Zeitreise

Vergeblicher Aufstand - wie die Badische Revolution in Mannheim ihren Anfang nahm

Vor 175 Jahren endete die Badische Revolution und damit die Hoffnung auf Demokratie und Freiheit. Begonnen hat sie in Mannheim, und die hier formulierten Forderungen haben sich bald viele Menschen zu eigen gemacht

Von 
Peter W. Ragge
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Historischer Stich der Barrikade 1848 an der Rheinbrücke. © Marchivum

Mannheim. Heute bräuchte man mindestens das Maimarktgelände. Dort würde ein Zehntel der Mannheimer Bevölkerung hinpassen. Am 27. Februar 1848 ist es der seinerzeit größte Saal der Stadt, der die Menschenmassen gerade so fasst. 2500 Zuhörer sitzen im ehemaligen Sommerrefektorium des Jesuitenkollegs in A 4, 4, genutzt als Aula des Großherzoglichen Lyceums, also Gymnasiums. „2500 Teilnehmer – bei damals 20 000 Einwohnern von Mannheim“, macht Hans-Joachim Hirsch die Relation klar. Es ist immerhin ein Zehntel der damaligen Stadtbevölkerung, und was das auslöst, das ist enorm.

„Selten hatte Mannheim eine Funktion in der Weltgeschichte, aber 1848 ist so ein Jahr“, verdeutlicht der früher beim Marchivum tätige Stadthistoriker Hans-Joachim Hirsch die Bedeutung dieser Versammlung in dem Gebäude in der „Kalten Gass“ nahe der Jesuitenkirche, wo heute das Ursulinen-Gymnasium steht. An diesem Tag hat nämlich Mannheim „zuerst gewagt, [..] der Freiheit eine Gasse zu brechen in Deutschland“, wie es drei Monate später in einer Grußadresse der Berliner Stadtverordneten im Mannheimer Journal an die „Schwesterstadt am Rhein“ heißt.

In Frankreich wird die Monarchie abgeschafft

„Eine großartige Kundgebung“, schreibt die „Mannheimer Abendzeitung“ damals und schildert, dass schon eine halbe Stunde vor Beginn „alle Räume des Saals und der Galerie dicht gedrängt angefüllt“ sind, die Menschen „Kopf an Kopf“ stehen und viele weitere Leute gehen, weil sie einfach keinen Platz mehr finden.

Die 2500 Teilnehmer beschließen ein Papier, das für damalige Ohren unerhört klingt, bahnbrechende Formulierungen enthält und nicht ohne Grund Eingang in das Buch „Geschichte Mannheims in 100 Objekten“ gefunden hat: Es ist die „Mannheimer Petition“, im Untertitel „betreffend die endliche Erfüllung der gerechten Forderungen des Volkes“, wie es auf dem Flugblatt heißt, das an die „Hohe zweite Kammer“ Badens gerichtet ist.

ier fand die bedeutende Versammlung statt: Blick in die „Kalte Gass“, wo früher das Lyceum war. Im Hintergrund die Jesuitenkirche. Das Foto ist ca. 1930 entstanden. © Marchivum

Mannheim gehört seit 1803 zum Großherzogtum Baden, wird von Karlsruhe aus regiert. Die Basis bildet ab 1818 eine Verfassung mit 83 Artikeln und einigen Grundrechten wie Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit der Person, Glaubens- und Meinungs-, Eigentums- und Berufsfreiheit sowie Auswanderungsrecht. In der Praxis freilich hapert es sehr. Missernten, Hunger und eine schwierige Wirtschaftslage verschärfen die Situation. Aber immerhin existiert eine Art Parlament, die Erste Kammer mit Vertretern des Adels und die Zweite Kammer mit – nur von Männern gewählten – 63 Abgeordneten aus dem ganzen Land.

An sie richtet sich der Appell, den die Versammlung in der Aula beschließt. Sie nimmt Bezug auf das, was in Frankreich am 24. Februar 1848 passiert ist. Dort ist der letzte französische König Louis-Philippe abgesetzt und die Zweite Französische Republik ausgerufen worden. In Baden, an Frankreich angrenzend, verbreitet sich diese Nachricht – teils durch Extrablätter der Zeitungen – besonders schnell, und sie macht Lust, auch hier die Monarchie abzuschaffen, zumindest mehr Freiheit zuzulassen. Mannheim habe „als erste deutsche Stadt reagiert“, hebt Heidrun Pimpl vom Marchivum hervor.

