Die Jesuitenkirche gleich nebenan, das Nationaltheater gegenüber, das Schloss nicht weit – hier wächst er auf, der spätere bayerische König Ludwig I.: im Mannheimer Quadrat B 4. Heute steht hier ein moderner Wohnblock, und von dem einstigen Palais ist nur der riesige Gewölbekeller übrig, von dem kaum einer weiß und den die Reiss-Engelhorn-Museen als Depot nutzen. Aber die zehn Jahre, die er hier als Junge lebt, sind wichtig für den späteren Regenten.
„Wer Ludwig verstehen will, muss seine Mannheimer Zeit verstehen“, sagt Alexander Schubert, Direktor vom Historischen Museum der Pfalz in Speyer, der ihm derzeit eine Ausstellung widmet. „Sehnsucht Pfalz“ ist sie betitelt, und tatsächlich hat der König Zeit seines Lebens Sehnsucht nach der (Kur-)Pfalz, zu der auch Mannheim gehört.
Ausstellung in Speyer und Rundgänge in Mannheim
Anschrift: Historisches Museum der Pfalz Speyer, Domplatz 4, 67346 Speyer, www.museum.speyer.de.
Ausstellung: Die kulturhistorische Ausstellung „König Ludwig I. – Sehnsucht Pfalz“ über Leben und Wirken des bayerischen Königs Ludwig I. dauert bis 31. März 2024.
Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, in den rheinland-pfälzischen, baden-württembergischen und hessischen Schulferien zudem auch montags von 10 bis 18 Uhr.
Eintritt: einschl. Sammlungen sowie „Kreuz und Krone“ (Domschatz) Erwachsene 11 Euro. Kinder ab 6 Jahren/Schüler/Studenten 5 Euro, Generationenkarte (2 Erwachsene und bis zu 3 Kinder) 22 Euro.
Öffentliche Führungen: immer sonntags um 14 Uhr, Kosten: 5 Euro plus Eintritt.
Anfahrt: Die Zufahrt zum Museum ist im Umkreis von Speyer auf allen Bundesstraßen ausgeschildert. Parkmöglichkeiten auf dem Festplatz, von dort in wenigen Minuten zu Fuß. Mit der Bahn bis Hauptbahnhof Speyer, dann Linienbus am Ausgang Bahnhofstraße rechts, ca. 20 Meter über Postplatz bis zur Haltestelle Domplatz/Museum.
Stadtrundgang: Ein Stadtrundgang mit Tanja Vogel von den Reiss-Engelhorn-Museen durch Mannheim zeigt, wo Ludwig I. seine Kinderjahre verbrachte. Er findet am Sonntag, 10. Dezember 2023 und am Sonntag, 10. März 2024, jeweils 14 Uhr, statt. Treffpunkt Toulonplatz C 5. Die Teilnahme kostet fünf Euro pro Person. pwr
Geboren wird er aber in Straßburg, am 25. August 1786. Sein Vater Maximilian-Joseph von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld – eine der beiden noch existierenden Linien des Wittelsbacher Herrscherhauses – dient als Oberst der französischen Regierung, seine Mutter ist Prinzessin Auguste Wilhelmine von Hessen-Darmstadt. Die Geburt erfolgt am Namenstag des Heiligen Ludwig IX. von Frankreich, und als Taufpate fungiert immerhin König Ludwig XVI. von Frankreich, weshalb Ludwig auch „Louis“ genannt wird.
Mit Steinen beworfen
Aber gegen ihn rebelliert das Volk, es kommt zur Französischen Revolution – und das nicht nur in Paris mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789. Auch in Straßburg gibt es Unruhen, Revolutionäre greifen sogar das Kindermädchen Louise an, als sie mit dem jungen Prinzen zu einer Spazierfahrt unterwegs ist, und bewerfen die Kutsche mit Steinen. Daraufhin entscheidet sich der Vater zur Flucht nach Deutschland.
