Heppenheim. Ostermarkt, Autoschau, Halloween, demnächst vermutlich auch wieder Wahlkampf: Mehrmals im Jahr oder alle Jahre wieder herrscht in Heppenheims „Bachgass“, amtlich Friedrichstraße, außergewöhnliches Treiben. Ansonsten gewöhnliches: Unternehmen aus Einzelhandel, Dienstleistung und Gastronomie bieten an, Kundinnen und Kunden gehen darauf ein (oder auch nicht) und halten einen kurzen oder längeren Schwatz mitten auf der Straße. Das geht, weil hier seit genau 50 Jahren weder Autos noch Lkw oder motorisierte Zweiräder durch dürfen: Am 30. November 1974, einem Samstag, wurde die „Bachgass“ hochoffiziell zur Fußgängerzone.
Alles, was damals Rang und Namen hatte, war dabei, als an diesem Tag das Band zur Freigabe der jetzt verkehrsberuhigten Geschäftsstraße durchschnitten wurde, ganz vorne und als Hauptredner Heppenheims Bürgermeister Hans Kunz (nach dem der Autobahnzubringer von der B3 in Richtung Westen benannt ist), der erst ein Jahr zuvor Wilhelm Metzendorf abgelöst und die Umwandlung der „Bachgass“ in eine Fußgängerzone zu einem seiner Hauptziele erklärt hatte.
Es war ein Riesenfest, das die in Massen hinzu strömenden Heppenheimer bis in die späten Abendstunden genießen durften. „Würstchenbuden, Kaffeestände, diverse Bierzapfstellen, Glühweinausschank, natürlich auch ,Bergsträßer’ war zu haben“, hieß es am folgenden Montag in der „Südhessischen Post“, der Vorgängerin des Echo. Die Geschäftsleute, die sich viel von der funkelnagelneuen „Einkaufsmeile“ versprachen, hatten für ein buntes Unterhaltungsprogramm vom Ponyreiten bis zum Torwandschießen gesorgt, und natürlich gab es ganz viel Musik: Stadtkapelle, Fanfarenzug, Spielmannszug waren dabei, aber auch Bands wie die weit über Heppenheim hinaus bekannten „Sandmen“. Mit der – für vergleichsweise bescheidene 450.000 Mark und in wenigen Wochen umgesetzten – Umgestaltung der Bachgass in eine Fußgängerzone war Kunz einem Trend gefolgt, der in den 1970er-Jahren eingesetzt hatte.
Eine Erweiterung in Richtung Norden folgte
Laut Wikipedia gab es 1971 in 134 Stadtzentren Westdeutschlands entsprechende Zonen, 1976 waren es schon 220 und 1977 wurden in 270 Groß- und Kleinstädten 444 Fußgängerzonen gezählt. Eine erste Geschäftsstraße, in der motorisierter Verkehr nicht zugelassen war, gab es bereits 1927 in Essen, und 1953 wurde in Kassel die Treppenstraße zum Tummelplatz für einkaufende Fußgänger. Heppenheims Fußgängerzone erfuhr noch eine Art Erweiterung in Richtung Norden: Mit dem Bau der Häuserzeile entlang der Lehrstraße, die über die Starkenburg-Passage, die Zwerchgasse und einen weiteren Durchgang waren weitere Geschäfte angebunden, außerdem führten Passagen zum Parkhof, der 1969 entstanden war. Auch die Anfang der 2000er-Jahre neu gestaltete, in Richtung Süden befahrbare Wilhelmstraße kann man zur erweiterten Fußgängerzone zählen.
Das Aussperren des Kraftfahrzeugverkehrs sorgt bis heute dafür, dass die Bachgass mit ihrem bunten Mix an Geschäften und Dienstleistern gut, an manchen Tagen auch sehr gut frequentiert ist. Eine Lebensversicherung für die Geschäfte war sie dagegen nicht, und viele, auch traditionsreiche, sind im Lauf der fünf Jahrzehnte aus dem Stadtbild verschwunden – wie beispielsweise Möbel Metzendorf, die Textilhäuser Maurer und Brechtel, das Musikhaus Maier, das Schuhgeschäft Vettel oder Beck Radio und Fernsehen.
Immer neue Ansätze, um sie attraktiver zu gestalten
Im Gegenzug sind viele neue Geschäfte entstanden, in jüngerer Zeit zwar zunehmend Filialisten, aber es gibt nach wie vor den bunten Mix, der immer wieder Gründe dafür liefert, nicht zur Konkurrenz an der Tiergartenstraße, sondern in die Innenstadt zu kommen. Und es gibt immer wieder Ansätze, die „Flaniermeile“ so attraktiv wie möglich zu gestalten. Wozu dann auch schon mal weniger realistische Ideen gehören: Den seit den 1860er-Jahren unter dem Pflaster fließenden Stadtbach freizulegen, hat man schnell verworfen, als „Kompromiss“ wurden an einigen Stellen Öffnungen geschaffen, durch die man ihm beim Fließen zuschauen und -hören kann.
Realistischer ist wohl das, was seitens der Stadt im Oktober angekündigt wurde: Die Fußgängerzone soll „aufgeräumt“, mehr Raum für den Wochenmarkt geschaffen werden. Fahrradbügel sollen dezentralisiert verteilt werden. Außerdem soll der Spielplatz an der Sparkasse überarbeitet und eine neue, flexible Bühne angeschafft werden. Eine Agentur soll darüber hinaus für mehr Kreativität in der Vermarktung sorgen und „Leerstandsmanagement“ helfen, Leerstand wie den in der Starkenburg-Passage zu beenden. jr/ü
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