Mannheim. Mannheimer, die lange im Ausland waren, umrunden ihn nach der Heimkehr. Hier steigen die meisten Silvesterraketen in den Himmel, hier feiern die Fans große Fußballerfolge, hier finden Stadtfest und Weihnachtsmarkt statt: am Wasserturm. Nirgendwo schlägt das Herz der Mannheimer mehr als hier. Der neobarocke Monumentalbau ist weit mehr als nur das „Hochreservoir“, als das er ursprünglich von der Stadt in Auftrag gegeben worden ist.
Mannheim, das 1891 rund 80 000 Einwohner zählt, wächst durch die Industrialisierung enorm. Die Barockstadt wandelt sich zur Großstadt – doch ein Problem ist seit der Barockzeit ungelöst: die Versorgung mit Trinkwasser. Das gibt es nur aus Brunnen – die oft verschmutzt sind.
Kurfürst Carl Theodor hat sich einst frisches Trinkwasser mit Maultieren, die das kostbare Nass in Schläuchen auf dem Rücken tragen, aus Heidelberg kommen lassen. 1790 beauftragt er zwar Johann Andreas von Traitteur, eine Trinkwasserleitung von Rohrbacher Quellen in die Quadratestadt zu bauen. Das Projekt scheitert aber durch Kriege und den Tod Carl Theodors.
1872 gründet die Stadt eine „Specialcommission“. Sie veranlasst Bohrversuche, um einen Standort für ein aus Grundwasser gespeistes Wasserwerk zu finden, und unternimmt Besichtigungsreisen, um sich über die Nutzung von filtriertem Rheinwasser zu informieren. 1882 beauftragt die Stadt den österreichischem Ingenieur Oskar Smreker mit dem Bau einer Trinkwasserversorgung. Er findet durch das Anlegen von 52 Bohrlöchern einen nutzbaren Grundwasserstrom im Gemeindewald des – noch selbstständigen, erst 1898 eingemeindeten – Dorfes Käfertal. Am 1. Juli 1886 erfolgt der erste Spatenstich für das Wasserwerk Käfertal, das 1888 in Betrieb geht.
Standort und Architektur: Der Wasserturm als Zeichen des Aufbruchs
Smrekers Konzept sieht zudem den Bau eines Wasserreservoirs nahe der Mannheimer Innenstadt vor, um durch diesen Hochbehälter für ausreichend Druck in den Wasserleitungen zu sorgen. Als Standort schlägt er ein Areal östlich der Planken vor, wo 1806 das Heidelberger Tor abgerissen worden war. Hier, auf der „Glaciswiesen“ genannten Fläche, finden lange Hinrichtungen statt, etwa 1820 die des Studenten Karl Ludwig Sand, der wegen seines Attentats auf den Schriftsteller August von Kotzebue 1819 zum Tod durch das Schwert verurteilt worden war. „Sands Himmelfahrtswiese“ tauft der Volksmund den Bereich daher.
Er ist damals außerhalb der Bebauung gelegen, nur die Schwetzingerstadt entsteht gerade. Aber es gibt bereits die Idee einer östlichen Stadterweiterung. Oberbürgermeister Eduard Moll will daher nicht einfach nur einen technischen Zweckbau errichten, sondern ein Zeichen des Aufbruchs setzen. Man habe „von Anfang an weit mehr als ein nur technisches Bauwerk intendiert“, so der frühere Marchivum-Direktor Ulrich Nieß, sondern „zugleich den sichtbaren Ausdruck des Stolzes der Stadt, das Ziel einer modernen Wasserversorgung erreicht zu haben“.
1885 wird reichsweit ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben – unüblich für solch einen Zweckbau. 74 Entwürfe gehen ein. Den Zuschlag bekommt 1886 der erst 23-jährige Stuttgarter Architekt Gustav Halmhuber. Er überzeugt mit seiner mit der lateinischen Sentenz „ars longa, vita brevis“ (lang ist die Kunst, kurz das Leben) versehenen Arbeit. Die „Badische Volkszeitung“ schreibt damals, man werde bei dem Entwurf „eher an ein Nationaldenkmal oder dergleichen erinnert als an einen Wasserturm“. Halmhuber habe aber verstanden, „dass es bei diesem Objekt weit mehr auf ein Kunstwerk ankam, auf eine Krönung städtebaulichen Fortschrittsglaubens“, sagt Nieß.
