Bensheim. Für so manchen gestaltet sich die Sache ganz einfach: Das Kaufhaus Krämer wird verkauft, das Hoffart-Gelände gibts gleich mit dazu, die Stadtkultur spart einfach noch mehr Gelder ein, während die Stadt den Bau von weiterem Wohnraum und möglichst noch einem Gewerbegebiet „Stubenwald 3“ vorantreibt. Das klingt im ersten Moment zwar verlockend, wenn dann allerdings die Realität in Spiel kommt, muss man sich eingestehen: Nicht jede Idee, wie Bensheim seinen Haushalt sanieren könnte, ist ohne weiteres umsetzbar.
Soziale und rechtliche Zwänge, dazu eine immer weiter schrumpfende Möglichkeit zur kommunalen Selbstverwaltung, mehr Aufgaben und gleichzeitig sinkende Einnahmen machen nicht gerade Hoffnung darauf, dass die Stadt wohlbehalten aus der Haushaltskrise steuert. Und trotzdem ist sie da: Der Austausch, zu dem das Bürgernetzwerk Bensheim am Mittwochabend im Kolpinghaus eingeladen hatte, bot eine Plattform für die Menschen, ihre Sparwünsche und -ideen vorzubringen und zu diskutieren – wertfrei und zunächst ohne Prüfung zur Realisierbarkeit. Der Abend verlief dennoch sehr konstruktiv und zeigte, dass die Stadtgesellschaft durchaus bereit zu sein scheint, Einschnitte hinzunehmen und an einem Strang zu ziehen, damit der Haushalt wieder zu alter Stärke finden kann.
Zu Gast waren neben den „normalen“ – und vornehmlich älteren – Bürgerinnen und Bürgern auch Vertreterinnen und Vertreter der Stadtpolitik: Bürgermeisterin Christine Klein, Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung und Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert ebenso wie einige Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung. Sie hatten an diesem Abend aber eher eine zuhörende Funktion inne.
Ein Grußwort von der Bürgermeisterin gab es aber trotzdem zu Beginn: „Ich freue mich über jeden einzelnen Vorschlag von Ihnen, der dazu beitragen kann, die finanzielle Lage der Stadt zu verbessern.“ Klein zeigte sich sehr dankbar für das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, auf das die Stadt auch in Zukunft weiter angewiesen sein wird. Denn die Aufgabe, vor der Verwaltung und Politik stehen, ist nur über mehrere Jahre lösbar.
Diskussionen in mehreren Kleingruppen
Durch den Abend moderierte Susanne Beckmann, die in der Geschäftsstelle des Bürgernetzwerks tätig ist. Gegliedert war die Veranstaltung in mehrere Kleingruppendiskussionen. Auf Pinnwänden sammelten die Gäste begleitet von einem Paten ihre Vorschläge, dabei konnten sie sich den Kategorien zuwenden, die sie am meisten interessierten. Über diese Punkte wurde gesprochen:
Immobilien: Vor allem bei diesem Punkt erscheint vielen in der Diskussion alles klar: Leerstand muss vermietet oder – wenn ich städtischer Hand – verkauft werden. Dafür braucht es allerdings erst einmal interessierte Käufer, merkte Pinnwand-Pate Karl-Heinz Schlitt an. Nicht nur der Verkauf von Immobilien kann eine Lösung sein: Ein anderer Vorschlag war, einen geschlossenen städtischen Immobilien-Fonds aufzusetzen, in den die Bürgerinnen und Bürger investieren können. „Das Geld würde unmittelbar in der Heimat zur Stadtentwicklung eingesetzt“, so Schlitt. Zum Beispiel in die Sanierung des Kaufhauses Krämer – Wohnlage aller erster Güte, aktuell in Besitz der Marketing- und Entwicklungsgesellschaft Bensheim (MEGB).
Weitere Ideen waren, die Dorfgemeinschaftshäuser in den Stadtteilen auch extern zu vermieten oder den Unterhalt der Immobilien in Eigenverantwortung der Stadtteil-Bevölkerung zu überlassen.
