Gesundheitswesen

Zwei Heppenheimer Ärzte kritisieren digitale Lösungen im Gesundheitswesen

Von 
rid/ü
Lesedauer: 
Zwei Heppenheimer Ärzte üben Kritik an der Telematikinfrastruktur, die alle Beteiligten im Gesundheitswesen vernetzen soll. © Monika Skolimowska/ZB/dpa

Heppenheim. Die Digitalisierung soll in allen Lebensbereichen voranschreiten. Seit dem 1. Januar 2022 sollte zum Beispiel die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, das elektronische Rezept in Arztpraxen sowie die elektronische Patientenakte eingeführt werden.

Diese sogenannte Telematikinfrastruktur (TI) „ist das sichere Gerüst für digitale Anwendungen im Gesundheitswesen. Sie verbindet alle Akteure miteinander und ermöglicht einen schnellen und geschützten Austausch medizinischer Informationen“, so wird das seit zehn Jahren in der Entwicklung befindliche Produkt beworben.

Viele Fehler entdeckt

Die TI soll also alle Beteiligten im Gesundheitswesen wie Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken und Krankenkassen im Rahmen der digitalen Gesundheitsanwendung miteinander vernetzen und die Arbeit erleichtern.

Mehr zum Thema

Pandemie

Coronavirus: Ärzte impfen mehr, der Kreis Bergstraße weniger

Veröffentlicht
Von
red
Mehr erfahren
Gesundheit

Heppenheimer Ärzte bitten Patienten um Verständnis

Veröffentlicht
Von
rid/ü
Mehr erfahren

Die Realität sieht anders aus, wie die beiden Heppenheimer Hausärzte Dr. Norbert Brückner und Michael Reich kritisieren: „Die bisher durchgeführten Felduntersuchungen haben sehr viele Fehler aufgezeigt“, so Brückner, der kritisiert, dass das Erstellen der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und des elektronischen Rezeptes in der Praxis mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden sei: „Eine Arbeitserleichterung ist nicht gegeben.

Beispielsweise können sich die Chipkarten der neuesten Generation elektrostatisch aufladen und die Lesegeräte zum Absturz bringen. Es muss dann das ganze System heruntergefahren und wieder hochgefahren werden, was während der Sprechzeiten zu einem erheblichen Mehraufwand führt. Das Problem ist bereits bekannt, eine Abhilfe ist allerdings noch nicht in Sicht.“

Auch Hausarzt-Kollege Michael Reich kritisiert die TI. „Diese ist ein rotes Tuch bei den niedergelassenen Ärzten.“ Und das liege nicht nur am enormen finanziellen und personellen Mehraufwand.

Die Honorierung bezeichnet er als „absurd“. Profitieren würden vom System lediglich die Krankenkassen: „Die Ärzte wurden also gezwungen, für die Kassen Verwaltungsarbeit zu übernehmen (Versicherungsstammdaten aktuell halten) und dies dann auch noch selbst bezahlen zu müssen.“

Reich nennt die TI „unausgereift“ und spricht von einer „dilettantischen Realisierung“. Immer wieder komme es zu lang anhaltenden Störungen, die nicht schuld der Praxen seien.

Dabei habe die Betreibergesellschaft zehn Jahre Zeit gehabt, die eklatanten Mängel auszumerzen. Die Ärzte fühlten sich wie bei einem „gigantischen Feldversuch“.

Bis zum heutigen Zeitpunkt habe die Entwicklung und Einführung der TI „zwischen zwei und drei Milliarden Euro an Versicherungsbeiträgen verschlungen“. Dieses Geld hätte man lieber in die Versorgung investieren sollen, findet Reich.

Abläufe in der Praxis verlangsamt

Hinzu komme, so Brückner und Reich, dass die TI alles andere als sicher sei. „Bezüglich der geplanten elektronischen Patientenakte ist der Datenschutz letztendlich noch nicht geklärt.

So kann ein Patient zum Beispiel keinen Einfluss darauf nehmen, wer seine Krankengeschichte einsehen kann. Beispielsweise möchte er vielleicht nicht, dass der Apotheker oder Physiotherapeut seine ganzen psychiatrischen Diagnosen lesen kann. Zur Zeit kann ich meinen Patienten nur davon abraten, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wenn der Datenschutz nicht gewährleistet ist“, so Brückner.