Das Ziel der Familie ist Mannheim. Da gibt es schließlich ein großes Schloss, das ihr Verwandter, Kurfürst Carl Theodor, nicht mehr bewohnt, seit er 1778 das bayerische Erbe angetreten hat und in München residiert. In die Quadratestadt kommt er seither nur noch selten. „Maximilian-Joseph hofft, Statthalter von Carl Theodor im Mannheimer Schloss zu werden“, so Alexander Schubert, „aber Carl Theodor ist diesem Zweig der Verwandtschaft nicht gerade zugetan, daraus wird also nichts“, so der Direktor.
Maximilian-Joseph entschließt sich dennoch, in der Quadratestadt zu bleiben. „Es ist damals zwar schon ein paar Jahre keine Residenz mehr, aber weiter eine attraktive Stadt“, betont Alexander Schubert. Also kauft Ludwigs Vater (wenn auch „auf Pump“, wie Schubert sagt) 1790 ein Anwesen in Mannheim – nämlich in B 4,2. Es ist das prächtige Palais Dalberg, 1730 erbaut für den Kurpfälzischen Hofrat Wolfgang Eberhard Freiherr von Dalberg (1679-1735). „Nach dem Schloss ist das damals die beste Lage in Mannheim“, so Schubert.
Für den kleinen Ludwig werden es, wie er hervorhebt, „enorm prägende Jahre“. Drei Jahre alt ist er, als er nach Mannheim kommt – zehn, als er wieder wegzieht. „Er sieht aus seinem Kinderzimmerfenster auf das Theater“, so Schubert, „er sieht die Künstler, wie sie im Theater ein- und ausgehen und auch im Palais der Eltern verkehren“. Das Theater erlebt damals unter Intendant Wolfgang Heribert von Dalberg (1750-1806) eine Blütezeit, das gegenüberliegende Palais ist Treffpunkt von Adel und Künstlern und die Verlobte des Schauspielers August Wilhelm Iffland eine Hofdame von Ludwigs Mutter. So sei Ludwigs große Leidenschaft für die Künste und das Theater entstanden. „Er ist da inspiriert worden, der Grundstein zu seinem späteren Kunstsinn wird gelegt“, so der Museumsdirektor.
Aber nicht nur das, sondern ebenso seine „Leidenschaft für schöne Frauen“, wie Schubert schmunzelnd sagt, wird in Mannheim geprägt. Schon als kleiner Junge schwärmt er für die Schauspielerinnen, mit etwa acht oder neun Jahren ist er verliebt in die – neun Jahre ältere – Schauspielerin Karoline Jagemann, die in Mannheim debütiert und später Chefin des Hoftheaters in Weimar wird. „Selbst da haben sie und Ludwig noch Briefkontakt, viele Jahrzehnte später“, weiß Schubert – und wohl nicht nur Briefkontakt. Mindestens 30 außereheliche Affären werden Ludwig nachgesagt, wie der Direktor schmunzelnd erzählt.
Hass auf Frankreich
Doch nicht nur diese Leidenschaften entstehen in der Phase, in der Ludwig in Mannheim lebt. Hier wächst ebenso sein, wie es Schubert nennt, „abgrundtiefer Hass auf Frankreich“. Das liegt nicht nur an der Flucht als kleines Kind. Er bekommt mit, wie er seinen Patenonkel Ludwig XVI. verliert – weil er von Revolutionären mit dem Fallbeil hingerichtet wird. Die linksrheinischen Gebiete des väterlichen Herzogtums Pfalz-Zweibrücken werden von französischen Revolutionsarmeen besetzt. Immer wieder muss die Familie aus Mannheim, das dadurch Frontstadt und daher häufigen Angriffen ausgesetzt ist, flüchten – mal nach Darmstadt zu den Großeltern, mal in die kurfürstliche Sommerresidenz Schwetzingen, nach Ansbach oder nach Rohrbach in das dortige Schlösschen, das ein Verwandter als Jagdschloss gebaut hat und heute zur Thoraxklinik gehört.
