Heppenheim. „Ich gehe selten zu Fuß durch unsere Bahnhofsunterführung“, sagt Karl-Heinz Hildebrand. Und als er an einem Nachmittag dann doch einmal den Fußgängerweg unter den Gleisen passieren muss, traut er seinen Augen nicht: Kippen und leere Zigarettenpackungen bilden gemeinsam mit Bechern oder Tüten der ortsansässigen Fast-Food-Restaurants und so manchen Kunststoffverpackungen mehrere unübersehbare Müllhaufen. Zwischendrin liegen noch ein paar Corona-Schutzmasken, die nach der Fahrt im ÖPNV offenbar nicht mehr benötigt wurden.
„Garniert“ wird das abstoßende Stillleben von unzähligen Schmierereien an den Wänden der Unterführung. Auch das Bahnhofsgebäude verkommt immer mehr, zerborstene Scheiben oder Verunreinigungen am Sandsteingebäude wurden seit Monaten nicht entfernt. Unübersehbar sind auch die Ankündigungsplakate der vermeintlich „Letzten Generation“. Unter dem Slogan „Angekommen in der Klimakatastrophe“ wird auf dem Bahnhofsgelände großflächig für eine Informationsveranstaltung in der Kreisstadt geworben.
Nur wenige Bahnfahrer oder Nutzer der Unterführung haben die fett gedruckte Überschrift wohl gelesen, geschweige denn verstanden, hat es den Anschein. Schließlich heißt es nicht nur vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): „Nicht umweltgerecht entsorgte Abfälle tragen in erheblichem Maße zum globalen Klimawandel bei. Aus offenen Deponien oder illegalen Müllabladestellen entweicht in hohen Mengen das klimaschädliche Methangas.“ Weiter rechnet das BMZ vor: „Laut Schätzungen können die globalen Treibhausgasemissionen durch eine verbesserte Abfallwirtschaft um etwa zehn bis 15 Prozent reduziert werden.“
Methangas ist am Heppenheimer Bahnhof zwar noch nicht entwichen, doch konstatiert Karl-Heinz Hildebrand: „Das war der pure Ekel.“ Weiter kritisiert er die vorbeigehenden Zugnutzer. „Die scheint das nicht zu stören. Oder sie sind es gewohnt und ignorieren es einfach – ein beschämendes Ignorieren.“
Dass hier tatsächlich nichts gereinigt oder weggeräumt wurde, belegen Karl-Heinz Hildebrands Fotoaufnahmen sowie ein persönlicher Besuch des Bahnhofs. Und auch wenn das Müllproblem rund um den Bahnhof weithin bekannt ist, stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Warum. Zumal die Stadtverwaltung vor fast genau einem Jahr von neuen Zuständigkeiten auf dem Bahnhofsgelände berichtet hatte.
Für das Bahnhofsumfeld habe man sich mit der Bahn auf eine Art Arbeitsteilung geeinigt, sagte Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) im Juli 2021. „Die Beseitigung der Graffitis werden hier durch den städtischen Bauhof durchgeführt, die Materialkosten von der Deutschen Bahn AG getragen.“ Und diese Arbeitsteilung sollte in der Form einer sogenannten Ordnungspartnerschaft schnellstmöglich auf das gesamte Bahnhofsgelände übertragen werden. Im Klartext hieße das: Die Stadt kümmert sich dort künftig um die Sauberkeit, die Bahn übernimmt dafür die Kosten.
Zu einer Vertragsunterschrift zwischen Bahn und Stadt ist es bislang allerdings noch nicht gekommen. „Die Bahn ist an das Vergaberecht gebunden. Auch wenn wir hier die Ordnungspartnerschaft vorgeschlagen haben, muss alles seinen offiziellen Weg gehen“, informiert Burelbach auf Nachfrage über den aktuellen Sachstand. Und solange sich diesbezüglich nichts tut, bleibt alles wie gehabt: Um die Beseitigung des angefallenen Mülls muss sich die Bahn kümmern – was in der Regel einige Zeit in Anspruch nehmen kann. „Ganz schnell wird dann durch neuen Müll oder den aufkommenden Wind aus wenig Abfall ein größerer Müllhaufen“, so Burelbach. Der Rathauschef weiß aber auch: „Wir können derzeit wenig dagegen tun.“
Gleichwohl ist die Sauberkeit nur ein Teil der Problematik rund um den Bahnhof. So gilt das historische Sandsteingebäude, das zu den hessischen Kulturdenkmälern zählt, im Volksmund als „Schandfleck“. Die Bürgerbefragung im Rahmen der Sicherheitsinitiative „Kompass“ weist den Bahnhof überdies als „Angstort Nummer eins“ im Stadtgebiet aus.
Bei einer lokalen Sicherheitskonferenz am 16. September im Saalbau-Kino dürfte der Bahnhof dann auch genau deshalb eine wesentliche Rolle spielen. Darüber hinaus blicken die Heppenheimer gespannt auf die weitere Entwicklung am Kalterer Platz. Schließlich ist es längst kein Geheimnis mehr, dass die Stadt das traditionsreiche Gebäude gerne kaufen würde.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/heppenheim_artikel,-heppenheim-der-heppenheimer-bahnhof-ist-vermuellt-weil-ein-vertrag-fehlt-_arid,1986592.html