An ihren Start erinnert sich Naomi Jödicke noch genau. Nach Abschluss ihres Kommunikationsstudiums an der Münchner Akademie für Mode und Design stößt sie auf die Stellenausschreibung als Print & Online Publications Manager auf Schloss Elmau. Gesucht wird eine kreative Persönlichkeit mit neuen Ideen. Das wäre doch was für mich, denkt sie, bewirbt sich und wird genommen. Das ist 2014. Seither arbeitet sie an einem Ort, an dem die Welt zu Gast ist. Im Jahr darauf führt Jödicke beim G7-Gipfel die Kanzlerin Angela Merkel in ihre Suite und betreut Emmanuel Macron. „Auch Barack Obama war sehr charmant“, schmunzelt sie.
Das alles ist dieser Gegend nicht vorbestimmt. Zunächst trägt Elmau Einödhöfe, eine Sägemühle und ab 1542 ein Gasthaus. Stammgast ist ab 1870 Ludwig II., wenn er jeweils um seinen Geburtstag am 25. August herum auf der Fahrt ins Königshaus Schachen hier für eine Nacht logiert.
1916 wird das Hotel eröffnet
1912 erwirbt Johannes Müller das Grundstück, protestantischer Theologie und Philosoph, Bestseller-Autor des C. H. Beck Verlages in München, daher mit den nötigen Mitteln gesegnet und mit der Region vertraut. Er plant einen Ort, um „Freiraum des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens“ zu bieten. 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, erfolgt der Baubeginn für ein Hotel mit 150 Zimmern, das an Pfingsten 1916 eröffnet wird.
Inmitten unberührter Natur und umrahmt von klassischer Musik und Tanz soll der Mensch „der lebendigen Wirklichkeit Gottes als ihrem wahren Wesen unmittelbar gewahr werden“. Im Haus herrscht streng pietistische Atmosphäre: Bei Konzerten darf nicht geklatscht, beim Tanz nicht gesprochen werden.
Mehr erfahren über Schloss Elmau
- Lage: nahe Mittenwald, im Hochtal zwischen Zugspitze und Karwendelgebirge auf 1008 Metern Höhe.
- Anfahrt: Mit dem Auto auf der B 2, per Zug (ICE) zum Bahnhof Klais. Von dort auf Straße zu Schloss Elmau.
- Geschäftsführer: seit 1997 Dietmar Müller-Elmau, geb. 1954, Enkel des Gründers von 1916, Johannes Müller.
- Kategorie: 5 Sterne. Gelistet in „The Leading Hotels of the World“ und in „Condé Nast Gold List 2024“. Preise inkl. Frühstück, Spa, Yoga, Kultur, Sport ab 350 Euro/Nacht/Person.
- Ausstattung: „Hideaway“ (Schloss) mit 115, „Retreat“ (Neubau von 2015) mit 47 Zimmern. Großer Spa-Bereich, Konzertsaal, Bibliothek, Book Shop.
- Gastronomie: 6 Restaurants, u. a. „Luce D’Oro“, zwei Michelin-Sterne.
- Aktivitäten: Jährlich mehr als 200 Veranstaltungen: Musik mit bekannten Künstlern der klassischen Musik und des Jazz, aber auch Literatur (Lesungen, Buchvorstellungen), zudem Vorträge und Symposien zu historisch-politischen Themen.
- Selbstverständnis: Elmau sieht sich als kulturelles Zentrum im umfassenden Sinne, als Ort des Diskurses über Theologie, Philosophie und Politik. Einzigartig für Hotels ist das öffentliche Bekenntnis von Dietmar Müller-Elmau zur Freundschaft mit den USA und dem Staat Israel. Dessen Flagge weht seit dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober über dem Eingang.
- Literatur: „Schloss Elmau“ von Dietmar Müller-Elmau, instruktive Innenansicht der Geschichte des Hauses, aber noch weit mehr: Darstellung des geistesgeschichtlichen Rahmens, in dem sich das Haus bewegt. -tin
Müller ist konservativ, steht der Republik von Weimar jedoch nicht feindlich gegenüber, begrüßt gar die Wahl des Sozialdemokraten Ebert zum Reichspräsidenten. Die Kriegsniederlage 1918 sieht er als Strafe Gottes für Egoismus. Aus seiner Sicht folgerichtig, für seine vielen jüdischen Freunde jedoch schockierend, unterstützt er ab 1933 Adolf Hitler, den er als „Werkzeug in Gottes Hand“ sieht.
Kein Hitler-Gruß in Elmau
Müller begeistert die propagierte Unterordnung des Ich unter das Wir der Volksgemeinschaft. Diese könne jedoch nur gelingen mit den Juden, die er als „edelste Vertreter des geistigen Adels“, ja als „die besseren Deutschen“ rühmt. Den Antisemitismus der Nazis bezeichnet er als „Schande für Deutschland“, die ihm die „Schamesröte ins Gesicht treibt“. An Hitler lässt ihn das nicht zweifeln.
Der Hitler-Gruß bleibt in Elmau dennoch untersagt. Bis Kriegsende lässt Müller seine Kinder und Enkel von dem aus dem KZ entlassenen ehemaligen KPD-Funktionär Fritz Richter unterrichten. 1942 versteckt er eine Jüdin in seinem Privathaus, indem er sie unter falscher Identität als Kindermädchen für seine Tochter beschäftigt.
Seine Veröffentlichungen werden verboten, 1935 will die Uni Leipzig ihm den Ehrendoktor aberkennen (was der Einspruch seines Freundes, des Philosophen Gadamer, verhindert). Müller selbst wird mehrmals von der Gestapo in Garmisch verhört. Doch eine Inhaftierung unterbleibt: Führenden Nazis erscheint ein Hotelier mit internationalen Verbindungen von Vorteil, der für Juden eintritt, aber das Regime unterstützt.