Aufbau und Gestaltung des Mannheimer Wasserturms
Ein bisschen muss Halmhuber seinen Plan abspecken, etwa den auffällig außen in einem eigenen Treppentürmchen verlaufenden Aufgang zum Hochbehälter in das Innere des Turms verlegen. Dafür fordert die Stadt von ihm, den Haupteingang stärker plastisch hervorzuheben – mit Stadtwappen und badischem Löwenkopf. Die beiden seitlichen Aufgänge, zunächst nur mit Kugeln verziert, erhalten jeweils prachtvolle Sphingen des Bildhauers Carl Cassar, damit bewusst die in der Antike als Tempel- und Grabwächter bekannten Figuren das kostbare Trinkwasser bewachen.
Nieß bescheinigt Halmhuber „bis ins kleinste Detail ein glänzendes Geschick für dekorative Wirkung“. Der 60 Meter hohe Rundturm besteht aus einem Sockel aus Bossenquadern mit einer breiten, zweiläufigen Treppe mit Umgang und zwei seitlichen kleinen, von Sandsteinfiguren eines Tritons gekrönten Pavillons. Darüber erhebt sich das Hauptgeschoss aus gleichmäßigem glattem gelbem Sinsheimer und Mühlbacher Sandstein, untergliedert von zehn Pilastern. Daran schließt sich ein Tambour (frz. Trommel) mit einem Putten- und Girlandenfries unterhalb des Balkengesimskranzes und anschließender Attika an. Darüber befindet sich das kupferbeschlagene Kegeldach mit je zehn Gaubenfenstern und lukenartigen Lichtöffnungen.
In Höhe der Segmentbögen befindet sich im Innern der 2000 Kubikmeter fassende Hängebodenbehälter mit einem Durchmesser von 16,10 Metern aus genietetem Blech, der von unten wie eine Kugel aussieht. Zunächst führt eine Steigleitung mit 500 Millimetern Durchmesser hinauf, um den Behälter zu füllen, und eine 300 Millimeter dicke Leitung dient als Ablauf. Später wird noch ein Rohr mit 200 Millimetern Durchmesser zum Füllen am Turmschaft entlang montiert
Als Bekrönungsfigur plant Halmhuber Hebe, Göttin der Jugend. Der Auftrag geht aber an den Mannheimer Bildhauer Johannes Hoffart, der eine 3,5 Meter hohe, etwa zwei Zentner wiegende Amphitrite, die Gattin des Meeresgotts Poseidon, schafft. Als sie zur Einweihung am 12. August 1889 auf die Spitze gesetzt wird, ist der Wasserturm fertig – und die Baukosten, mit 175 000 Mark veranschlagt, haben sich auf knapp 450 000 Mark erhöht.
Probleme beim Bau des Wasserturms
Schließlich zieht sich der Bau lange hin. 1887 kommt es zu einem Streik, weil die Arbeiter einen höheren Akkordlohn fordern. Immer wieder treten Verzögerungen auf, gibt es Krach mit dem Architekten, der weder beim Baubeginn noch bei der Einweihung da ist. Ab 1886 arbeitet Halmhuber als Mitarbeiter von Paul Wallot am Reichstagsgebäude in Berlin mit, da bleibt für Mannheim keine Zeit. Weil Halmhuber auf eine städtische Aufforderung, fehlende Detailpläne zu liefern und „gefällig in thunlich kürzester Zeit hierher zu kommen“ nicht reagiert, schaltet sie sogar einen Gerichtsvollzieher ein.
Auf den weiter steigenden Wasserbedarf durch die Ansiedlung von Industrie und wachsende Bevölkerungszahlen – auch durch Eingemeindungen – reagiert die Stadt 1906 bis 1909 mit dem Bau eines zweiten Wasserturms auf dem Luzenberg. Ursprünglich hatte es schon vor dem Baubeginn 1886 mal die Idee gegeben, am Standort des später Friedrichsplatz genannten Areals statt einem gleich zwei Türme zu errichten, hintereinander oder nebeneinander, um ein größeres Wasserreservoir zu haben – aber das verhindern die Anwohner.
