Bensheim. Die Fraa vun Bensem, die wir im ersten Teil unserer Sommerserie vorgestellt haben, hat ihren festen Platz im Herzen der Bensheimer. Doch gab es noch viele andere Sagen und Erzählungen, die heute kaum noch bekannt sind. Die schönsten von ihnen haben wir im heutigen Beitrag zusammengestellt.
- Eine fast vergessene Quelle ist die 1853 veröffentlichte Sammlung von Johann Wilhelm Wolf, der – angeregt durch die Brüder Grimm – Märchen und Sagen aus dem südhessischen Raum aufschrieb. Die Sagen sind zum Teil sehr skurril und keinesfalls ein Stoff, um ihn Kindern vorzulesen. Insbesondere die folgende Geschichte des vom Unglück verfolgten Bauern erzeugt Grausen.
Die Hexe als Schwein:
In Bensheim lebte ein Bauer, den das Unglück so verfolgte, dass er bald aus einem reichen ein armer Mann wurde. Was er säte und pflanzte, ging zu Grund, und sein Vieh fiel, ein Stück nach dem andern, so dass er endlich wohl sah, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Als er nun eines Abends spät noch ausging, um für seine Frau, die gerade im Kindbett lag, etwas in der Apotheke zu holen, hörte er über sich in der Luft eine, wie es ihm schien, bekannte Stimme sprechen: „Nein, das darf ich ihm nicht antun, er hat ja weiter nichts mehr, als das Kind.“
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Als er nach Haus kam, sagte er zu seiner Frau, sie solle das Kind heute Nacht zu sich nehmen, er selber legte einen alten Säbel zu sich ins Bett und blieb wach. Um zwölf Uhr ging die Tür auf, eine große Sau kam herein, schnüffelte an der leeren Wiege herum und lief dann auf das Bett zu, wo die Frau mit dem Kinde lag. Da sprang der Mann heraus und hieb mit dem Säbel nach dem Schwein, welches laut grunzend entfloh. Des andern Morgens sah der Bauer eine abgehauene Hand in der Stube liegen, mit dem Ring seiner Mutter daran.
Er lief zu seiner Mutter, fand sie noch im Bett und zog die Decke weg – da war ihr linker Arm mit blutigen Lappen umwickelt, und die Hand war fort. „Ach Mutter,“ sprach er, „warum habt ihr mich zu einem so elenden Manne gemacht?“ – „Schweig nur still,“ sagte sie, „es soll ja alles wieder anders werden, ich bin nur dazu gezwungen worden.“ Von dem Tage an ging es mit dem Bauern wieder vorwärts, die alte Frau ist aber seitdem ohne Hand herumgegangen.
- Mit den Reichenbachern scheint die Bensheimer eine besondere Beziehung verbunden haben. Jedenfalls versorgten sie den Reichenbacher Wald und den Odenwald mit einigen ihrer Spukgestalten, wie die folgenden drei von Wolf gesammelten Geschichten zeigen.
Die schlechten Gemeinderäte:
Vor hundert Jahren hatten die Gemeinden Reichenbach und Bensheim einen Prozess über eine schöne Waldung, die mitten zwischen den Gemarkungen beider Orte lag. Nach dem der Streit lange Jahre gedauert hatte, kam man dahin überein, dass die Sache auf dem Rathaus zu Bensheim durch den schiedsrichterlichen Spruch von zwölf, von beiden Parteien dazu erwählten Männern geschlichtet werden solle.
Von den Reichenbachern wurden sechs Gemeinderäte erwählt, welche das Interesse ihrer Mitbürger aufs Beste zu vertreten gelobten. Als aber die Herren zu Bensheim auf dem Rathaus ankamen, hatten die klugen Bensheimer ein Fässlein ihres besten Weines als Frühtrunk bereitgestellt und tranken nun ihren Gegnern so lange daraus zu, bis dieselben von dem Recht ihrer Wirte ganz durchdrungen waren und den Wald durch feierlichen Spruch Bensheim zusprachen.
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So waren die Reichenbacher schändlich betrogen, die falschen Gemeinderäte aber haben bis auf den heutigen Tag keine Ruhe. Auf Advent steigen sie aus ihren Gräbern heraus und tanzen in dem Walde umher, der durch ihre Schuld jetzt zu der Bensheimer Gemarkung gehört. Oft auch sind sie als sechs Irrwische bis in die Straßen von Reichenbach gekommen, sind vor den Fenstern der Leute herumgetanzt und haben sich gebalgt, dass die roten Funken davon gefahren sind.
Die Müllerin aus Schönberg:
Auf der Herrnmühle in Schönberg wohnte eine Müllerin, die gab sich mit falschem Maaß und Gewicht ab, und als sie tot war, ging sie um in der Mühle und konnte niemand darin wohnen bleiben. Da ward der Zauberer Struwel aus Stettbach gerufen, der fing die Seele der Müllerin und trug sie in einem Sack in die Haal, das ist ein Wald hinter Reichenbach beim Borstein und dort kann ein jeder die Müllerin herumlaufen sehen.
Der Höhmann:
Zwischen Breitwiesen und Bensheim geht schon seit uralten Zeiten ein Geist auf den Bergen umher, welcher der Höhmann heißt. Er erscheint gewöhnlich als ein großer und starker grauer Mann, welcher beim Gehen den Boden nicht berührt, sondern in einer Höhe von ungefähr zwei Fuß über der Erde einherschreitet. Er läuft oftmals den Leuten nach und ruft „He! He!“ und wer dann stehen bleibt und auf ihn wartet, dem springt er auf den Buckel und reitet ihn, bis er zusammensinkt. Wem das begegnet ist, der lebt nicht mehr lang. Der Höhmann zeigt sich auch bisweilen in der Gestalt einer Rehgeis und einmal hat ihn eine Frau aus Reichenbach gleich einem Affen auf einer Wiese herumspringen und Purzelbäume schlagen sehen. Er singt oftmals mit einer überlauten gellenden Stimme. Der Ort, an welchem er sich meistens aufhält, ist die Finsterhölle, eine Stelle im Wald, nicht weit von Knoden.
