Die Grundsteuer B steigt in Bensheim vorerst nicht

Erst möchte die Stadtverordnetenversammlung Sparmaßnahmen vorgelegt bekommen, über die das Gremium entscheiden kann. Schon jetzt ist aber klar: Es wird nicht bei einem Hebesatz von 617 Punkten bleiben.

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Anna Meister
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Vorerst wird die Grundsteuer B in Bensheim nicht angehoben.

© Thomas Neu

Bensheim. Von Anna Meister

Bensheim. Wer am vergangenen Donnerstag die Stadtverordnetenversammlung bis zum Ende mitverfolgt hat, der brauchte Sitzfleisch. Gleichzeitig bewiesen die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker, dass sie, wenn es darauf ankommt, an einem Strang ziehen und konstruktive Debatten führen können.

Im Bürgerhaus Kronepark verständigten sich die Mitglieder auf den Nachtragshaushalt 2024 mit einigen Änderungen, ebenso wie auf das Haushaltssicherungskonzept. Einstimmig wurde ein gemeinsamer Änderungsantrag aller Fraktionen beschlossen, die Grundsteuer A auf 431 Punkte, die Grundsteuer B auf 617 Hebesatzpunkte festzulegen.

Damit gelten, bis im kommenden Jahr ein neuer – und das kommunizierten fairerweise alle Stadtverordneten direkt – wesentlich höherer Hebesatz der Grundsteuer B festgelegt wird, die sogenannten aufkommensneutralen Hebesätze nach der Grundsteuerreform. Eine endgültige Entscheidung soll im Zuge der Haushaltsberatungen 2025 getroffen werden. Daraus ergibt sich dann rückwirkend zum Jahresbeginn die Anpassung.

„Für weitere Entscheidungen fehlen uns Informationen“

Tobias Heinz (CDU) ergriff als erster das Wort und übte scharfe Kritik an Bürgermeisterin Christine Klein, dem Magistrat und der Verwaltung. „Wir alle sprechen uns für den aufkommensneutralen Hebesatz der Grundsteuer aus. Erst dann, wenn Sie uns weitere Informationen vorlegen, können wir eine Entscheidung treffen. 1740 Punkte sind nicht gerechtfertigt, denn bisher gab es keine anderen Vorschläge von Ihnen, als die Bürger die Situation ausbaden zu lassen.“ Der Hebesatz wäre eine enorme Belastung, auch für die lokalen Unternehmen.

Heinz begrüßte die Bürgerveranstaltung vom 12. Dezember und forderte, diese Formate im kommenden Jahr weiterzuführen und die Menschen transparent an der Entwicklung der Situation teilhaben zu lassen. Dann teilte er aus: Dafür zog er den bildlichen Vergleich eines Autos (die Stadt) heran, das auf eine Wand (das Defizit) zurast.

„Seit Juni ist die finanzielle Situation bekannt, seitdem sitzt die Bürgermeisterin am Steuer des Autos und hält gemeinsam mit dem Magistrat und der Verwaltung weiter Kurs auf die Wand. Statt konkrete Maßnahmen zu liefern, über die wir entscheiden können, wälzen Sie die Verantwortung auf uns Ehrenamtliche ab. Das ist keine gute Basis für eine Zusammenarbeit.“

An erster Stelle für die Kursänderung stehen für alle Fraktionen Einsparungen, nicht Steuererhöhungen. Nach einem halben Jahr habe sich gezeigt, dass die Stadt die Zeit nicht genutzt habe. Zwar seien 8,6 Millionen Euro „eingespart“ worden – 5,7 Millionen hiervon waren allerdings verminderte Umlagenzahlungen wegen der geringeren Einnahmen. Heinz und seine Kolleginnen und Kollegen vermissen nach wie vor ein Konzept, um die Situation zu bewältigen. Die Bürger seien zu Recht wütend und wünschen sich eine Bürgermeisterin, die einen klaren Weg aufzeigt.

Immerhin sei positiv, dass nun alle begriffen hätten, aktiv und ernsthaft zusammenzuarbeiten. Zufrieden zeigte er sich weiter darüber, dass im abgeänderten Haushaltssicherungskonzept nun doch externe Hilfe bei der Durchleuchtung der Verwaltung festgeschrieben ist. Ein erster Termin mit der Hessischen Kommunalberatung findet Ende Januar statt.

Dabei appellierte nicht nur Heinz dafür, sich weiter für einen Konsolidierungsplan für zehn Jahre starkzumachen – und dafür auch vor harten Verhandlungen nicht zurückzuschrecken. „Wir streben weiterhin die Konsolidierung auf zehn Jahre an“, versicherte Klein.

