Heppenheim. Alles begann mit einer alten Filmrolle aus Zelluloid, die Familie Leonhard in ihrem Keller entdeckte. Ein Stück Heppenheimer Geschichte, zwei Minuten und fünfzig Sekunden lang: Die Restauration des 35-Millimeter-Filmchens bringt bewegte Schwarz-Weiß-Bilder zutage, aufgenommen rund um den „Halben Mond“. Man sieht Ball spielende Kinder, Radler, einen professionellen Schwenk über die Front des Hauses, einen Blick in den Garten. Am Ende lassen die Autos, die vor das Hotel fahren, den Schluss auf die Zeit zu, in der die Aufnahmen entstanden sind: „Mitte der 1920er Jahre“, schätzt Klaus P. Neher. Wohl ein Werbefilmchen von einst.
Mit dem Fundstück war, noch zu Zeiten Ulrich Langes als Museumsleiter, die Idee zu einer Ausstellung geboren, die am Sonntagvormittag im Marstall eröffnet wurde: „Heppenheim – Ein Reiseziel an der Bergstraße“. Die Geschichtswerkstatt der Altstadtfreunde hat sich akribisch und gekonnt mit dieser Thematik auseinandergesetzt, alte Fotografien, Gemälde, Pläne und Postkarten zusammengetragen.
Zwei ganz bekannte Ziele hatten Reisende von anno dazumal, die mit der Bergstraße eine der seit Jahrhunderten stark frequentierten Verkehrsadern bereisten: Das eine, der „Halbe Mond“, steht noch heute, das andere ist der Thurn- und Taxis’schePosthof, der einst am Postknoten stand und längst der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist. Professor Dr. Joachim-Felix Leonhard ließ mit seinem Einführungsvortrag die alten Zeiten Revue passieren.
Schon zu Zeiten Friedrich Barbarossas sprach man von der „bergstrasen“ (1165). Bereits 1741 war der Weinbau an der Bergstraße in aller Munde. 1747 malte der Darmstädter Johann Tobias Sonntag ein riesiges Gemälde, „ein Wimmelbild“ von der Bergstraße, wie Leonhard es ausdrückte, auf dem unglaublich viel zu entdecken ist.
Kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe reiste, auf dem Weg von Frankfurt nach Heidelberg, immer wieder die Bergstraße entlang. Es sei anzunehmen, dass der berühmte Dichter einst auch im seit 1617 bekannten „Halben Mond“ eine Erfrischung zu sich genommen hat. „Die Bergstraße ist über alle Begriffe schön und herrlich“, schrieb er im Jahr 1815 an seine Frau Christiane. Auch Heinrich von Kleist zeigte sich angetan von der Region.
Das Reisen in früheren Zeiten
1821 schrieb der Frankfurter Publizist Ludwig Börne über die Langsamkeit des Postkutschenreisens, vermerkte dabei auch einen längeren Aufenthalt in Heppenheim, vermutlich in der alten Posthalterei. Deren großes Modell kann man im Marstall im Rahmen der Ausstellung bewundern. Gebaut hat es vor rund 30 Jahren Dieter Ehret.
Im Marstall erhält der Besucher Einblicke in die Welt des Reisens von einst – beginnend mit der Postkutsche über die ersten Eisenbahnverbindungen bis hin zum Automobil. Alte Postkarten zeigen den „Dalles“ – den heutigen Postknoten – mit der der Posthalterei. Damit man sich ein genaues Bild der Lagemachen kann, wurde das Hauptgebäude der Posthalterei samt Nebengebäude über das aktuelle Satellitenbild von Google Earth gelegt und auf diese Weise dem Vorstellungsvermögen auf die Sprünge geholfen. 1967 wurde das historische Gebäude abgerissen.
Dieses Schicksal blieb dem „Halben Mond“ erspart, dessen Geschichte sich die Ausstellung ein Stockwerk höher im Museum widmet. Vor allem unter den Familien Seibert/Franck, Vorfahren von Veronika Leonhard, die die Filmrolle an die Altstadtfreunde weitergab, erlebte der „Halbe Mond“ eine Blütezeit. Spannend die Geschichte des Hauses, in dem selbst immer wieder auch Geschichte geschrieben wurde – man denke nur an die Heppenheimer Versammlung. Herrlich die fotografischen Einblicke in die Inneneinrichtung von einst und den Bau selbst im Wandel der Zeit. Einen Blick werfen kann man auch auf die einstige Wein- und Speisenkarte des „Halben Mondes“ : Für 1,40 Mark gab’s ein Wiener Schnitzel, die Tagessuppe kostete 30 Pfennige.
Für die Altstadtfreunde gestalteten in Zusammenarbeit mit dem Museum Heppenheim die Ausstellung Pia Keßler-Schül, Manfred Leonhard, Veronika Leonhard, Richard Lulay, Karlheinz Mulzer,, Klaus P. Neher, Hans de Raadt und Museumsleiterin Luisa Wipplinger. Leihgaben kamen außerdem von Michael Niedermayr, Dieter Schnabel und anderen. Ebenfalls beteiligt waren Modellbauer Dieter Ehret, Rosemarie Grell, Manfred Grosbüsch, Ulla Heß, Ulrich Lange, Joachim-Felix Leonhard, Gerhard Mattern, Josua Mattern sowie Michael Schurig. Die Ausstellung ist noch bis zum 23. Januar 2023 zu sehen. rid/ü
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