1794, bei einer dieser Fluchten nach Schwetzingen, soll der junge Ludwig in der Hektik der Beschießung Mannheims durch revolutionäre Artillerie im Palais sogar vergessen – und dann trotz minus 20 Grad Kälte – nur im dünnen Nachtanzug per Kutsche nach Schwetzingen gebracht worden sein. Und zwei Jahre später stirbt bei solch einem Exil in Rohrbach Ludwigs Mutter im Alter von nur 30 Jahren an der Schwindsucht, heute Tuberkulose genannt.
Nicht einmal ein Jahr nach dem Tod der Mutter heiratet sein Vater wieder, und zwar Caroline von Baden. Zu der Stiefmutter wie zu seinem Vater hat der junge Prinz nicht das beste Verhältnis. Umso mehr mag Ludwig Louise Weyland, die Erzieherin von ihm und seinen Geschwistern. „Zu ihr hatte er ein sehr enges Vertrauensverhältnis, auch noch in späteren Jahren“, so Schubert. Weyland verbringt, zur Hofrätin ernannt, ihren Lebensabend in Mannheim in L 2, 3, stirbt dort 1837 und wird auf dem Hauptfriedhof begraben. Ludwig stiftet ihr ein – dort bis heute erhaltenes – Grabmal, wo er ihr dankt, dass sie ihn „mit mütterlicher Liebe“ gepflegt habe, und ihr noch ein Gedicht widmet.
Denn Gedichte hat Ludwig immer wieder unzählige verfasst, als Ausdruck seiner Schwärmereien, seiner Gefühle. Auch Tagebücher und Briefe sind viel von ihm überliefert. „Er hat pro Tag vier bis fünf Stunden geschrieben“, nimmt Schubert an. Und so schreibt er auch „Dich vergesse ich nicht, die du Aufenthalt warst meiner Kindheit, Pfalz!“ Im Alter von 13 Jahren ist diese Zeit nämlich vorbei, denn in München stirbt 1799 Kurfürst Carl Theodor. Daraufhin tritt gemäß der Hausverträge Ludwigs Vater als Maximilian I. Joseph die Regentschaft an und begründete so die Herrschaft der Wittelsbacher Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld über Bayern.
Und auch wenn Ludwig die Franzosen so hasst – dank Napoleons Gnaden darf sein Vater sich ab 1806 sogar König von Bayern nennen, nicht nur Kurfürst. Doch den Sohn, der nun als „Kronprinz“ fungiert, schmerzt viel mehr, dass durch das Bündnis mit den Franzosen die alte Kurpfalz 1803 zerschlagen wird und Bayern den gesamten rechtsrheinischen Teil an Baden verliert, die linksrheinischen Gebiete zunächst an Frankreich fallen.
Gründer des Oktoberfests
Das nimmt er dem Vater übel. „Das Verhältnis der beiden ist zerrüttet“, so der Museumsdirektor. Daher lebt der Sohn auch oft weit weg, studiert in Landshut und Göttingen. Die Hochzeit 1810 muss aber in München stattfinden. Die Trauung mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen ist die Geburtsstunde des Oktoberfests, der Schauplatz der Feierlichkeiten wird nach der Braut Theresienwiese genannt. Die dort in Tracht aufmarschierenden bayerischen Landsmannschaften seien „der Beginn der bayerischen Tracht“.
Fünf Jahre später kehrt Ludwig erstmals wieder nach Mannheim zurück – und nutzt das für gleich zwei politische Demonstrationen. Denn in Wien tagt 1815 der „Wiener Kongress“, mit dem nach der Niederlage von Napoleon die Landkarte Europas endgültig neu geordnet werden soll – aber nicht so, wie Ludwig es sich wünscht. Als er das Mannheimer Nationaltheater besucht, werden von einem der oberen Ränge Flugblätter geworfen, wo die gezwungenermaßen zu Badenern gewordenen Mannheimer den Kronprinzen anflehen: „So bleibe denn, uns nimmer zu verlassen!“ Schubert glaubt, dass Ludwig das inszeniert hat: „Es spricht viel dafür, es wurde aber nie aufgeklärt,“ sagt er.