„Konsequenzen und Bedingungen müssen aufgezeigt werden“

Unsozial und unsolidarisch, das sei der Hebesatz von 1740 Punkten, sagte Doris Sterzelmaier (Grüne) Zum Ende des Jahres fahre man mit einem nach wie vor dicken Minus von 38,4 Millionen Euro. Diese Summe und die Aussicht darauf, dass die Gewerbesteuer in den kommenden Jahren nicht mehr üppig fließen wird, machen es erforderlich, den Haushalt grundsätzlich zu reformieren. Und zu sparen.

Nur mahnte sie an, dabei auch die Auswirkungen, die eine Streichung von Angeboten mit sich bringt, aufzuzeigen. „Ist es wirklich sinnvoll, Sportplätze stillzulegen? Wie lange laufen Mietverträge, die gekündigt werden sollen? Wo gibt es Nutzungsalternativen? Müssen Förderungen zurückgezahlt werden? Und müssen wir ehrenamtliche Leistungen möglicherweise bald extern einkaufen, weil sich nur noch wenige engagieren?“, legte sie die Komplexität der Lage dar. Einsparungen dürften auf lange Sicht keine höheren Kosten nach sich ziehen. Deswegen fordern die Grünen als Ergänzung zu der Liste der Einsparmaßnahmen deren Bedingungen und Konsequenzen.

Man dürfe neben der Grundsteuer weitere Einnahmequellen nicht aus den Augen verlieren: Zum Beispiel die Anhebung der Gewerbesteuer, eine Erhöhung der Parkgebühren – derzeit parkten auf dem Beauner Platz Autos in bester Lage kostenfrei –, eine Anpassung der Stellplatzgebühren für klobige SUVs oder auf längere Sicht Pachteinnahmen durch Windkraftanlagen. „Daneben muss die Verwaltung Doppelstrukturen abbauen, Abläufe optimieren und ihre IT klug nutzen.“

Dass dies kein einfaches Vorhaben ist, sei klar. Trotzdem sei die Stadtpolitik auf die Hilfe der Verwaltung angewiesen. „Bis der Haushalt beschlossen wird, brauchen wir die Zahlen von Ihnen.“ Der Erstellung der vorgesehenen Nachhaltigkeitssatzung stehen die Grünen offen gegenüber, beim Haushaltssicherungskonzept wollte die Fraktion noch nicht mitziehen. Sterzelmaier kritisierte abschließend, dass die Streichung der Kämmererstelle ein Fehler gewesen sei, sowie dass sich die Aufsichtsbehörden überlegen müssten, wie eng sie den Gürtel der Kommunen noch schnallen wollen.

„Land trägt seine Probleme auf Kosten der Kommunen aus“

„Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass die Stadt den Kopf aus der Schlinge bekommt“, sagte Jürgen Kaltwasser (SPD). Er betonte, dass die finanzielle Lage Bensheims nicht auf Misswirtschaft im Rathaus beruhe. Kein Kämmerer hätte den Einbruch der Gewerbesteuer abwenden können. Bei so mancher Entscheidung, die für die Stadt möglicherweise eine Nummer zu groß war, seien die Stadtverordneten mit von der Partie gewesen. Nun gehe es aber in erster Linie darum, zahlungsfähig zu bleiben. Hierfür wird im geänderten Nachtragshaushalt ein Höchstbetrag für Liquiditätskredite von 50 Millionen Euro festgesetzt statt ursprünglich anvisierter 20 Millionen.

„Der Magistrat muss liefern, um die Last auf mehr Schultern gerecht zu verteilen. Es braucht konkrete Konsolidierung, Aufgabenkürzungen und mehr Einnahmen.“ Das Land Hessen sei wieder einmal dabei, seine Haushaltsprobleme auf dem Rücken der Städte und Gemeinden auszutragen. „Hier erwarten wir also ein gewisses Entgegenkommen“, so der Sozialdemokrat. Und wenn das nicht kommt, „soll die CDU unserem Innenminister auf den Pelz rücken.“ Gleiches werde die SPD in ihren Reihen tun. Kritik ging zudem nach Heppenheim: Kaltwasser regte an, Widerspruch gegen die Erhöhung der Kreisumlage einzureichen.

Harald Boeddinghaus (FDP) beließ es vorerst bei Kritik innerhalb der Stadtgrenze: „Worte und Handeln der Verantwortlichen passen nicht zusammen. Wir waren schlecht damit beraten, keine Sicherungsmaßnahmen für die Gewerbesteuer zu treffen.“ Mit den Jahren habe man sich an die sprudelnde Quelle von Einnahmen gewöhnt, sei langfristige und teure Verpflichtungen eingegangen. Es räche sich nun, diese Verpflichtungen an Einnahmen gekoppelt zu haben, die der schwankenden Konjunktur unterliegen.

