Bergstraße. Die voll biologischen Rasenmäher nutzen die Moduldächer gern als schattiges Plätzchen. Ansonsten gehen die chronisch hungrigen Schafe in Heppenheim regelmäßig auf Erkundungstour. Das Gras am großen Freiflächen-Solarpark hat keine Chance. Doch darunter kann sich das Erdreich zwischen Autobahn und Segelflugplatz in aller Ruhe erholen. Die Landwirtschaft hat Pause.
„Perspektivisch wird der Boden hier in einem weitaus besseren Zustand sein als zuvor“, so Benedikt Ramisch. Die durch den Ackerbau intensiv beanspruchten Böden können sich erholen und bieten einen wichtigen Lebensraum für viele Tierarten, so der Referent für Erneuerbare Energien bei der GGEW AG. Über 20 Jahre laufen die teils kommunalen, teils privaten Pachtverträge für das Großprojekt, das der südhessische Energiedienstleister als Leuchtturm für eine regionale, regenerative und dezentrale Versorgung bezeichnet. Danach können die Flächen wieder an die Landwirte zurückgehen.
In der Kreisstadt hängt eine der größten Anlagen dieser Art in ganz Hessen am Netz. „Das ist grüner Strom für eine Energiewende vor Ort“, so Ramisch zwischen Schafen und PV-Elementen, die auf der grünen Wiese in 18 Reihen angeordnet sind. Die Kästen am Ende der Energielinien sind Wechselrichter. Sie verwandeln den Gleichstrom, der in den Solarmodulen erzeugt wird, in Wechselstrom. Auf diese Weise wird er für das öffentliche Stromnetz verwertbar gemacht.
Der Ertrag einer Photovoltaikanlage ist abhängig von der richtigen Auswahl des Wechselrichters, erläutert der Experte. Wenn seine Leistung viel größer ist als die der Solaranlage, läuft er viel auf Teillastbetrieb. Die Bauteile sind dann nicht ausgelastet und arbeiten ineffektiv. Ein Wechselrichter mit einem etwas niedrigeren Nennwert sei daher ideal, so Benedikt Ramisch auf der Anlage „Am Burggut“, deren nördlicher Teilbereich 2018 in Betrieb genommen wurde. Nach der Erweiterung wurde im Herbst 2020 der dritte südlicher gelegene Bauabschnitt eingeweiht. Seither können auf rund 3,4 Hektar Fläche rein rechnerisch zirka tausend Haushalte mit klimafreundlichem Strom versorgt werden. Die installiert Leistung beträgt knapp 3,3 Megawatt-Peak. Das entspricht laut GGEW einer Kohlendioxid-Reduzierung in Höhe von mehr als 2000 Tonnen jährlich.
Bis 2050 soll Strom in Deutschland nahezu vollständig aus Erneuerbaren Energien stammen. Photovoltaik spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit Blick auf die politischen Ziele der Regierung will der Anbieter seinen Erzeugungsanteil durch weitere Projekte erhöhen. Daher wurden in Heppenheim, in Alsbach-Hähnlein und in Erbach-Lauerbach in den vergangenen Jahren große Solarparks errichtet. Weitere Projekte sind angedacht. Unter anderem in Bensheim und Wald-Michelbach. Künftig will man außerdem noch stärker dem Konzept der Agro-PV folgen soll: die Verzahnung von Photovoltaik und landwirtschaftlicher Flächennutzung.
In Heppenheim arbeiten auf drei benachbarten Teilflächen sogenannte Halbzellen-Module, die zu einzelnen Strängen (Strings) zusammengeschaltet und aus monokristallinem Silizium gefertigt sind. Die Besonderheit besteht darin, dass es sich um ein homogenes Kristallgitter handelt und es daher nicht zu einem Energieverlust in den Grenzbereichen verschiedener Kristalle kommt. Die Halbzellen-Technologie weist einen geringeren Zellwiderstand und dadurch eine höhere Leistung auf als Standardmodule. Denn durch die veränderte Zellenanordnung erzeugen sie vergleichsweise mehr Strom auch bei reduzierter Einstrahlung oder Verschattung. Die Folge: weniger Leistungsverluste und ein höherer Wirkungsgrad.
