Straßentheater-Festival

Die Heppenheimer Gassensensationen gingen atemberaubend und poetisch zu Ende

Atemberaubende Shows auf der einen Seite, poetische Momente zum Innehalten auf der anderen Seite zeichnen seit 1993 das Straßentheaterfestival aus.

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jn/ü
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Die Formation La Trócola Circ bot auf der Freilichtbühne der Schwerkraft Paroli, trotz regenfeuchten Bodens. © Dagmar Jährling

Heppenheim. „Es ist einfach schön, wieder so viele Menschen zu sehen, die eine lebendige Gemeinschaft bilden, um sich Theater anzuschauen“, sagt Stefan Behr, der Initiator und künstlerische Leiter der Gassensensationen am Samstagabend, als sich die bereits 29. Auflage des internationalen Straßentheaterfestivals in der Kreisstadt nach vier turbulenten Tagen zum Finale rüstet. „Wir werden weitermachen und hoffen das Beste für die Zukunft.“

Dann schnappt er sich Wischmopps und Putzeimer und macht sich auf in Richtung Freilichtbühne. Dort, auf der „Kappel“, hatte ein zwar nur kurzer, aber für den Bodenbelag der Spielstätte verheerender Regenguss die erste Vorstellung des La Trócola Circ aus Barcelona nur Minuten vor Beginn gestoppt. Soforthilfe war angesagt, um wenigstens die zweite Aufführung zu retten.

Und das hat geklappt. Auch das Publikum war optimistisch und kam in Scharen zurück, sodass sich das Wagnis der Artisten gelohnt hatte.

„Emportats“ – katalanisch für „weggenommen“ – heißt die aktuelle, mit zahlreichen „Best-of“-Preisen bedachte Produktion der Compagnie um Andrea Pérez, und in der Tat verschwindet im 45-minütigen, rasanten Geschehen so manches Objekt und auch so mancher Darsteller immer mal wieder hinter den Türen, die als zentrale Bezugspunkte der Kulisse dienen. Oder als Klangkörper, denn Livemusik spielt eine Hauptrolle in der Show, die minutiös durchchoreografiert ist und der Schwerkraft immer wieder Paroli bietet.

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Jonglage und Parterreakrobatik lassen den Atem stocken, wenn Guillem Fluixá, Aritz Sarnina, José Monreal und Jon Sádaba nicht nur die Jonglierbälle, sondern auch die zierliche Andrea Pérez in die dritte Dimension befördern. Ein eingespieltes Quintett, das die Spannung durch Slapstick-Einlagen und hübschen Klamauk nur noch steigert, denn „humor, mucho humor“ gehört als retardierendes Moment ebenso zum Konzept wie die Risikobereitschaft der Akteure. „Der Boden war zwar noch sehr glatt“, sagt Pérez, „aber wir haben unser Bestes getan.“ Das gab Applaus im Stehen und als Dank von den Akteuren noch einen Song als Zugabe.

Auf dem Parkplatz am Amtshof sorgen derweil Clown Elastic – alias Stéphane Delvaux aus Lüttich in Belgien – und Partnerin Françoise Rochais für Spaß ohne Grenzen. Elastic mischt zunächst sein Auditorium mit „Avanti“ und „Reculo“ auf, bis er die Besucher da platziert hat, wo es ihm gefällt, holt sich ein „Bambino“ auf die Bühne zum Mitmachen und verabschiedet das Kind mit „Bellissimo, finito!“ Elastic spielt virtuos mit den Erwartungen der Zuschauer, indem er alle dehnbaren Objekte zweckentfremdet und dabei improvisiert, was das Zeug hält: eine Show mit Stimmenakrobatik und augenzwinkerndem Vergnügen, die vor allem den kleinen Zuschauern das Lachen zurückbringt.

„Wir haben in diesem Jahr mehr Programme für Kinder vorgesehen“, sagt Beate Thorwirth vom Stadtmarketing. „Die Familien haben es nicht leicht gehabt in der letzten Zeit, da wollten wir ihnen bei den Gassensensationen einen Ausgleich bieten.“ Und das wurde auch gut angenommen, sowohl das Mitmachfest als auch das Zaubertheater mit Jakob-Ja & Lucy-Lu am Spielort Saalbau-Kino.

Kleiner Besucherrückgang

Es gab zudem Laternenführungen für Kinder, Figurentheater mit Albert Völkl und – da die Stromer krankheitsbedingt nicht spielen konnten – Vorstellungen des NiMu-Theaters aus Berlin unter dem Motto „Weggehängt“. Insgesamt hat Beate Thorwirth an allen vier Tagen des Festivals zwar einen kleinen Besucherrückgang registriert, aus welchen Gründen auch immer, doch, und das ist ihr wichtig: „Alle Zuschauer waren sehr zufrieden mit unserem Programm und haben den Künstlern mit viel Beifall gedankt.“

Einige Überraschungen gab es zudem: Im Hof der Schlossschule führten Rainer Bauer und Carola Kärcher Schattentheater auf, an der Rathaustreppe war Clara Isenmanns erstaunlicher „Schoßzirkus“ zu sehen, und allen Nachtschwärmern leuchtete Jacek Klinke mit seiner Geschichte vom König, der nicht schlafen konnte, kurz vor Mitternacht heim.

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Atemberaubende Shows auf der einen Seite, poetische Momente zum Innehalten auf der anderen Seite zeichnen seit 1993 das Straßentheaterfestival aus. Nicht wegzudenken sind auch die Helfer des Vereins der Freunde und Förderer der Gassensensationen, die mit viel Einsatz die Sektkübel klappern lassen, um Spenden zu sammeln, damit dieses Event weiterhin ohne Eintrittsgeld veranstaltet werden kann.

Auf der „Kappel“ warb Vorsitzender Bernhard Schwab für weitere Mitglieder und verwies auf eine stolze Bilanz: „In 29 Jahren haben fast 700 000 Besucher 1100 Produktionen der Gassensensationen gesehen. Der Verein unterstützt seit seiner Gründung vor 25 Jahren aktiv das Festival sowohl durch finanzielle Unterstützung als auch logistische, ehrenamtliche Arbeit und hat bislang über eine halbe Million Euro direkt in das Festival investiert.“ Im Jahr 2023 werden die Gassensensationen ihre 30. Auflage erleben. Der künstlerische Leiter Stefan Behr hat für das Jubiläum schon „vieles in petto“. jn/ü

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