Mannheimer machen Druck

„Das alte System wankt und zerfällt in Trümmern“, heißt es in der Resolution: „Aller Orten haben die Völker mit kräftiger Hand die Rechte sich selbst genommen, welche ihre Machthaber ihnen vorenthielten“, doch Deutschland dürfe „nicht länger geduldig zusehen, wie es mit Füßen getreten wird“. Verlangt werden daher „Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne Unterschied der Geburt und des Standes“. Das Papier macht auch deutlich, dass die Verfasser keine Geduld mehr haben: „Die Zeit ist vorüber, die Mittel zu diesen Zwecken zu lange zu beraten“, heißt es.

Besonders mit vier Forderungen dürfe „nicht länger gezögert werden“. Aufgelistet werden dann die „Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Offiziere“, die „Unbedingte Pressefreiheit“ und „Schwurgerichte nach dem Vorbilde Englands“ – also öffentliche Prozesse – und die „Sofortige Herstellung eines deutschen Parlamentes“, das es im Deutschen Bund von 1815 noch nicht gibt.

Ausstellung zur Stadtgeschichte

  • Anschrift: Marchivum – Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung, Archivplatz 1 (Dammstraße/Ecke Bürgermeister-Fuchs-Straße), 68169 Mannheim
  • Stadtgeschichtliche Ausstellung: Die Ausstellung im früheren Ochsenpferchbunker zeichnet auf mehr als 500 Quadratmetern die über 400 Jahre alte Historie Mannheims auf bisher nie dagewesene Weise multimedial und interaktiv nach. Der Bogen reicht von der Gründung der Stadt 1606/07 bis hin zur Gegenwart.
  • Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, am Montag geschlossen, an jedem Feiertag geöffnet außer 24. und 31. Dezember
  • Eintritt: Sieben Euro, ermäßigt 3,50 Euro, Familienticket zehn Euro, Schüler in Klassen zwei Euro.
  • Führungen: Öffentliche Führung wöchentlich sonntags, 15 Uhr, Treffpunkt Foyer im Erdgeschoss
  • Sonderveranstaltungen im Marchivum: Samstag, 2. März, 13 bis 17 Uhr, „Tag der Archive“ mit kostenfreiem Führungsangebot durch das Haus, Mittwoch, 26. Juni, 18 Uhr, Vortrag „Das Ende der Revolution 1849 und der Beginn der Industrialisierung in Mannheim“.
  • Anfahrt: Der Parkplatz liegt in der Bunsenstraße. Die Parkgebühr von drei Euro muss passend bereitgehalten werden. Straßenbahn (Linie 2/Haltestelle Bürgermeister-Fuchs-Straße) und direkt vor dem Haus der Bus (Linien 53 und 60). pwr

 

Ganz neu sind diese Ziele nicht, sondern schon 1847 bei Versammlungen in Offenburg oder Heppenheim ähnlich erhoben worden. Und in der Welt sind die Wünsche nach „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ seit der Französischen Revolution. Aber die Mannheimer machen jetzt mehr Druck, richten an die Karlsruher Kammer den Appell, „dass Ihr diese Forderungen zu ungesäumter Erfüllung bringet“. Dafür stehe man „mit Mut und Blut“ – wobei sich das mit dem Blut später leider bewahrheiten wird. „Das Mannheimer Bürgertum beanstandete besonders eindringlich badische Eingriffe in Presse- und Verlagsfreiheit und das Vereinswesen“, zählt Heidrun Pimpl auf, was die Menschen seinerzeit besonders aufregt. Ebenso ärgert sie die ständige Einmischung großherzoglicher Behörden in Mannheims Stadtverwaltung.

Den Vorsitz im Lyceum hat Johann Adam von Itzstein inne, Mitglied der Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung. Als einer der Wortführer fungiert Rechtsanwalt Gustav Struve, der auch die Petition formuliert. Doch vor allem von Heinrich Hoff, Buchhändler, Verleger und Redakteur oppositioneller Zeitungen, ist überliefert, dass er in „derber Sprache und handgreiflichen Bildern“ das Wort geführt habe. „Je aufreizender und verwegener seine Worte, umso maßloser war der Jubel“, heißt es dazu in den Erinnerungen des Unternehmers und liberalen Politikers Friedrich Daniel Bassermann.

