Heppenheim. Schon beim Betreten des Saalbau-Kinos fühlte man sich am Freitagabend, als wäre man in einer anderen Zeit gelandet: Männer in Knickerbockern oder Gehrock, Damen im Charleston-Outfit – nur echt mit Stirnband mit Feder.
Sogar der große Gatsby ward gesehen. Ganz großes Kino auch die Deko im Stil der Goldenen Zwanziger mit ganz viel Glitzer und Glamour, das Bühnenbild mit Jugendstilmotiv und mittendrin das gülden glänzende und funkelnde Motto des Abends: „Willkommen in den goldenen 20er Jahren“. Allein für Motto und Umsetzung hätte die Hutzelschweizer Fastnacht einen Orden verdient.
Einen Tanz auf dem Vulkan und Fastnacht mit Niveau versprach Bojemoaschder Holger Mitsch im stilechten Tweed samt Schiebermütze. Er sollte recht behalten. Und los ging sie, die etwas andere Fastnacht der Hepprumer Vorstadt.
Nachwuchs tanzt den Charleston
Die Vorstädter trumpften mit dem niedlichsten auf, was sie haben: mit den Kinderballetts. Drei sind es mittlerweile, die Produktion des närrischen Nachwuchses läuft ganz offensichtlich auf Hochtouren. Kleine Charlie Chaplins tanzten mit Stock, Hut und Charme – an Niedlichkeitsfaktor kaum mehr zu überbieten.
Die nächst größeren Vorstadt-Kids verzauberten mit güldenem Outfit und akrobatischen Einlagen. Und auch die älteren Mädchen und Jungen durften sich nach ihrer großartigen Charleston-Darbietung über Beifallsstürme freuen. Später sah man die Balletts noch einmal gemeinsam mit einem tollen leuchtenden Hingucker.
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Märchenhaft ging’s weiter, als Kevin und Ela Wulf ihre Performance aus 2019 weitersponnen: Noch immer wandelte der arme Prinz Kevin samt Diener vergeblich auf Freiersfüßen – hoch zu Ross, besser gesagt Einhorn und mit Selfmade-Pferdegetrappel a la „Ritter der Kokosnuss“.
„Ich sammel Gaaßeknoddl fer unsern Garde, des gibt dicke Kadoffel und grouße Tomade“, verkündete s’Christinsche – großartig die erst elfjährige Cora Schneider – vor der Kulisse des Gaaßebrunnens in der Vorstadt. Gemeinsam mit Mundart-Fürst Franz Rothermel aus Kirschhausen brillierte die Fünftklässlerin in der Bütt.
Duschen ohne Türen?
Der Mundart-Vortrag war nur so gespickt mit Pointen. Das Knoddelkärschel wurde beiseite gestellt, und die beiden guckten mithilfe einer chinesischen Maschine von ihrer Zeit im Jahr 1923 in die Zukunft. Man blickte auf die Eröffnung des Freibads anno 1931, bei der den „Bensemern der Zutritt aus hygienischen Gründen“ verwehr geblieben sei.
100 Jahre später habe man aus hygienischen Gründen die Türen der Duschen abmontiert, erzählt der Opa: „Des glab ich net, dass die in Hepprum sou was mache. Sou dumm sin die net, “ so Christinschens Replik. Ob sie sich da nicht geirrt hat?
Weitere Mitwirkende
Kinderballetts: Alma und Heidi Mohlsberger, Marie und Tilly Milrose, Judith Steyer, Mila und Martha Ziegler, Leonie, Julian und Lara Mitsch, Noah Jäger, Rita, Johann und Oskar Scholz, Cola und Lia Schneider, Carlotta Söhnten, Lorenz Mainberg.
Fleischworschdballett: Oliver Wilkening, Thorben Ruhs, Mirko Ruhs, Sören Ruhs, Matthias Jäger. rid/ü
Babsi und Mandy alias Katja Dreiling und Beate Schmidl vom Sporthotel „Stramme Wade“ begaben sich schweißtreibend auf eine Zeitreise durch 100 Jahre Sportgeschichte. Als Hambacher Abordnung fuhr mit Future-Lenny Guthier und Hyper-Anton Matzke närrischer Nachwuchs mit der Zeitmaschine auf die Bühne.
Bierpreisdeckel gefordert
Norbert Schneider und Robert Köhler, der Hutzelschweizer Doppel-Wumms, forderten den Bierpreisdeckel, überlegten, künftige Koarschler an die Halbstunnebrück’ zwischen Hepprum und Bensem zu babbe und kommentierten die bierlose Fußball-WM und das Abschneiden der deutschen Mannschaft.
Seitenstechen vor Lachen
Matthias „Mättl“ Jägers Auftritt stand einmal mehr unter dem Motto „Mut ist, wenn man trotzdem singt“. Köstlich sein Auftritt im 20er-Jahre-Badeanzug, blau-weiß-geringelt mit Entenschwimmring. Mit seinem Hit „Fastnacht, Fastnacht, wir feiern heute Fastnacht“, brachte er das Publikum im Saal trotz einiger Dissonanzen zum Toben.
Nicht vergessen darf man natürlich eines der Aushängeschilder der Hutzelschweizer Fastnacht: die Combo – Petra und Martin Zipp und Michael Mitsch –, die den Abend musikalisch begleitete. Beim „Lewwerworschtlied“ schlängelte sich die erste spontane Polonaise durch den Saalbau.
Als Uwe Friedrich und Thorben Ruhs alias Günther, der mit seinem Gebiss aussah wie eine Mischung aus Horst Schlämmer und Kloppo und Biggi in der Bütt standen, blieb kein Augen trocken. Seitdem Günther sich nicht mehr Hausmeister schimpft, sondern Facility-Manager, ist er auf ’nem Höhenflug – und tat das so inbrünstig kund, dass er sein Gebiss in hohem Bogen verlor. Die Narren im Saal bekamen Seitenstechen vor Lachen.
Die „Häbbätz“ setzten noch eins drauf, brachten die Stimmung mit Songs wie dem „Bratworschtlied“ oder „Mama ma ma Platz“ zum Sieden. Es war schon fast Mitternacht, als sich die „Bimmelbahn“-Polonaise mit dem musizierenden Walking-Act durch den Saal auf eine schier nicht enden wollende Reise machte. Das Männerballett setzte mit dem kleinen grünen Kaktus in Zylinder und Gehrock und einer anschließenden fulminanten Nummer, bei der die Sakkos und Hemden flogen, den köstlichen Schlusspunkt. rid/ü
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