- Der ehemalige Bensheimer Archivar und Museumsleiter Richard Matthes veröffentlichte 1952 eine Sammlung von Sagen aus dem Kreis Bergstraße. Darin findet sich unter anderem die Geschichte vom „Weinloch“ bei Gronau, das es noch immer gibt.
Wie das Weinloch zu seinem Namen kam:
Folgt man vom Schönberger Kreuz aus dem Knodener Höhenweg in östlicher Richtung, so kommt man nach etwa 300 Meter m linker Hand an eine tiefe mit Bäumen bestandene Schlucht. Dieser direkt am Weg beginnende tiefe Einschnitt befindet sich auf Wilmshäuser Gemarkung und wird im Volksmund „Weinloch“ genannt. Damit hat es folgende Bewandtnis: Vor Zeiten, als die Gronauer noch alljährlich den Zehntwein auf das Schloss in Schönberg liefern mussten, war ein besonders guter Herbst. Er brachte einen Wein, wie es seit Menschengedenken keinen mehr gegeben hatte. Von diesem edlen Tropfen dem Grafen von Schönberg auch nur einen Liter zu geben, schien den Gronauern eine Sünde, und sie sannen nach, wie sie sich dieser verhassten Abgabe entziehen könnten. Bald hatten sie eine Lösung gefunden.
Sie füllten das große Zehntfass mit gewöhnlichem Wasser, spannten die Ochsen vor den Wagen und fuhren es die Höhe hinauf gegen Schönberg. Als sie auf dem Höhenweg am Rande der Schlucht angekommen waren, hielten sie das Fuhrwerk an und stürzten das gefüllte Fass in den Abgrund, dass es zerschellte. Rasch eilte einer der Bauern nach Schönberg zum Grafen, um ihm zu melden, dass der Zehntwein durch einen Unglücksfall ausgelaufen sei. Auf diese Weise behielten die Bauern ihren guten Wein, Die Schlucht aber hieß von diesem Tage an „Weinloch“.
- Eine Sammlung von Sagen findet sich auch in dem 1922 von dem Sprachforscher Karl Wehrhan veröffentlichten Band „Sagen aus Hessen und Nassau“, darin unter anderem diese kurze, hübsche Erzählung.
Pestflämmchen in Schwanheim:
Vor langer Zeit soll in Schwanheim die Pest gehaust haben, die sich in Gestalt eines Flämmchens zeigte. Einmal flog dieses Flämmchen in ein Loch, das von den Leuten schnell zugemacht wurde. So war die Pest gefangen und die Seuche erlosch.
- Dass das Auerbacher Schloss Schauplatz von schaurigen Erzählungen wurde, verwundert natürlich nicht. Hier folgen zwei solcher Geschichten, die erste von Karl Wehrhan, die zweite von Johann Wilhelm Wolf aufgezeichnet.
Der Schatz im Auerbacher Schloss:
Im Auerbacher Schloss liegt ein verwünschter Schatz vergraben. Ein Rabe lässt eine Nuss in den Hof fallen, woraus ein Baum erwächst, aus dessen Holz die Wiege für den Helden bereitet wird, der Schatz und Königskind einmal erlösen soll. Ein Traum verkündete einst einem solchen die Aufgabe.
Wohl entschloss der Held sich hierzu, als aber anstelle eines Mägdleins eine greuliche Schlange mit dem Schlüssel zur Kellerpforte erschien, hinter der ein feuriger Hund die Wache hielt, wurde der Mut des Helden wankend, und nach seinem Schreckensruf verschwand die Erscheinung.
Das Gewölbe im Auerbacher Schloss:
Ein Mann in dem nicht fernen Odenwälder Dorfe Reichelsheim, welcher die Kunst verstand, alle Türen ohne Schlüssel zu öffnen, erzählte oft, dass in den Trümmern des Auerbacher Schlosses ein Gewölbe sei, welches er jedes Jahr besuche. In einem Saal, worin zwölf Männer sitzen, liegen große Haufen Geldes. Er dürfe davon jedes Mal drei Griffe mit beiden Händen zugleich nehmen und während dessen fragte einer an der Tafel: „Was sollen wir mit dem da machen?“ Die andern sagten stets: „Lass ihn nur gewähren.“
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So hatte er es schon lange Jahre gehalten und war ein reicher Mann geworden, aber plötzlich war es zu Ende damit und er verarmte jedes Jahr mehr. Da fragte man ihn, wie das komme und warum er kein Geld mehr in Auerbach hole, und er sprach: „Ich hab’s mit ihnen verdorben und kann das Gewölbe nicht mehr finden. Als das letzte Mal wiederum einer der zwölf Männer fragte: Was sollen wir mit dem da machen? rief ich übermütig, denn ich hatte zu viel getrunken: „Halt’s Maul, du alter Narr!“, aber da standen sie alle von ihren Stühlen auf und fielen über mich her und wie ich herausgekommen bin, das weiß ich selbst nicht. Soviel nur weiß ich, dass ich mich vor dem Gemäuer wiederfand und blaue Male am ganzen Körper hatte, ebenso, dass ich seitdem das Gewölbe vergebens gesucht habe.
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