Heppenheim. Wenn man im Urlaub gefragt wird, woher man kommt, können die meisten Gesprächspartner mit der Antwort Heppenheim kaum etwas anfangen. „Zwischen Mannheim und Frankfurt“, lautet eine geläufige, aber recht vage gehaltene geografische Einordnung.
Oftmals helfen zudem Verweise auf berühmte Söhne und Töchter der Stadt wie Sebastian Vettel – oder ein Fingerzeig auf die Eistruhe mitsamt Preistafeln vor dem nächstbesten Kiosk. „Da, wo das Langnese-Eis hergestellt wird“, heißt es dann oftmals.
Eine eigene Straße zum Jubiläum
Zwar wird längst nicht mehr jedes Eis am Stil der Unilever-Tochter in der Bergsträßer Kreisstadt hergestellt, doch kann fast jeder Europäer mit den Spezialitäten „Magnum“, „Nogger“ oder „Cornetto“ etwas anfangen. Und überhaupt gilt: Kaum ein anderes, weltweit tätiges Unternehmen ist so stark in Heppenheim verwurzelt wie Langnese.
Nicht umsonst wurde anlässlich des 50-jährigen Firmenjubiläums im September 2010 sogar die kleine Zubringerstraße zum Werk nach dem Unternehmen benannt. Die Firmenanschrift lautet seitdem nicht mehr Mozartstraße 82, sondern Langnesestraße 1. Doch wie kam es vor inzwischen 62 Jahren überhaupt dazu, dass das damals größte und modernste Eiskremwerk Europas ausgerechnet im Heppenheimer Westen angesiedelt wurde?
Zahlreiche Informationen, darunter auch einige neue Erkenntnisse haben die Leiterin des Stadtmuseums, Luisa Wipplinger, und die Leiterin des Stadtarchivs, Katrin Rehbein, für die unlängst erschienene zweite Ausgabe der Zeitschrift „Respectamus“ recherchiert, zusammengetragen und niedergeschrieben.
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Wesentliche Grundlage für die Entwicklung der gesamten „Siedlung“, wie die Gemarkung vor allem in den 50er und 60er Jahren noch genannt wurde, war demnach „die von 1958 bis 1973 durchgeführte Melioration (Kulturlandgewinnung) und Verbesserung der Westgemarkung mit der vorausgegangenen Weschnitzregulierung“. „Unsere Gemarkung ist wirtschaftlich nicht viel wert“, hatte ein Stadtverordneter den damaligen Bürgermeister Wilhelm Metzendorf 1954 wissen lassen. „Versoffene Wiesen im Südwesten, nasse Äcker nach Lorsch zu“, sorgten nicht nur seiner Meinung nach dafür, dass auch der Status als Kreisstadt in Gefahr war.
Dies änderte sich freilich nur ein Jahr später, als der Kreistag Umbau und Erweiterung des Landratsamtes beschloss – an seinem angestammten Ort. „Dieser Beschluss schien den Stadtvätern förmlich Flügel zu verliehen zu haben“, schrieb hierzu der verstorbene Journalist Fritz Kuhn in einem Beitrag zur Chronik „1250 Jahre Heppenheim“.
33 Millionen Mark
Tatsächlich nahm die Verwaltung nun die Entwässerung der heutigen Weststadt in Angriff – und dafür stattliche 33 Millionen Mark in die Hand. Nach Auffassung der Stadtarchivarin Rehbein dürfte diese Investition jedoch „wohl mit zu den bedeutendsten für Heppenheim“ zählen. Das „seit Jahrhunderten bestehende Problem“ der Vernässung wurde schließlich beseitigt. In der Folge „konnten zwischen der Bahnlinie und der Bundesautobahn 5 Baugebiete entstehen und Gewerbeansiedlung erfolgen“.
Kuhn zufolge „konnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden“: Wurde einerseits der Wohnraum für die zahlreichen Heimatvertriebenen aus den früheren Ostgebieten dringend benötigt, wurde andererseits der Wirtschaftsstandort Heppenheim – wie von der Kommunalpolitik gewünscht – maßgeblich gestärkt.
Kühl- und Kältemaschinenhaus
Anfang 1958, also vor fast genau 65 Jahren, wurde bereits das bis heute prosperierende Gewerbegebiet entlang der Tiergartenstraße eingeleitet – mit der Langnese-Entscheidung zum Bau des Eiskremwerks.
„Auf einer Grundstücksgröße von 96 900 Quadratmetern sollten in mehreren Bauabschnitten ein großes Kühlhaus, ein Kältemaschinenhaus, ein Kesselhaus, ein großes Nebengebäude beispielsweise für Expedition, Abfälle und die Werksfeuerwehr sowie mehrere Gebäude für Lager, Büros, eine Fabrikationshalle und Sanitärgebäude errichtet werden“, schreibt Luisa Wipplinger.
Ein Quadratmeter für 80 Pfennig
Die Baukosten erstrecken sich auf rund 27 Millionen Mark. Angesichts dieser Summe wenig verwunderlich, dass Bürgermeister Metzendorf die Entscheidung des Unternehmens als „fast schon historisches Ereignis“ bezeichnete. Wobei: Das Wort „fast“ lässt sich inzwischen bedenkenlos streichen.
Die Stadt kam dem Unternehmen ihrerseits aber auch deutlich entgegen, wie Wipplingers weiteren Ausführungen zu entnehmen ist. So habe sich die Stadt Heppenheim beispielsweise zur Kündigung der Pachtverträge des Geländes, zur Schaffung einer Kläranlage, zur Sicherung der Wasser- und Gasversorgung, zum Ausbau der Mozartstraße und zur Schaffung eines Verbindungsweges vom geplanten Werkseingang zur Lorscher Straße verpflichtet.
Zur Realisierung dieser Vorhaben gewährte Langnese der Stadt wiederum ein Darlehen in Höhe von 400 000 Mark, welches im Laufe der Entwicklung jedoch auf 750 000 Mark erhöht wurde.
Auf der Gegenseite verlangte die Stadt für das riesige Gelände im Westen von Langnese nur 80 Pfennig pro benötigtem Quadratmeter – Häuslebauer und Gewerbetreibende der heutigen Zeit dürften sich angesichts dieses „regelrechten ,Spottpreises‘“ (Wipplinger) mehr als verwundert die Augen reiben. Nochmals gesteigert wurde die Standortattraktivität durch eine ausgesprochen gute Trinkwasserversorgung.
Die Vernässung der Vergangenheit hatte rückblickend also doch auch etwas Gutes. Nach einer Bauzeit von nur 13 Monaten startete Langnese schließlich am 28. April 1960 die Produktion am Standort Heppenheim.
Dies war zugleich der Beginn einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte, die es überdies so manchem urlaubenden Kreisstädter deutlich vereinfacht, seine Herkunft zu beschreiben. fran/ü
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