Heppenheim. Am Anfang standen Aufrufe in der regionalen Presse und in Radio FFH: Gesucht wurden Menschen mit Tattoos, die sich fotografieren lassen und bereit wären, etwas über die Gründe zu erzählen, die sie zu der Entscheidung brachten, sich tätowieren zu lassen.
Dass sich wirklich viele melden würden, hatte die Leiterin des Heppenheimer Museums Luisa Wipplinger damals, Anfang des Jahres 2022, nicht zu hoffen gewagt. Doch meldeten sich mehr als 40 Personen aus der Region von Darmstadt bis Laudenbach, die ihre Tattoos im vergangenen Oktober und November von der Heppenheimer Fotografin Andrea Zank aufnehmen ließen. Entstanden ist daraus eine Ausstellung im Heppenheimer Museum, die nun unter dem Titel „Blickfang Tattoo“ zu sehen ist.
Die Eröffnung im Kurfürstensaal des Kurmainzer Amtshofs stieß mit deutlich mehr als 100 Gästen auf ein großes Interesse. Bürgermeister Rainer Burelbach berichtete bei der Begrüßung von seiner anfänglichen Skepsis, die sich in große Begeisterung für das Projekt gewandelt habe. Er dankte den Ausstellungsmachern für ihr Engagement. Es sei gelungen, die Vielfalt und die Ästhetik der Tätowierungen zu zeigen und mit einigen Vorurteilen aufzuräumen.
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Ulrich Lange, Historiker aus Potsdam und ehemaliger Museumsleiter in Heppenheim, führte mit einem kulturhistorischen Überblick in die Thematik ein. Er spannte den Bogen von den frühesten nachgewiesenen Tattoos – bei „Ötzi“ und bei ägyptischen Mumien – bis zu dem tätowierten polynesischen Mann, den der Seefahrer James Cook im 18. Jahrhundert mit nach London gebracht und damit dem Tätowieren breite Popularität verschafft habe.
Im 19. Jahrhundert seien Tattoos als typisch für die Unterschicht geächtet gewesen – und zugleich seien am Ende des Jahrhunderts elektromechanische Tätowiermaschinen erfunden worden, die eine Professionalisierung der künstlerischen Gestaltung ermöglichte. Die Jugend- und Protestkultur habe seit den 1960er Jahren der Kunst des Hautstichs neue Bedeutung verliehen, als sichtbares Zeichen des Widerstands gegen die spießigen Wohlstandsbürger.
Verschönerung des Körpers, Individualität oder Erinnerung
Seit den 1980er Jahren seien Tätowierungen dann zur Modeerscheinung geworden, die sich zunächst über Musikvideos, inzwischen aber vor allem über die sozialen Netzwerke weiterverbreite. Oft genannte Gründe, sich ein Tattoo zuzulegen, seien in erster Linie die Verschönerung des Körpers und das Betonen der eigenen Individualität, aber auch die Erinnerung an eine geliebte Person oder ein wichtiges Ereignis im Leben.
Der von Ulrich Lange genannte Aspekt der Rebellion gegen die bürgerlichen Schichten kam auch im musikalischen Begleitprogramm der Eröffnung zum Tragen: Stefan Ivan Schäfer spielte zwischen den Redebeiträgen auf der E-Gitarre vier Meilensteine der Rock-Geschichte.
Museumsleiterin Luisa Wipplinger wandte sich mit ihren Dankesworten an alle, die zum Zustandekommen und Gelingen der Ausstellung beigetragen hatten, insbesondere waren das neben Ulrich Lange vor allem die Fotografin Andrea Zank und die rund vierzig Personen, die ihre Tattoos im Museum zeigen lassen.
Entstanden ist eine auch regionalgeschichtlich wertvolle Dokumentation, die den heutigen Zeitgeist spiegelt. Neben überlebensgroß gezeigten tätowierten Körperteilen sind es die auf Texttafeln veröffentlichen Äußerungen der Einzelnen zu ihren Beweggründen und zu den gewählten Motiven, die die Ausstellung so interessant machen.
Vertreten sind Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, aus unterschiedlichen Berufsfeldern und aus allen Altersklassen von 22 bis 64 Jahren. Verblüffend ist für die meisten Besucher der Sonderausstellung wohl die Bandbreite der abgebildeten Motive – von Pippi Langstrumpf als Vorbild seit der Kindheit über das Heppenheimer Rathaus oder ein Hochzeitsbild der Eltern als Sinnbilder der Geborgenheit bis zum Zitat von Bob Marley: „One love, one heart, one destiny“ mit fünf kleinen Herzen – eine Reminiszenz an die eigene, fünfköpfige Familie.
Ergänzend gibt es in der Ausstellung Texttafeln zu den Deutungsmöglichkeiten von weit verbreiteten Mustern und zur Geschichte des Tätowierens sowie zur Technik. Zudem ist ein Arbeitsplatz aus einem Tattoo-Studio mit allen Details im Museum aufgebaut. red
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