„Nach wie vor liegt keine Datenschutzfolgeabschätzung vor, obwohl das gesetzlich verankert wurde“, ergänzt Reich und verweist auf Mängel und Sicherheitslücken. Der Start für elektronisches Rezept und elektronische AU sei immer wieder verschoben worden, weil die Abläufe in der Praxis drastisch verlangsamt worden wären.

Reich stellt einen Arbeitsaufwand von ein bis zwei Minuten für die Ausstellung eines E-Rezeptes den zwei bis fünf Sekunden gegenüber, die es nur dauere, ein Rezept auf Papier zu erstellen. Weiter sei von der Betreibergesellschaft der elektronischen Lösung ein zusätzliches Ausdrucken der AU und des E-Rezeptes verlangt worden. „Gute Digitalisierung geht anders.“

Im Notfall nicht praktikabel

Ein Argument für die Digitalisierung der Patientenakte sei gewesen, dass es auf diese Weise weniger Doppeluntersuchungen gebe. Dabei bekämen Patienten, die ins Krankenhaus müssten, bereits jetzt alle relevanten Unterlagen durch den Hausarzt mit – und ersparen dem Krankenhaus somit das Scrollen durch viele unnötige Seiten der gesamten Patientenakte. Ein sicheres Zugriffssystem verlange hohe Sicherheitshürden, die im Notfall dann aber nicht praktikabel seien.

Die Krankenakte sei nicht, wie oft geglaubt werde, auf dem Chip der Versichertenkarte gespeichert, sondern zentral, was wiederum bedeute, dass dies kriminelle Aktivitäten nach sich ziehen könnte.

„Deshalb hat Herr Lauterbach jetzt erneut die Notbremse gezogen, und alles wird erneut evaluiert“, erklärt Rech.

Ärzte – und dazu zählt auch die Gemeinschaftspraxis Bruckmeier/Reich – „die sich aus Verantwortung für ihre Patienten“ vorerst nicht an die TI haben anschließen lassen, wurden mit hohen Geldsummen bestraft, „das ging in den fünfstelligen Bereich.“ rid/ü

Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

Thema : Festspiele Heppenheim

  • Bergstraße Festspiel-Start in Heppenheim und Worms

    Im Kurmainzer Amtshof der Bergsträßer Kreisstadt läuft die erste Saison unter neuer Leitung, am Wormser Dom ist ein gänzlich neues Stück zu sehen.

    Mehr erfahren
  • Heppenheim Weicher sitzen und besser sehen bei den Heppenheimer Festspielen

