Lorscher Original

Ein Platz für die Lorscher Hebamme Katharina Hartnagel

In der Rheinstraße gibt es jetzt einen Platz, der nach der bekannten Hebamme benannt ist. Über 5000 Geburten hat sie begleitet.

Von 
Nina Schmelzing
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Katharina Hartnagel eilte in den ersten Berufsjahren mit dem Rad, dann mit der Vespa zu den Müttern. © Schmelzing

Lorsch. „Hurra, ein Junge“ oder „Wie schön, ein Mädchen“ – solche Ausrufe dürfte Katharina Hartnagel hundertfach gehört haben. Heutzutage wissen die meisten Eltern schon viele Wochen vor der Entbindung, welches Geschlecht ihr Baby haben wird, als Katharina Hartnagel Dienst tat, war das aber noch nicht der Fall.

Von 1928 bis 1966 war sie in Lorsch Hebamme und hat tausenden Frauen in schweren Stunden beigestanden. In dieser langen Zeit der Berufstätigkeit hat die „Ammebäs“, wie sie genannt wurde, mehr als 5000 Kindern auf die Welt geholfen. Jetzt hat man in ihrer Heimatstadt dafür gesorgt, dass sich auch künftige Generationen noch an sie erinnern: Gestern wurde ein „Katharina-Hartnagel-Platz“ eingeweiht.

Oma würde sagen: Was für Ferz

Der kleine Platz unter dem prächtigen Kastanienbaum in der Rheinstraße heißt jetzt nach der Lorscher Hebamme. Ihr einstiges Wohnhaus ist nur einen Katzensprung davon entfernt. Unter dem Schild aus Holz, das nun unübersehbar ihren Namen trägt, ist auch eine neue Ruhebank aufgestellt worden. Im Jahr 2000 ist die prominenteste Lorscher Geburtshelferin, Jahrgang 1908, gestorben.

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Mehrere Familienangehörige nahmen gestern allerdings gern an der kleinen Zeremonie teil. Die jüngste Besucherin war Ur-Ur-Enkelin Clara, erst ein Jahr alt. „Wenn meine Oma das jetzt hier sehen könnte, würde sie sagen: Was für Ferz“, meinte Enkelin Michaela Hartnagel-Keil augenzwinkernd, die der Stadt im Namen der Familie für den „tollen Platz“ herzlich dankte. Ihre Großmutter sei eine respekteinflößende und außergewöhnlich beeindruckende Persönlichkeit gewesen.

Zu jeder Uhrzeit zur Stelle

Das bestätigten zahlreiche Lorscher Teilnehmer der Runde und gaben auch gleich einige Anekdoten zum Besten. „Katharina Hartnagel war eine Institution“, machte Reinhard Diehl für den Heimat- und Kulturverein klar, der ein Mitinitiator der Idee für die Platz-Taufe war. Friedel Drayß, ebenfalls Anwohner der Rheinstraße und für die FDP im Stadtparlament tätig, hatte die Anregung dann in die kommunalpolitischen Gremien gebracht. Dort wurde sie allseits begrüßt.

Reinhard Diehl ist einst selbst ebenso wie seine Schwester von Katharina Hartnagel auf die Welt begleitet worden. Die „Ammebäs“ habe ihre Arbeit sehr ernst genommen und sich weit über normale Berufspflichten hinaus engagiert.

Zu jeder Uhrzeit und bei jedem Wetter war sie zur Stelle, wenn sie zu den damals allgemein üblichen Hausgeburten gerufen wurde. In den ersten Jahren eilte sie mit dem Fahrrad von daheim zu den schwangeren Frauen. Legendär ist eine Geburtshilfe, bei der sie sich radelnd bei Eis und Schnee Richtung Bahnwärterhäuschen aufmachte. Mehrere Male stürzte sie, schwang sich aber immer wieder aufs Rad und schaffte es offenbar, rechtzeitig bei Mutter und Kind zu sein.

Bild: Gutschalk © Thorsten Gutschalk

„Diese Frau war ein Phänomen und in Lorsch unersetzlich“, erklärte Reinhard Diehl. Katharina Hartnagel haben einen Ehrenplatz „absolut verdient“, sagte er – und es gab Beifall und „Bravo“-Rufe für sein Lob. Mit dem „Katharina-Hartnagel-Platz“ wird zudem zum ersten Mal ein Platz in Lorsch nach einer Frau benannt, fügte er mit Blick auf den gerade vergangenen Internationalen Frauentag an.

Bürgermeister Christian Schönung wurde zwar selbst einst nicht von Katharina Hartnagel betreut, denn sie war 1969 bereits im Ruhestand und Änne Straub übernahm. Er berichtete in seiner Rede aber mit Hochachtung von den Leistungen der damaligen Hebammen, die keine medizinisch gut ausgerüstete Geburtsstation zur Verfügung hatten, wie sie heutige Kliniken bieten. Hartnagel sei zudem eine „sehr lebenslustige Frau“ gewesen, erinnerte er etwa an ihre Aktivitäten, wenn die Fastnachtsumzüge durch die Rheinstraße führten.

Im Strickanzug ins Freibad

Dass die „Ammebäs“ nebenbei gerne strickte und häkelte, hat sicherlich die jungen Mütter gefreut, denen sie zur Geburt oft Babykleidung schenkte. Die eigene Familie dürfte von dem Hobby nicht immer erbaut gewesen sein, denn Katharina Hartnagel verschenkte auch selbst gefertigte Unterhosen und Badeanzüge aus Wolle.

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Die Lorscherin muss eine Powerfrau gewesen sein. Kraft hat ihr bestimmt auch die Familie gegeben. Katharina Hartnagel, geborene Wüst, war selbst Mutter von drei Buben: Franz, Hermann und Seppel. Der Großvater habe es sich im Alter ganz gern ruhig auf dem Sessel bequem gemacht, Katharina Hartnagel dagegen hat im Alter von 70 Jahren angefangen, im Lorscher Freibad, schwimmen zu lernen, so die Enkelin.

Auf ihre soziale Ader wies Friedel Drayß hin. Die „Ammebäs“ habe mancher ärmeren Familie etwas zu essen mitgebracht. Und in nicht wenigen Lorscher Fotoalben sind Bilder von Tauffeiern zu finden, wie sie gestern nicht nur Friedel Drayß zeigte. Auf ihnen ist Katharina Hartnagel im Kreis von Eltern und Kindern zu sehen, und zwar mittendrin, als gehöre sie als Mitglied zur Familie.

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