Interkommunale Zusammenarbeit: Voraussetzung bei diesem Punkt war, dass die Vorschläge unmittelbar umgesetzt werden können. Ins Gespräch kam unter anderem ein Zweckverband für den Betrieb der Schwimmanlagen, außerdem wünschten sich die Gäste, dass die Städte zunehmend gemeinsam Ausschreibungen vornehmen und ihre Ressourcen bündeln.
Das tun sie bereits jetzt: Seit dem 1. August 2021 arbeitet das Standesamt der Stadt Bensheim mit dem der Nachbarkommune Zwingenberg zusammen. Die Kooperation hat sich bewährt, ist bereits in die erste Verlängerung gegangen und sogar nötiger denn je. Denn dort mangelt es, seit Bürgermeister und Standesbeamter Holger Habich aus seinem Amt geschieden ist, an Standesbeamten. In der jüngsten Stadtverordnetenversammlung beschlossen die Kommunalpolitiker daher einstimmig eine Zusatzvereinbarung zur bestehenden „öffentlich-rechtlichen Vereinbarung über die interkommunale Zusammenarbeit im Bereich Personenstandswesen“.
Und es gibt noch weitere Beispiele: etwa die kommunale Wärmeplanung mit den Städten Bensheim, Heppenheim, Lorsch, Lampertheim und Bürstadt. Für den Bau einer 24 Millionen Euro teuren Raddirektverbindung zwischen Zwingenberg und Heppenheim ziehen alle Städte auf dieser Strecke an einem Strang.
Außerdem hat sich die Bensheimer Verwaltung um ein interkommunales Projekt der Landesenergieagentur Hessen (LEA) beworben. Die bietet die Möglichkeit an, gemeinsam mit dem „Bürgerforum Energiewende Hessen“ eine Windkraftpotenzialanalyse modellhaft und – besonders interessant in Zeiten der Finanzkrise – unentgeltlich zu erstellen. Hierfür vorgesehen ist eine Zusammenarbeit mit den Kommunen Biblis, Einhausen, Heppenheim und Bensheim (wir haben berichtet).
Eigenverantwortung der Stadtgesellschaft: In den vergangenen Stadtverordnetenversammlungen appellierten gleich mehrere Mitglieder an die Bensheimerinnen und Bensheimer, ihre Ansprüche an die städtischen Leistungen (von Hundekotbeuteln bis hin zu kulturellen Veranstaltungen) zurück zu schrauben. Gemeinsam mit Hans-Peter Meister stellten die Gäste Überlegungen dazu an, die Instandhaltung von Sportstätten an die Vereine abzugeben oder Patenschaften für die Pflege der städtischen Grünflächen anzubieten.
Zwar sind der Stadt bei der Annahme von Spendengeldern der Wirtschaftsvereinigung zur Analyse der Verwaltung die Hände gebunden (wir haben berichtet) – anders könnte es aber sein, wenn die Stadt zweckgebunden Spenden sammelt, etwa zur Beseitigung von Vandalismusschäden, der Anschaffung neuer Sitzbänke, der Herrichtung von Spielplätzen und mehr. „So könnte man auch das Feuerwerk zum Winzerfest finanzieren“, ergänzte ein Bürger.
Konzertierte Aktionen: An der Pinnwand von Ralf Vesper (Bürgernetzwerk) ging es darum, wie die Stadt gezielte Lobbyarbeit leisten kann, um Verhandlungen zu führen. Etwa darüber, ob die Stadt Bensheim bei der Zahlung von Umlagen fair behandelt wird. Wie auch die Bürgermeisterin sprachen sich mehrere Bürgerinnen und Bürger an diesem Abend dafür aus, unbedingt weiter darauf hinzuarbeiten, dass die Stadt ihren Haushalt innerhalb von zehn Jahren konsolidieren kann, statt der bisher vorgegebenen fünf. In diesem Zusammenhang wäre es für die Gäste auch überlegenswert, Bund und Land wegen der erdrückenden Aufgabenlast zu verklagen, am besten im Zusammenschluss mit weiteren Kommunen.
Investitionen in eine gute Zukunft: Die Stadt müsse durch gezieltes Marketing jungen Familien und Unternehmen vermitteln, warum es sich genau für sie lohne, nach Bensheim zu kommen und in den Standort zu investieren, konstatierte ein Mann, der den Altersschnitt auf den Veranstaltung zumindest ein wenig nach unten senken konnte. „Gewerbe zieht Mitarbeiter nach sich. Die Stadt, beziehungsweise die MEGB, muss es schaffen, Bensheim als attraktiven Lebens- und Wirtschaftsmittelpunkt zu vermarkten.“ Dafür müsse die MEGB ihre Strukturen möglicherweise überdenken – denn diese Wirkung nach außen sahen viele der Gäste an diesem Abend nicht.