Lob aus Berlin

Aber die Teilnehmer der Versammlung wollen nicht nur ihre Forderungen formulieren, sie wollen sie durchsetzen. Immerhin 600 Mannheimer fahren daher am 1. März 1848 nach Karlsruhe, wo insgesamt 3000 Demonstranten vor das Ständehaus und damit den Sitz der beiden Kammern ziehen. „Die Demonstration wird schnell zur Massenveranstaltung, da die neue Badische Eisenbahn Menschen aus dem gesamten Großherzogtum nach Karlsruhe bringt“, so Pimpl.

Das in Mannheim beschlossene Papier, dem sich längst viele andere badische Städte angeschlossen haben, wird von Friedrich Hecker in Karlsruhe übergeben. Der Mannheimer Rechtsanwalt, ab 1842 jüngstes Mitglied der Zweiten Badischen Kammer, gilt als einer der führenden, auch radikalen Revolutionäre. „Keine Zeit für Zeremonien“, drängt er in Karlsruhe, als man ihm die Regeln der Geschäftsordnung vorhält, die Mannheimer Forderungen schnell zu beschließen.

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Tatsächlich billigt Großherzog Leopold am 2. März 1848 Reformen. Und schon kurz darauf formiert sich in Heidelberg ein Kreis von 51 Parlamentariern aus Süddeutschland, unter ihnen zehn Mannheimer, die einen Siebener-Ausschuss bilden und die Pläne für eine Nationalversammlung vorbereiten wollen. Es sieht zeitweise so aus, als könnte eine friedliche Revolution gelingen, ausgehend von Mannheim. Zumindest seien von ihnen „richtungsweisende Impulse ausgegangen“, findet Heidrun Pimpl. „Was ihr für Deutschland gethan, das ist und bleibt Euch unvergessen,“ heißt es daher in der schon erwähnten Grußadresse der Berliner Stadtverordneten in die Quadratestadt: „Stolz und Dankbarkeit wird jedes deutsche Herz empfinden, so oft Mannheims Name genannt wird“, so der Text.

Aber aus den Impulsen wird nichts – zumindest nicht langfristig. Unter den Revolutionären gibt es keine Einigkeit. Einigen genügt eine Reform der Monarchie, andere verlangen deren radikales Ende und die Ausrufung der Republik. Vielen Teilnehmern am Vorparlament in Frankfurt, wo fortschrittliche Mitgliedern deutscher Ständeversammlungen die Wahl einer verfassunggebenden Nationalversammlung vorbereiten, geht das zu weit.

„Heckerzug“ scheitert

Gerade in Mannheim dominieren jedoch radikalere Strömungen, an der Spitze Hecker und Struve. Als in Karlsruhe der Konstanzer Redakteur Josef Fickler, Mitglied der Republikanischen Partei, auf dem Rückweg in seine Heimat verhaftet wird, entscheidet sich Hecker zur Flucht aus Mannheim – und zum Kampf. Er sei „getragen von der Idee, zu siegen oder unterzugehen für die Befreiung unseres herrlichen Volkes“, schreibt er und fährt an den Bodensee.

Am 12. April 1848 ruft er in Konstanz, weil es da kein großherzogliches Militär gibt, mit Gustav Struve die Republik aus und es beginnt das, was als „Heckerzug“ in die Geschichte eingegangen ist: Ein Marsch durch Baden mit einer Gruppe von Freischärlern, teils nur mit Sensen bewaffnet. Er hofft, dass sich ihm auf dem Weg viele unzufriedene Menschen anschließen, aber er wird viel schneller gestoppt als gedacht. Bereits am 20. April kommt es auf der Scheideck bei Kandern (Südbaden) zur Niederlage, als badische und hessische Truppen den „Heckeraufstand“, wie er genannt wird, niederschlagen, worauf der Initiator in die Schweiz flüchtet und 1849 nach Amerika auswandert.