    Fliegender Wechsel im Amtshof. Noch hängt die Fahne des am Sonntag beendeten Weinmarkts über der großen Bühne, da sind schon die Veranstaltungs- und Lichttechniker für das nächste große Ereignis am Werk. Die gemeinnützige „Theaterlust“-GmbH übernimmt die Regie mit ersten Vorbereitungen für das Bühnenbild, das ab diesem Mittwoch aufgebaut wird. In wenigen Tagen beginnen die Heppenheimer Festspiele: Die Premiere von Carl Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ markiert am 15. Juli nach zweijähriger Corona-Pause den Neubeginn des traditionsreichen, 1974 von Hans Richter begründeten Freiluft-Theaters. {element} Die Schauspielerin und Regisseurin Iris Stromberger hat die Intendanz übernommen, jetzt steht sie zum ersten Mal auf der Bühne, die bis Ende August der Mittelpunkt ihres Theaterlebens sein wird. Ihr Mann Ingo Schöpp-Stromberger, Geschäftsführer und Bühnenbildner der Festspiele, schaut unterdessen auf dem Pflaster nach den Markierungen fürs Podest im hinteren Teil des Hofes. Weil das Gelände abfällt, werden die Sitzplätze erhöht, damit die gute Sicht gewährleistet ist. Neues Mobiliar und neue Polster {furtherread} Und auch in die Bequemlichkeit für die Gäste wird einiges investiert. Die Stadt hat neues Mobiliar angeschafft, vierzig Tische, achtzig Bänke, zusätzlich Stühle, allesamt ausgestattet mit Rückenlehnen. Denn der Festspielbesuch konnte früher zur Strapaze werden, altgediente Theaterfreunde erinnern sich an die harten Biertisch-Garnituren. Auch Andrea Helm, Stiftungsmanagerin der Sparkassenstiftung Starkenburg, hat solche Abende erlebt, „es war doch immer eine Herausforderung“, seufzt sie. Umso erfreuter stellte sie eine Anschaffung vor, die am Dienstag der Stadt von der Stiftung als Dauerleihgabe übergeben wurde: Polster für Bänke und Stühle, maßgeschneidert für das Amtshof-Mobiliar, abwaschbar, wetterfest und mit praktischen Klettbändern zu befestigen. Bei der Auswahl der grauen Farbe hat die Intendantin ein Wörtchen mitgeredet, sieht ja auch sehr schick aus zum Weiß der Bänke, und Iris Stromberger verspricht Tischdecken und Blumen-Deko. Sie will die Menschen aus ihren bequemen Fernsehsesseln wieder ins Live-Theater locken, und dann sollen sie es auch schön haben. „Die Festspiele bekommen einen anderen Charakter“, sagt Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU), und er meint nicht nur den Anblick im Theaterhof, sondern auch die enge und offenkundig sehr gute Zusammenarbeit der Betreibergesellschaft mit der Stadt. Dass die Zuschauer in diesem Sommer unter freiem Himmel sitzen, sei angesichts wieder steigender Corona-Zahlen eine gute Sache. Für die kommenden Jahre, ergänzt Schöpp-Stromberger, solle es aber wieder einen Regenschutz geben. Premiere fast ausverkauft Neben den Polstern, die von der Stadt auch für andere Veranstaltungen genutzt werden können, spendet die Stiftung den Festspielen 20 000 Euro. „Gelebte Kulturförderung“, die sowohl bei der Sparkasse als auch bei deren Stiftung selbstverständlich sei, sagt Helm. Allmählich zieht auch der Vorverkauf an, für die erste Premiere gibt es nur noch vereinzelt Karten, an allen Abenden lohnt es, an der Abendkasse nachzufragen. In den kommenden Tagen wird der Hof sein Gesicht verändern. An der Seite wird sich die Herrmann Gastro Gruppe aus Lampertheim einrichten, die außer Wein der Bergsträßer Winzer eG und Odenwaldquelle-Wasser auch kleine Speisen anbietet. Nicht nur der weiche Sitz, auch die Bewirtung markiert die Abkehr vom sehr rustikalen Charme, der dieses Festival früher auszeichnete. Dann geht es Schlag auf Schlag, die Endproben zum „Fröhlichen Weinberg“ sind schon auf der Amtshof-Bühne angesetzt, und nach dem ersten Wochenende muss rasch umgeräumt werden, damit die bereits fertig einstudierte zweite Produktion „Cash!“ am 22. Juli folgen kann. Die Wartezeit darauf verkürzt von 19. bis 21. Juli an drei Abenden der Schauspieler Walter Renneisen – mit zwei Programmen seines Dauerbrenners „Deutschland, deine Hessen“, dazwischen moderiert er mit eigenen Erinnerungen den Abend „Als der Jazz in Deutschland laufen lernte“, zu dem Sigi’s Jazz Men musizieren. Dann wird im Wochenturnus zwischen rheinhessischem Volksstück und britischer Farce gewechselt. In beiden Komödien hat Iris Stromberger als Regisseurin ihren Ensembles nicht nur Präzision, sondern auch Tempo verordnet. Den „Weinberg“ will sie in rekordverdächtigen neunzig Minuten plus Pause auf die Bühne bringen. Die Regisseurin verspricht: „Wir sind flott unterwegs.“ job/ü

    Mehr erfahren
  • Bergstraße Die Proben von „Cash“ machen Lust auf die Festspiel-Premiere im Amtshof

    In rund sechs Wochen – am 15. Juli zunächst mit Zuckmayers „fröhlichem Weinberg“ und ab 22. Juli mit „Cash“ – hebt sich nach zwei Jahren Corona-Pause wieder der Vorhang in Heppenheim.

    Mehr erfahren

Thema : Bürgermeisterwahl Heppenheim