Doch nicht nur das habe einen „handfesten Skandal“ ausgelöst, sondern mehr noch ein Truppenaufmarsch bayerischer Soldaten auf dem Paradeplatz, von dem sich ein historischer Stich in den Reiss-Engelhorn-Museen erhalten hat. Ludwig habe das zwar als Parade zur Feier des 59. Geburtstags seines Vaters getarnt, aber „ein Aufreger war das damals schon“, sagt er. Geändert hat es nichts: Mannheim und das Umland bleiben bei Baden, das linksrheinische Gebiet fällt als „Rheinkreis“ mit Hauptstadt Speyer an Bayern – bis zur Gründung des Bundeslandes Rheinland-Pfalz 1946.
Ludwig gibt die Hoffnung, die Kurpfalz wieder vereinen zu können, nie auf – und das ist daher auch sein erster Gedanke, als am 13. Oktober 1825 sein Vater stirbt und er König wird. Er habe „nicht übermäßig getrauert, sondern sich gleich vorgenommen, das rechtsrheinische Gebiet zurückzugewinnen und bedeutende Bauten zu errichten“, so Alexander Schubert.
Denkmal-Stifter
Allerdings wagt er sich nicht mehr auf fremdes Territorium. Als der neue König Ludwig I. im Juni 1829 erstmals den Rheinkreis besucht, wird er zwar überschwänglich von der Bevölkerung begrüßt. Der Regent bleibt aber auf der linken Rheinseite. „Er hat sehnsuchtsvoll an der Rheinschanze nach Mannheim geschaut und seiner Frau den Ort seiner Kindheit gezeigt“, so Schubert. Sein Lebensziel, die Kurpfalz zu vereinen, schafft er nicht.
Dafür hinterlässt er viele andere Spuren. 1843 wird aus der einstigen Rheinschanze, inzwischen eine Handelsniederlassung, eine Gemeinde – benannt nach dem König als „Ludwigshafen“. Aus München, laut Schubert vorher eher eine mittelprächtige Residenz, macht er eine Weltstadt, genannt „Isar-Athen“, denn durchdrungen von seiner Begeisterung für die Antike initiiert der König viele Bauten entlang der Ludwigstraße, die Feldherrnhalle, das Siegestor, die Glyptothek, die Antikensammlung, die Alte Pinakothek oder die Ruhmeshalle.
Sein Abschied ist indes keinesfalls ruhmreich. Als Ludwig, ohnehin bekannt für seine zahlreichen Affären, eine Beziehung mit der vermeintlich spanischen Tänzerin Lola Montez (tatsächlich eine geschiedene irische Salondame) eingeht, ist das Maß voll. „Als er sie auch noch zur Gräfin ernennt und sie sich in die Politik einmischt, bringt er das Volk und den Hof sich auf“, so Schubert. Es ist das Jahr 1848 und ohnehin revolutionäre Stimmung. Am 20. März 1848 dankt Ludwig I. ab und sein erstgeborener Sohn Maximilian II. übernimmt den Thron. Als Ludwig die Tänzerin dann doch verstößt, versucht sie ihn, nach Mannheim zu locken – denn nur zu gut kennt sie seine Sehnsucht nach der Stadt.
Doch hierher kommt Ludwig erst viele Jahre später zurück. 1864 und 1866 stiftet er für den Platz vor dem Nationaltheater in B 3 Denkmäler für die Theaterleute August Wilhelm Iffland (das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde) und Wolfgang Heribert von Dalberg (das heute in N 2 steht). Als das Dalberg-Denkmal enthüllt wird, schaut Ludwig zu – aus einem Fenster des Hauses, wo er aufgewachsen ist. Dass das Volk ihn bejubelt, freut ihn. Zwei Jahre später, am 29. Februar 1868, stirbt er in seiner Sommerresidenz in Nizza.
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