Heppenheim. Schule exakt nach Lehrplan gibt es an der Peter-Härtling-Schule als Teil der kinder- und jugendpsychiatrischen Tagesklinik in Heppenheim nicht, denn jeder Schüler bringt in die Klinikschule in Heppenheim ganz persönliche Schulerfahrungen und individuelle Bedürfnisse mit. Für die unterrichtenden Lehrer stellt das eine besondere Situation dar, denn der Unterricht an Regelschulen ist mit dem in der Tagesklinik kaum zu vergleichen.
Während Schüler üblicherweise jahrgangsweise unterrichtet werden, treffen in den beiden Klassenzimmern der Tagesklinik Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters aufeinander. Jutta Haaf, Lehrerin der Peter-Härtling-Schule, empfindet die differenzierten Lernstände, die jeder Schüler mitbringt, einerseits als Herausforderung, hebt jedoch gleichzeitig auch die Vielfalt als persönliche Bereicherung hervor.
Individuelle Förderung durch kleine Lerngruppen
Darüber, wie sie es schafft, sich als Lehrkraft im Schulalltag immer wieder auf neue Schüler und den Lernstoff jeglicher Jahrgangsstufen einzustellen, sagt sie: „Ich bin schon lange Lehrerin. Das macht die Erfahrung.“ Kleine Lerngruppen, wenig Leistungsdruck, ausreichend Zeit für die Fragen der Kinder sowie eine entspannte Lernatmosphäre tragen daher zur Entschleunigung des Schulalltages bei.
Besonders für Kinder, die Schwierigkeiten oder Ängste haben, in die Schule zu gehen, sei die Herangehensweise der Vitos-Klinik ein Vorteil. „Die wenigsten der Patienten waren in der Vergangenheit regelmäßig in der Schule“, klärt Jutta Haaf über die Herausforderungen und Hemmschwellen vieler Kinder auf. Wer sich erst einmal wieder daran gewöhnen muss, überhaupt das Innere einer Schule zu betreten oder eine gewisse Anzahl an Schulstunden auszuhalten, dem wird auch die nötige Zeit gegeben.
Schüler erhalten bei Bedarf daher auch Einzelstunden, da einige durch ihre Schulabstinenz zunächst schambesetzt seien. Ansonsten wird in Klassen mit höchstens vier Schülern gelernt. Das ermöglicht eine schülernahe Betreuung und sei auch wichtig, um die unterschiedlichen Lerngruppen mit ihrem Stoff abzuholen. Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt dabei auf den Fächern Deutsch, Mathe und Englisch.
Bei Grundschülern werden aber auch Themen aus dem Sachunterricht praxisnah besprochen. Freitags in der zweiten Stunde steht bei den derzeit vier Kindern daher eine Projektstunde auf dem Plan. Jeweils in Zweiergruppen lernen sie den Stromkreislauf und die Wirkung von Magneten kennen. „Das ist die Vorstufe zum Radiobau“, erklärt Matthias Lauer, Lehrer in Heppenheim, den Hintergrund der Versuche.
Kreatives Experimentieren mit Elektrizität
Experimente zum Thema Elektrizität genau nach Anleitung nachzubauen und dabei zu sehen, welche Geräusche dadurch entstehen können, macht den Schülern sichtlich Spaß. Immer nacheinander oder auch mal querbeet legen die Teams die einzelnen Bauteile des Stromkreislaufes zusammen. Die letzte Aufgabe entpuppt sich dabei als die Schwierigste von allen, denn das Experiment gelingt nicht auf Anhieb.
Durch das Wegnehmen eines Bauteils soll eigentlich die rote Leuchte der Alarmanlage aufblinken. Doch es passiert erst mal nichts. Gemeinsam wird daher gegrübelt und ein Bauteil, anders als in der Anleitung gezeigt, an eine andere Stelle verrückt. Dadurch gelingt der Versuch plötzlich doch.
Behutsame Rückführung in den Schulalltag
Ein Ton wie bei den anderen Experimenten ist nicht zu hören, dafür geht jedoch ein Warnlicht an. Bei der Übung ging es Lauer um das Miteinander und die Erkenntnis, wie der Stromkreislauf funktioniert. In der nächsten Projektstunde lernen sie dann, mit dem Baukasten ein Radio zu bauen. Langweilig wird es den Kindern nicht. Obwohl viele aufgrund ihrer begrenzten Aufenthaltszeit in der Tagesklinik oft nur sechs bis 12 Wochen am Unterricht teilnehmen, bleibt dennoch genügend Zeit für Beziehungsarbeit.
„Wir können so lange gemeinsam auf einem Thema herumdenken, wie die Schüler Zeit brauchen“, stellt Jutta Haaf die Vorteile der Klinikschule hervor. Das Individuum stehe im Blick. Dadurch gehe hoffentlich jedes Kind mit einem kleinen Erfolgserlebnis aus der Stunde heraus. Natürlich sei es aber der Wunsch der Lehrkräfte, Schüler mit ausreichend Stoff wieder auf die reguläre Schule nach Ende des Klinikaufenthaltes vorzubereiten. Manche Schulen geben den Kindern daher Aufgaben mit, damit sie diese in kleiner Runde üben können. Dadurch halten Lehrer wie Schüler Kontakt zu den Stammschulen, denn eine stufenweise Rückführung sei am Ende das Ziel. nab/ü
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