Patin Susanne Beckmann sammelte noch viele weitere Zettel: Die Stadt soll etwa verstärkt in erneuerbare und nachhaltige Energien wie PV- oder Windkraftanlagen investieren (was sie plant) – neben der positiven Auswirkung auf das Klima wäre das auch noch gut für die Stadtkasse. Das Erreichen der ambitionierten Klimaziele könnte dazu noch ein Aushängeschild für Bensheim werden.
Sparmaßnahmen im Stadthaushalt: Fleißig gezückt wurden die Stifte an der Tafel von Jan Siefert, dem Vorsitzenden der Wirtschaftsvereinigung Bensheim (WVB). Der fühlte sich an seinem Standort sichtbar wohl, hatte er doch erst vor einigen Wochen im Interview mit der BA-Redaktion eine Reihe an Sparvorschlägen gemacht. Auf den Zetteln zu lesen war unter anderem „Globale Kürzung um 20 Prozent“, Etat des KMB kürzen, Stellen nicht nachbesetzen, die Stadtbibliothek digitalisieren beziehungsweise mit einer Schule zusammenzulegen oder die Stellenanzahl des Stadtmarketings an deren Erfolg anzupassen.
In einer Tabelle waren die freiwilligen Leistungen und Angebote der Stadt aufgelistet, darüber die Fragen „Auf was können Sie am ehesten verzichten? Was kann teurer werden? Was soll bleiben, wie es ist?“. Streichen beziehungsweise verteuern wollten viele das Angebot des Parktheaters, das Jazz- und das Lesefestival sowie die Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler. Die Kinder- Jugend- und Seniorenförderung soll indes bestehen bleiben. Bei fast allen Punkten sahen die Gäste Einsparpotenziale von 25 bis 75 Prozent.
Diese „Abstimmung“ ist allerdings mehr als nur vorsichtig zu genießen: Schließlich war bei dem Diskussionsabend nur ein Bruchteil der Stadtbevölkerung anwesend. Dazu kam, dass die Gäste – überwiegend Männer höheren Alters – nicht die tatsächliche Bevölkerung Bensheims repräsentierten. Wer sich an diesem Abend darüber echauffierte, wo denn die jungen Familien seien, dem ist ins Gedächtnis zu rufen, dass ihre Lebenswelten andere sind. Es könnte sich also für das Bürgernetzwerk oder andere Akteure lohnen, weitere Formate der Beteiligung für andere Zielgruppen anzubieten.
Steuern und Umlagen: Bei Andreas Duffner (Bürgernetzwerk) liefen einige Vorschläge zu weiteren Einnahmequellen zusammen: Vorgeschlagen wurde die Erhebung der Grundsteuer C. Mit dieser können Städte und Gemeinden unbebaute baureife Grundstücke durch einen von ihnen festgelegten Hebesatz höher belasten – fragt sich nur, ob es diese Grundstücke in Bensheim gibt. Denkbar wäre auch ein gestaffelter Hebesatz der Grundsteuer B, der mit den Jahren wieder auf den Ursprungswert sinkt. Weiter vorstellen konnten sich die Gäste die Wiedereinführung von Straßenbeiträgen, eine Zweitwohnungssteuer sowie die Besteuerung von leerstehenden Wohn- oder Geschäftsräumen.
Hans-Peter Meister war es während der Veranstaltung wichtig, zu betonen, dass das Bürgernetzwerk den Menschen lediglich die Gelegenheit zum Austausch bieten wollte. „Wir sind keine Bürgerinitiative“, stellte er klar. So sollte jedem Gast des Abends bewusst sein, dass kein Anspruch auf die Umsetzung der eingebrachten Vorschläge besteht – denn sie alle müssen erst einmal auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden. Danach können sie den geregelten demokratischen Prozess durch die städtischen Ausschüsse und letztlich die Stadtverordnetenversammlung durchlaufen.
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