Doch der Druck wird größer. So verpachtet Müller das Hotel 1942 an die Wehrmacht als Erholungsheim für Fronturlauber. Zu denen gehört nach einer schweren Verwundung auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, bevor dieser 1944 sein Attentat auf Hitler vornimmt. So weit würde Müller nie gehen: Noch 1943 hält er vor den Verwundeten Vorträge, in denen er zugleich vom Endsieg und dem unverzichtbaren Beitrag der Juden zur deutschen Kultur spricht, die Hinweise auf Massenerschießerungen von Juden im Osten als Gräuelpropaganda abtut.
Nach dem Kriege macht die Bayerische Regierung das Hotel zum Erholungsheim für Überlebende des Holocaust. Bis dahin als Displaced Persons in Lagern, erhalten sie die Gelegenheit, sich 14 Tage richtig zu erholen, körperlich und geistig, auch jüdische Feiertage zu feiern. „Ich habe hier in Elmau das Schönste gesehen, was ich nach diesen Jahren im KZ sehen konnte“, schreibt Ernst Landauer über seine Gefühle und die seiner Leidensgenossen: „Sie zehren von Elmau als dem schönsten Erlebnis seit ihrer Befreiung.“
Müller wird in einem Spruchkammerfahren als Hauptschuldiger verurteilt; sein Eintreten für die Juden habe seine „Verherrlichung von Hitler in Wort und Schrift“ nur wirkungsmächtiger und schändlicher gemacht. Er stirbt 1949 in Elmau.
Konzert auf Schloss Elmau: Gäste verlassen empört den Saal
Der Mann, der das Verfahren gegen ihn anstrengt, überlebt ihn nicht lange: Philipp Auerbach, KZ-Insasse, ab 1946 Bayerischer Staatskommissar für Verfolgte, wird 1951 Opfer einer Intrige des Justizministers und ersten CSU-Vorsitzenden Josef Müller. Wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei Wiedergutmachungszahlungen wird Auerbach verhaftet, von ehemaligen Nazi-Juristen verurteilt, nimmt sich in Haft das Leben. 1954 wird er vollständig rehabilitiert.
Auch Johannes Müller wird rehabilitiert: 1951 erhält sein Sohn Bernhard, der den Nachnamen Müller um den Zusatz Elmau erweitert, das Schloss zurück. Und führt es fortan mit seiner Schwester Sieglinde und deren späterem Ehemann Mesirca. „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte fand nicht statt“, blickt der heutige Besitzer Dietmar Müller-Elmau allerdings kritisch zurück: „Sie wurde beschwiegen bzw. man tat so, als ob nichts geschehen wäre.“
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1997 verkauft Dietmar Müller-Elmau seine florierende IT-Firma und übernimmt das Hotel, um es baulich und inhaltlich zu modernisieren. Denn „schon in meiner Jugend hatte diese ebenso scheinheilige wie zwanghafte Idealisierung von Gemeinschaft, Natur und Kultur“ ihn abgestoßen, erinnert er sich.
Damit soll nun Schluss sein. Symbolisch durchsägt er die Gemeinschaftstische im Speisesaal. Personal und Gäste rebellieren gegen den neuen Kurs. Im ersten Konzert, das nicht nur der Klassik, sondern auch Jazz mit Thomas Quasthoff gewidmet ist, verlässt ein Drittel der Gäste unter lautem Protest den Saal. Doch die neue Linie setzt sich bald durch.
Im August 2005 brennt Schloss Elmau
2005 ein neuer Rückschlag. Müller-Elmau selbst schildert ihn so: „Anfang Juli 2005 wurde der Streit der Eigentümer-Familien vor dem Landgericht München zu meinen Gunsten entschieden. Einen Monat später stand Schloss Elmau in Flammen. Ursache war ein Kurzschluss in der Heizdecke im Zimmer des ehemaligen Hoteldirektors Dr. Mesirca, dessen Familie unterlegen war.“
Die Löscharbeiten dauern 20 Stunden, zwei Drittel des Gebäudes sind zerstört. Erst nach langwierigen Verhandlungen mit Versicherung und Denkmalschutz beginnen der Abriss und der 40 Millionen Euro teure Neubau. 2007 wird er als Luxury & Cultural Hideaway eröffnet – mit jüdischem Tarbut. 150 Meter entfernt entsteht 2015 ein Erweiterungsbau, das „Retreat“ (Rückzug).
Als 2015 Deutschland als Gastgeber für den G7-Gipfel ansteht, da erinnert sich Kanzlerin Merkel an jenes Hotel, das sie von einem Vortrag aus 2005 kennt. Es lässt sich leicht sichern und ist auch „protokollarisch korrekt“: Für sechs Staatschefs gibt es im „Retreat“ sechs gleichgroße Suiten; der siebte, der US-Präsident, logiert ohnehin in einem separaten Gebäude. Das Foto von Barack Obama mit Angela Merkel vor dem Wettersteingebirge wird ikonisch.
Und weil alles gut läuft, bekommt Elmau – nach dem Chaos beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg – von Merkels Nachfolger Olaf Scholz 2022 erneut den G7-Zuschlag. Mit Recht ist Dietmar Müller-Elmau darauf stolz. In seiner Gastgeberrolle sieht er, wie er bereits 2015 betont, „einen von mir lang ersehnten Höhepunkt auf dem langen Weg von Schloss Elmau und Deutschland in den Westen“.
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