Der Neigungswinkel der insgesamt über 11000 verbundenen Einzelmodule beträgt 23 Grad. Das ist laut Benedikt Ramisch nicht nur ideal für den Standort, sondern auch für den Selbstreinigungseffekt der Anlage: Regenwasser und Schnee säubern die Oberfläche. Bei zu flach angebrachten Modulen unter zehn Grad funktioniert das nicht.
Intelligenter Energie-Mix
„PV-Technik und Windkraft ergänzen sich sehr gut“, sagt PR-Manager Dominik Rudolf über einen intelligent ausbalancierten Energie-Mix. Denn Windenergieanlagen generieren im Winter die höchsten Erträge – in einer Zeit, in der die Sonne in der Regel mit ihrer kostenlosen Energie eher geizig ist. Nur etwa 30 Prozent des Jahresertrags wird im Winterhalbjahr erzielt. Grund dafür ist die zu dieser Zeit niedrigere Strahlungsleistung der Sonne. Doch auch an bewölkten Tagen produziert Photovoltaik immer noch bis zu einem Viertel ihrer normalen Leistung, denn es zählt die Menge des verfügbaren Lichts – und dieses ist auch ohne blauen Himmel verfügbar.
Für das Projekt in der Bergsträßer Kreisstadt Heppenheim war damals übrigens eine baurechtliche Genehmigung des Regierungspräsidiums Darmstadt nötig. Als einzige hessische Photovoltaikanlage konnte bis dato der Zuschlag im Ausschreibungsverfahren der Bundesnetzagentur gewonnen werden. Der Zeitraum vom Vergütungszuschlag durch die Agentur bis zur Inbetriebnahme betrug nur rund elf Monate. Installiert wurden die technischen Elemente innerhalb von rund drei Wochen.
Kontrolle per Smartphone
Trotz der begrenzten Lage in der allgemein dicht besiedelten Region Bergstraße biete das Areal für die GGEW genügend Potenzial zur langfristigen Nutzung von Sonnenenergie, betont Ramisch, der den kompletten Park über sein Smartphone kontrollieren kann. Das ist modernes und smartes Anlagenmonitoring zu jeder Zeit von jedem Ort aus. Über Endgeräte ist eine mobile Fernwartung möglich. Regelmäßige technische Checks sind ohnehin Standard, um einen reibungslosen Betrieb der Anlage dauerhaft sicherzustellen.
Mit ihren Solarparks will die GGEW dazu beitragen, unabhängiger von fossilen Energien zu werden und weniger Strom von extern einkaufen zu müssen. Eine autonome Versorgung mit ökologisch erzeugtem Regionalstrom sei heute wichtiger denn je. Immerhin scheine die Sonne an der Bergstraße ganze 2500 Stunden im Jahr, betont der Energiedienstleister. Beste Voraussetzungen also – doch das Potenzial sei noch längst nicht ausgeschöpft.
Einziges Risiko: die Köttel
Die Vierbeiner unter den Modulen sind nicht nur eine optische Bereicherung. Sie fressen auch in kleinen Winkeln, wo keine Maschine hinkommt. Die Unterkante der Module ist übrigens hoch genug, dass die Wiederkäuer einen freien Zugang zu fast allen Grünbereichen buchstäblich genießen können. An Kabel und andere technisch relevante Details kommen die Bewohner ohnehin nicht heran. Auch die Einspeisestation ist lückenlos abgesichert. Das einzige Risiko für den Menschen sind die Köttel. Eine Tretmine, aber vor allem auch ein perfekter Biodünger für den Boden unter der glänzenden PV-Pergola. Tiere und Technik bilden hier eine ideale Symbiose, so Benedikt Ramisch. Und auch fremden Besuchern gegenüber zeigen sich die Heppenheimer Solar-Schafe extrem freundlich und aufgeschlossen.
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