Gesundheit

Ärzte in Heppenheim fürchten Strafzahlungen

Das Hausärztenetz sieht die Praxen in einer unglücklichen Lage

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bib/ü
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Volle Wartezimmer - Hausarztpraxen haben viel zu tun. © dpa

Heppenheim. Grippewelle und Erkältungszeit sind in den Arztpraxen längst angekommen. Die Mediziner und ihre Medizinischen Fachangestellten haben alle Hände voll zu tun, auch das Personal ist vor Infekten nicht gefeit.

Seit Ende September ist die Praxis von Mareile Geiß geschlossen, auf die Hausärzte der Kreisstadt kamen deshalb noch eine Menge zusätzlicher Patienten hinzu. Eine Nachfolge ist für die Praxis erst ab Januar geplant. Die Heppenheimer Mediziner sehen sich in einer misslichen Lage.

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Mehr als 3000 Patienten behandelte Geiß pro Quartal, heißt es vom Hausärztenetz. Darunter 160 Heimpatienten sowie „zahlreiche weitere Hausbesuchspatienten“. Etwa einen Monat läuft nun also bereits die Vakanzzeit, in der die Patienten von den übrigen Hausärzten betreut werden müssen. „Wir haben festgestellt, dass es uns schwerer fällt, als wir dachten, diese 160 Altenheimpatienten in diesen drei Monaten zu betreuen“, konstatiert Dr. Jens Braun, Vorsitzender des Hausärztenetzes.

Ärzten drohen Strafzahlungen

In den Praxen herrscht ohnehin Personalmangel, die eigenen Patienten binden die Kapazitäten. „Wir haben uns sehr schwergetan, wie wir uns da mit der Vertretung arrangieren“, so Braun.

„Die alten Menschen sind wichtig, sie sollen nicht hinten herunterfallen“, betont der Mediziner. Die Versorgung falle schwer, die Arbeit überschreite die Belastungsgrenze. „Wir versuchen, das zu stemmen“, betont Jens Braun. „Aber es kann natürlich im Einzelfall sein, dass die Betreuung der Patienten nicht optimal sein wird.“

Hinzu kommt jedoch ein weiteres Problem. „Uns drohen Regresse.“ Die Ärzte bekommen Strafzahlungen, wenn sie zu viele Patienten mit Hausbesuchen versorgen, so die Befürchtung. Entsprechende Ankündigungen gab es seitens der Krankenkassen schon bei mehreren Ärzten. Wie hoch diese Strafen sein werden, hängt vom Arzt individuell ab und wie viele beziehungsweise welche Leistungen abzurechnen sind. Durchaus kann ein fünfstelliger Betrag zusammenkommen, heißt es von den Hausärzten.

Um dagegen vorzugehen, hat sich das Hausärztenetz mit einem Antrag an die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) gewandt. Sie fordern für das vierte Quartal des Jahres eine Sonderregelung für die Heppenheimer Hausarztpraxen. Regresse, die durch das erhöhte Arbeitsaufkommen infolge der Betreuung der Geiß-Patienten ausgelöst wurden, sollen ausgesetzt werden. Bislang blieb der Antrag unbeantwortet, so die Mediziner.

„Für die Mehrarbeit bestraft“

Rund 20 Prozent mehr Hausbesuche als bislang haben die Heppenheimer Hausärzte, schätzt Reinhard Blessing, stellvertretender Vorsitzende des Hausärztenetzes. „Da wird man dann für die Mehrarbeit bestraft, statt dass wir Geld damit verdienen.“ Doch das sei letztlich nicht das Hauptproblem, sind sich die beiden Vorsitzenden einig. „Es geht uns nicht um das Geld. Es ist aber demoralisierend, wenn man die 13. Stunde dranhängt am Abend und kriegt dafür noch eine Strafzahlung“, betont Braun.

Dass das System hinkt, findet auch eine Hausärztin aus dem Weschnitztal. Sie möchte anonym bleiben, berichtet jedoch dieser Zeitung, dass sie Probleme bei der Übernahme von Patienten hat.

Die Medizinerin würde gern noch Patienten aufnehmen, auch aus Heppenheim, doch sie bekommt eine Abstaffelung der Bezahlung, da es eine Überversorgung an Ärzten gäbe. Die übernommenen Patienten aus der Kreisstadt würden voll abgestaffelt. „Aktuell liege ich nur noch bei 25 Prozent statt 100 Prozent – das entspricht nicht mal 15 Euro in drei Monaten!“

Die Lage ist „nicht optimal“

Ob die Lage sich mit der Nachfolge der Heppenheimer Arztpraxis im Januar von allein wieder ändern wird, ist noch unklar. Es bleibe noch dahin gestellt, ob die neue Ärztin eine ähnlich große Zahl von Patienten behandeln werde, wie zuvor geschehen, so das Hausärztenetz. Langfristig jedenfalls sehen sich die aktuellen Heppenheimer Hausärzte nicht in der Lage, neue Patienten anzunehmen.

Dass die Lage in Heppenheim derzeit „nicht optimal“ ist, bestätigt auch die Kassenärztliche Vereinigung Hessen auf Nachfrage. Sie gibt jedoch einen Grund, für 2024 auf Besserung zu hoffen:

„Daher hat der zuständige Zulassungsausschuss für Heppenheim anderthalb zusätzliche Arztsitze genehmigt. Werden diese Sitze besetzt – und es gibt momentan durchaus positive Signale und Gespräche diesbezüglich –, würde sich die Situation in 2024 entspannen.“

Hinzu käme dann eben noch die Übernahme der Praxis von Mareile Geiß im Januar.

„Eine Übernahme der Patientinnen und Patienten von Mareile Geiß durch andere Hausarztpraxen ist demnach zukünftig nicht notwendig“, erklärt KVH-Sprecher Alexander Kowalski. „Als KV sind wir in Heppenheim also entsprechend aktiv, um die Versorgungssituation zu verbessern.“

Bezüglich der Regresse räumt Kowalski ein, dass dies nicht Sache der KV sei, sondern der Prüfungsstelle. Diese wird gemeinsam gebildet aus Vertretern der Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigung, so Kowalski.

Sind die Abrechnungen plausibel?

So sei die KV zu Plausibilitätsprüfungen verpflichtet. Dabei werden Abrechnungen der Vertragsärzte überprüft, „insbesondere im Hinblick auf den zeit- und patientenbezogen Abrechnungsumfang“.

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Sind die Abrechnungen implausibel, wird dies vom sogenannten Plausibilitätsausschuss festgestellt. „Nur weil eine Abrechnung zeitlich auffällig ist, bedeutet das aber nicht, dass sie nicht rechtmäßig ist“, so Kowalski. „Wir haben insofern im Rahmen der Plausibilitätsprüfungen zu analysieren und zu ermitteln, inwieweit zeitliche Auffälligkeiten erklärbar sind.“ bib/ü

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