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Gewaltsame Auseinandersetzungen gibt es aber auch in Mannheim. Sie spitzen sich am 26. April 1848 zu, als Anhänger der Republik aus eilig zusammengetragenem Mobiliar Barrikaden an der Rheinbrücke errichten. Sie wollen verhindern, dass aus der Pfalz bayerische Truppen nach Baden kommen und den Männern des Großherzogs helfen. Bundestruppen, aus Hessen nach Mannheim geeilt, schlagen den Aufstand nieder. „Die Straßenkämpfe an der Rheinbrücke verschärften insgesamt die politische Situation in Baden und waren eine Ursache für die harten Maßnahmen, die diesem Höhepunkt der revolutionären Kämpfe folgen sollten“, so Pimpl.

Bis 10. Mai wird Mannheim vom Großherzog unter Kriegsrecht gestellt, Zeitungen und Vereine werden verboten. 8000 bayerische und Nassauische Soldaten rücken in die Stadt ein, wo dann erst mal Ruhe herrscht – bis auf viele Verhaftungen und Verurteilungen.

Parallel tagt ab 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche die Nationalversammlung – das erste gesamtdeutsch demokratisch gewählte Parlament, das die deutsche Einheit vorbereiten und eine Verfassung mit Grundrechten ausarbeiten soll. Mit Karl Mathy und Friedrich Daniel Bassermann als Unterstaatssekretären gehören zwei Mannheimer der provisorischen Reichsregierung an. Daher keimt bei vielen Bürgern Hoffnung auf, die Lage könnte sich doch zum Besseren wenden.

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Aber in Frankfurt können sich lange Anhänger einer föderal-konstitutionellen Monarchie und einer rein parlamentarischen Republik nicht einigen. Zwar wird am 21. Dezember 1848 mit dem „Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“ erstmals eine Verfassung beschlossen, die maßgebliche Grundrechte garantiert. Der zum Kaiser gewählte König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen lehnt aber im April 1849 das Amt ab, weil er kein Staatsoberhaupt von Volkes Gnaden („Keine Krone aus der Gosse“) sein will. Das Land Baden stimmt zwar für die neue Verfassung, aber viele andere Länder – vor allem Preußen, Bayern und Sachsen – lehnen sie ab. Die Paulskirchen-Versammlung scheitert.

Von Preußen besetzt

Dabei appellieren in vielen Städten Volksvereine an Kaiser und Monarchen, die Verfassung anzunehmen. So versammeln sich am 20. Mai 1949 über 6000 Menschen auf dem Mannheimer Marktplatz. Es kommt überall im Land zu Aufständen und Kämpfen zwischen Revolutionären, die für die Annahme der Frankfurter Verfassung eintreten, und preußischen Truppen, die der Großherzog um Hilfe bittet. Mannheim wird von der Rheinschanze (heutiges Ludwigshafen) aus beschossen, es gibt Gefechte bei Käfertal, Großsachsen und Ladenburg, bis die Preußen am 21. Juni 1849 die Aufständischen bei Waghäusel schlagen.

Der spätere BASF-Gründer Friedrich Engelhorn, Kommandant der Mannheimer Bürgerwehr, erkennt, dass die Lage für die Demokraten aussichtslos ist. Er sorgt, um weitere Zerstörungen und Todesopfer zu verhindern, dafür, dass die Stadt am 22. Juni geordnet an die bei Käfertal und Feudenheim stehenden Preußen übergeben wird. Mannheim wir von preußischen Soldaten besetzt, mit einem Stadtkommandanten an der Spitze, Bürgerwehr und badisches Militär entwaffnet.

Endgültig am Ende ist die Revolution am 23. Juli 1849. Meuternde badische Soldaten, die sich mit den Demokraten solidarisiert und in der Festung Rastatt eingeschlossen haben, ergeben sich den preußischen Belagerern. Großherzog Leopold, zwischenzeitlich in die Bundesfestung Koblenz geflüchtet, regiert wieder von Karlsruhe aus – und greift durch. Kriegsgerichte verhängen zwischen Juli und Oktober 1849 in Offenburg und Mannheim harte Haftstrafen und auch einige Todesurteile. An die Hingerichteten erinnert seit 1874 ein Denkmal auf dem Hauptfriedhof, von nach Amerika emigrierten Demokraten initiiert.

Redaktion Chefreporter

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