Gesundheit

Krankheitswelle überrollt Heppenheims Arztpraxen

Hausärzte müssen sich derzeit um mehr Patienten kümmern als machbar / Hinzu kommt noch die kalte Jahreszeit mit vielen Infekten

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bib/ü
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Jens Braun impft in seiner Heppenheimer Hausarztpraxis. © Jens Braun

Heppenheim. Die Heppenheimer Hausärzte protestieren, wie viele Mediziner andernorts, gegen die Gesundheitspolitik. Hinzu kommt in der Kreisstadt noch der derzeitige Engpass. Nach der Schließung einer Hausarztpraxis Ende September (wir haben berichtet), müssen die übrigen Hausärzte nicht nur die zusätzlichen Patienten versorgen, sondern auch den vielen saisonalen Infekten sowie Corona-Infektionen Herr werden.

„Die Arbeit in unseren Praxen hat sich saisonbedingt zugespitzt, die Zahl normaler Erkältungen hat deutlich zugenommen, wie auch die Zahl der Corona-Fälle“, berichtet Dr. Jens Braun, Vorsitzender des Heppenheimer Hausärztenetzes, aus seiner Praxis. Corona-Erkrankungen verliefen bislang aber „fast ausnahmslos wie eine normale Erkältung, selten schlimmer“. Drastischer erlebt es Hausarzt Michael Reich bei seinen Patienten. „Es ist beileibe nicht so, dass die Coronainfekte so leicht wären, wie banale Erkältungskrankheiten, wie momentan von Regierungsseite dargestellt“, so Reich.

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Dass es keinerlei Regulierungen mehr gibt, sei ein Fehler. „Denn ein grippaler Infekt hat niemals einen negativen Langzeitinfekt, aber die Infektionen mit Covid-19 können im Gegensatz dazu noch lange Beschwerden machen, im Sinne von dem Long-Covid-Syndrom.“ Reich verweist auf volle und überlastete Rehakliniken und Long-Covid-Ambulanzen der Kliniken. Er spricht sich daher deutlich für eine Maskenpflicht, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Supermarkt, aus. In die Praxis kämen Patienten mit Atemwegsinfekten deshalb nur mit Maske, auch versuche man, sie etwas abseits in Behandlungszimmer zu setzen.

So oder so, im Praxisalltag gibt es derzeit viel zu tun. „Aktuell kommen bei uns 20 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen pro Tag zusammen“, berichtet Braun. Während bei meldepflichtigen Erkrankungen wie etwa Covid-19 eine telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt werden darf, müssen normale Erkältungspatienten die Praxis aufsuchen und untersucht werden. Nicht immer klappt die digitale Überlieferung an die Krankenkasse, sodass das Praxispersonal am Abend oft die Bescheinigungen ausdrucken und per Post an die Krankenkassen senden muss. Auch in der Praxis von Michael Reich kommt es so immer wieder mal zu Überstunden. Besonders ärgerlich, weil diese wegen „völlig unnötigen und von uns nicht beeinflussbaren Regelungen“ zustande kommen. Montags kann das auch mal 50 bis 60 Krankmeldungen betreffen. So fürchten die Mediziner der Kreisstadt auch Ähnliches für das E-Rezept.

Seit Juli 2023 gibt es dieses, ab Januar 2024 wird es verpflichtend für verschreibungspflichtige Medikamente. „Wir würden uns über gute Telematikanbindungen freuen und manches hätte vielleicht sogar den ein oder anderen positiven Effekt“, stellt Reich klar. Doch er fühlt sich als „Beta-Tester“ und erklärt, dass die Ärzte letztlich dafür bezahlen. „Die Gelder, die wir dafür zur Verfügung gestellt bekommen, decken kaum einen Bruchteil der Kosten ab.“

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Neben den Infekten beschäftigen die Praxen derzeit vor allem auch die verschiedenen, durchaus empfohlenen, Impfungen, etwa gegen die Grippe oder Covid. Das bedarf oftmals intensiver und zeitaufwendiger Beratung, heißt es vom Hausärztenetz. In manchen Praxen müssen die Medizinischen Fachangestellten daher am Mittwochnachmittag Überstunden machen, um den Ansturm bewältigen zu können. „Manche Medizinischen Fachangestellten haben schon über 100 Überstunden. Keine Ahnung, wann die jemals abgefeiert werden sollen“, konstatiert Braun. Indes gibt es auch bei den Angestellten sowie bei den Ärzten stressbedingt vermehrt Infekte.

In einigen Praxen, auch in jener von Jens Braun und Margot Siebein, herrscht chronischer Personalmangel. Es fehlt an Medizinischen Fachangestellten. „Daher ist das Telefon nicht immer besetzt, die Patienten müssen lange in der Warteschleife sein, bevor der Anruf entgegengenommen werden kann.“

Nicht selten schreiben Patienten dann Mails, teils seitenlang, und beschweren sich über Wartezeiten oder Terminknappheit. Auch medizinische Fragen landen in den Mails, diese dürfen die Praxen jedoch aus Datenschutzgründen nicht per Mail beantworten. Versuchen die Mediziner dann, die Patienten zurückzurufen, sind viele nur schwer zu erreichen. „Der bürokratische Aufwand steigt, das Hamsterrad dreht sich weiter.“ bib/ü

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