Der Wasserturm wird zum Mannheimer Wahrzeichen
Gleich mit dem Wasserturm geht der Brunnen Richtung Planken in Betrieb, mit vier Bronzefiguren – je zwei Tritonen (Meeresgötter) und zwei Nereiden (Nymphen). Die gesamte prächtige Anlage am Wasserturm (heute bekannt als Friedrichsplatz) mit Kaskaden und Fontänen entsteht erst zum Stadtjubiläum 1907. Während der Internationalen Kunst- und Großen Gartenbauausstellung umgibt das – provisorisch angebaute – Hauptrestaurant den Wasserturm, der mit 500 Glühlampen zu je 60 Watt erstmals elektrisch festlich illuminiert wird. Der Turm erlebt den Auftritt der amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan mit nackten Füßen – ein Skandal zu jener Zeit, aber auch eine Attraktion.
Seit dem Stadtjubiläum 1907 wird der Wasserturm zum Wahrzeichen und beliebten Treffpunkt des Mannheimer Bürgertums. Das erkennen die Nationalsozialisten, die ihn nach ihrer Machtergreifung 1933 vereinnahmen und über und über mit Hakenkreuzfahnen versehen. Im Zweiten Weltkrieg, beim massiven Bombenangriff in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1943, bleibt zwar der Behälter unbeschädigt, aber die Turmhaube fliegt weg und die Figur der Amphitrite wird in den Wasserbehälter geschleudert.
Wiederaufbau des Mannheimer Wasserturms nach dem Zweiten Weltkrieg
Gleich nach Kriegsende erhält der Turm ein Notdach aus Holz und Dachpappe – aber wie es mit ihm weitergehen soll, bleibt lange offen. Die Stadt erwägt mal einen Abriss, dann plant sie eine Vergrößerung des Behälters auf 3000 Kubikmeter und schreibt 1955 einen Architektenwettbewerb aus. Der preisgekrönte Entwurf von Rolf Volhard von 1956 sorgt allerdings in Mannheim für einen Sturm der Entrüstung. Er will den alten Turmstumpf von allen noch bestehenden Schnörkeln befreien, darauf ein gläsernes, breit ausladendes, sechs Meter hohes Turmcafé für über 300 Gäste platzieren und darüber als Wassertank einen riesigen modernen Baukörper.
„Wasserkopf“, „gläserne Kaffeemühle“ oder „fliegende Untertasse“ wird er schnell genannt. Die futuristischen Visionen werden von den Bürgern in Bausch und Bogen verdammt, das Café als unnötig abgelehnt. „Ich bin gespannt, ob wir Mannheimer Bürger diesmal unser Heimatrecht behaupten dürfen“, fragt sich ein Leserbriefschreiber.
Dabei hilft der „Mannheimer Morgen“. Lange vor der Erfindung von repräsentativen Umfragen druckt er einen kleinen „Stimmzettel“ ab. Die Resonanz ist überwältigend, obwohl die Einsendung viel mehr Mühe macht als ein „Klick“ im Internet. Binnen etwas mehr als einer Woche gehen 4868 Coupons bei der Redaktion ein. 84,3 Prozent der Absender sprechen sich für den Wiederaufbau des Wasserturms in der alten Form aus, worauf der Gemeinderat einlenkt. Zum Zuge kommen beim Wiederaufbau ab 1962 die Neuostheimer Architekten Ferdinand und Heinrich Mündel, die nur einen etwas höheren Wasserbehälter vorsehen, sonst das historische Vorbild erhalten. Seit November 1963, als die neu angefertigte Figur der Amphitrite an die Spitze gesetzt wird, steht das Wahrzeichen wieder so da wie einst.
Ende einer Ära: Der Wasserturm geht vom Netz
Lange wird jeden Morgen zwischen 6 und 8 Uhr jeweils die Hälfte des Inhalts des Wasserbehälters ins Netz gepumpt, das Reservoir bis nachmittags wieder gefüllt. 1999 wird der Behälter endgültig geleert, damit das Gebäude beim Bau einer Tiefgarage nicht in Schieflage gerät, und 2001 der Turm ganz vom Netz des Mannheimer Energieversorgungsunternehmen MVV genommen.
Aber die MVV, Besitzerin des Mannheimer Wasserturms, pflegt ihn weiter, schließlich steht er seit 1972 unter Denkmalschutz, hat gar ab 1987 den Rang eines Kulturdenkmals. Immer wieder wird er saniert, ist der Turm aber auch Schauplatz besonderer Veranstaltungen – ab 1978 vom Weihnachtsmarkt, 1989 von der „Sinnfonie für Amphitrite“, sowie 2011 von der Uraufführung der „Autosymphonic“ zum 125. Geburtstag des Autos.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/leben/erleben_artikel,-erleben-mannheims-wahrzeichen-die-geschichte-des-wasserturms-_arid,2120934.html