. Darin nennt die Stadt die personelle Situation, die zu teilweisem Notbetrieb führte, selbst „stark angespannt“. In der Konsequenz sollen diejenigen, die bisher das Maximum von 7 bis 17 Uhr in Anspruch nahmen, zwischen vier Optionen wählen, die sich zwischen 7.15 und 8 Uhr beziehungsweise entsprechend 15.15 und 16 Uhr bewegen. Die mehrheitlich ausgewählte Variante soll dann gelten.
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Eigene Lösungsvorschläge, etwa über Eltern oder Studenten das verbliebene Personal zu unterstützen, seien nach Darstellung des Elternbeirats, der auch an Ruheständler denkt, auf Ablehnung gestoßen. Zur Wahrheit gehört freilich, dass die WhatsApp-Gruppe der Arche zwar dieser Tage besonders heiß lief, aber längst nicht alle Eltern dabei sind, geschweige denn aktiv. Eine Mutter berichtete von einer Abmahnung durch ihren Arbeitgeber wegen der vielen kita-bedingten Fehlzeiten. Einer anderen wurde gesagt, dass es so keine Vertragsverlängerung geben dürfte. Ein Vater, dessen Arbeitsvertrag ausläuft, ist unsicher, ob er überhaupt suchen oder trotz Einbußen daheim bleiben sollte.
Die Stadt als größte Trägerin greift bei massiver Knappheit auf ihren Personalpool zurück. Wie zuletzt für Kirschhausen, wo die zuvor katholische Kita Sankt Bartholomäus sowie die bis Jahresende vom Bensheimer Familienzentrum geleitete Sonnenblume nun die städtische Pusteblume bilden. Das Personal aus kirchlichen Zeiten blieb, das Familienzentrum nahm seines mit, weshalb unter anderem zwei Beschäftigte der Arche Noach (freiwillig) wechselten. Da dann drei weitere gingen, geriet die Arche selbst ins Schlingern.
Manche Eltern fürchten, die massiv geforderten verbliebenen Kräfte könnten auch wegfallen
Die Stadt spricht auf Nachfrage von „geringfügig reduzierten Zeiten“. Mit der Umsetzung des Abstimmungsresultats „können wir eine gute Betreuung gewährleisten. Zurzeit laufen Bewerbungsgespräche mit anschließenden Hospitationen, daher sehen wir einer baldigen Verbesserung positiv entgegen.“ Ferner betont sie: „In allen anderen Kitas sind die vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten gewährleistet.“
Allein aus den Reihen der Arche-Eltern ist aber zu vernehmen, dass mindestens zwei weitere Einrichtungen beispielsweise teils kurzfristig mittags schließen würden. Unter anderem das sei in der Arche seit Monaten gang und gäbe. Manche Eltern fürchten, die massiv geforderten verbliebenen Kräfte könnten auch wegfallen. Sie brächten ihnen als Geste Obst und Kuchen zum Aufpäppeln.
Die Stadt nennt indes handfeste Gründe für manche Schieflage: „Durch den Zuzug von geflüchteten Familien, den Ausbau der Neubaugebiete und die geburtenstarken Jahrgänge 2021 und 2022 kommt es in diesem Jahr zu einem temporären Engpass. Erfahrungsgemäß entspannt sich die Situation bis zum Beginn des Kindergartenjahres aufgrund frühzeitiger Einschulungen, von Wegzügen oder individueller Betreuungsmodelle.“
Eine Mutter nennt die Situation gleichwohl „untragbar“ und schildert persönlich: „Ich werde meine Arbeitszeit reduzieren müssen. Mein Mann hat bereits reduziert. Wir werden dadurch in Summe 1500 Euro im Monat weniger Einkommen haben.“ Der benachbarte Krippen-Neubau nährt eher Zweifel, wo doch die Stadt „nicht einmal die bisherigen Einrichtungen vereinbarungsgemäß betreiben kann“. Die Gescholtene freut sich unbeirrt, durch Neubauten künftig „noch besser aufgestellt“ zu sein.
„Die aktuelle Personaldecke in unseren katholischen Kindertageseinrichtungen in Heppenheim ist momentan glücklicherweise ausreichend, um voraussichtlich den Regelbetrieb 2024 aufrechtzuerhalten“, teilt der Zweckverband Unikathe auf Anfrage mit, was „sich zum Beispiel durch Krankheitsausfälle schnell ändern“ könne.
Der evangelische Pfarrer Markus Eichler, Mitglied des Trägervorstands der Gemeindeübergreifenden Trägerschaft Dekanat Bergstraße (GüT), vermeldet für „Johann-Hinrich-Wichern“ einen „uneingeschränkten Betriebsmodus“ bei guter Personalsituation. In der ebenfalls voll belegten Kita Oberlin sei sie „derzeit leider angespannt. Bereits kürzlich musste dem Jugendamt eine Unterschreitung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestpersonalschlüssels gemeldet werden.“ Die Folge: Stundenreduktionen. Der April könne nach den Ferien aber wohl im Normalbetrieb laufen, ehe im Mai durch zwei kurzfristige Kündigungen der nächste Engpass droht. „Die GüT arbeitet mit Hochdruck daran“, dem entgegenzuwirken, heißt es. mbl/ü
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