Bensheim soll kein „exklusives Pflaster“ werden

In den kommenden Jahren sollen die Aufwendungen der Stadt weiter steigen, was für Boeddinghaus ein klarer Beweis für mangelnden Sparwillen ist. „Als es noch um eine Konsolidierung innerhalb von zehn Jahren ging, wurden viele gute Vorschläge genannt. Mit der Absage verschwanden sie aber in der Versenkung. Seitdem ist die Idee: Die Bürger zahlen.“ Viele Menschen seien wegen der Diskussion um die hohe Grundsteuer verunsichert, Bensheim soll laut Boeddinghaus kein exklusives Pflaster werden, das man sich leisten können muss.

Für Franz Apfel (BfB) ist klar: Die Stadt darf nicht weiter wachsen. Immer mehr Gewerbefläche werde ausgewiesen, trotzdem steigen die Schulden der Stadt. Der Zuzug von Familien bedeutet zwangsläufig die Schaffung teurer Infrastruktur. Er sieht vor allem im Bereich der Personalkosten, Sach- und Dienstleistungen Einsparmöglichkeiten. Weitere Einnahmen könnten durch eine mäßige Erhöhung der Parkgebühren oder eine Zweitwohnsteuer fließen.

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Dazu noch der Verkauf von Grundstücken oder Gebäuden oder städtischer GGEW-Anteile. Über den letzten Punkt wurde bereits in der vorigen Ausschussrunde diskutiert, ein gemeinsamer Antrag von BfB und VuA zur Prüfung eines möglichen Verkaufs der Aktien über Nennwert wurde auch diesmal abgelehnt.

„Im Grunde erledigen die Fraktionen gerade die Aufgaben der Finanzdezernentin. Schon bei der Einbringung des Nachtragshaushaltes hätten wir konkrete Maßnahmen gebraucht.“ Gleichzeitig zeigte sich Apfel sehr zuversichtlich, denn die Zusammenarbeit der Stadtverordneten laufe auf hohem Niveau und überparteilich. Im Grunde war damit das meiste gesagt, weshalb Rolf Tiemann (FWG) nur noch einmal betonte, dass sich alle auf eine höhere Grundsteuer einstellen müssen. Einen Kämmerer brauche die Stadt nicht unbedingt. Es seien viele fähige Leute im Bereich Finanzen tätig, noch ein politischer Beamter führe zu höheren Ausgaben.

„Bürgermeisterin gibt bemitleidenswertes Bild ab“

Rolf Kahnt (VuA) lobte die Substanz der vorangegangenen Reden, und holte noch einmal gegen die Bürgermeisterin aus: Diese habe bisher ein bemitleidendes Bild abgegeben und scheue sich, einen harten Sparkurs durchzusetzen. Sie verkenne, dass Vereine zum Beispiel durchaus bereit seien, auf städtische Unterstützung zu verzichten, um so ihren Beitrag zu leisten.

Allem Gegenwind zum Trotz: Bürgermeisterin Klein sprach den Fraktionen ihren Dank aus. Sie sicherte zu, die geforderten Vorschläge bei den Haushaltsberatungen 2025 vorzulegen. In diesem Jahr sei es schwer gewesen, noch Potenziale auszumachen. Schon für den Haushalt 2024 habe man Vorschläge gemacht, vor allem zu Einsparungen im freiwilligen Bereich. Viele Posten seien dennoch wieder im Haushalt gelandet, per Beschluss der Stadtverordneten. Außer Frage steht für die Rathauschefin, dass die Verwaltung resilienter werden muss, die Einsparpotenziale seien nicht von heute auf morgen darstellbar. „In Bensheim wurden über Jahrzehnte Standards geschaffen, die wir hinterfragen müssen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass im Sinne von niemandem ist, alle freiwilligen Leistungen zu kappen.“

„Uns droht die Zahlungsunfähigkeit“

Bezüglich des vorgeschlagenen Grundsteuerhebesatzes von 1740 Punkte gebe es Vorgaben der Aufsichtsbehörden, die die Stadt hierzu zwingen. Ohne den Hebesatz sei der Haushaltsausgleich nicht darstellbar. „Weder der Nachtragshaushalt 2024 noch der Haushalt 2025 ist mit dem Hebesatz von 617 Punkten genehmigungsfähig. Und bisher ist nicht absehbar, dass wir hier ein Einvernehmen herstellen können.“ Bis der Nachtragshaushalt beziehungsweise der neue Haushalt 2025 in Kraft trete, sei es gut möglich, dass die Stadt einen Liquiditätskredit aufnehmen müsse.

„Diesen Kredit setzen wir allerdings erst im Nachtragshaushalt fest.“ Im vorangegangenen Zahlenwerk für 2024 ist die Aufnahme von Krediten nicht vorgesehen. „Wird dem Nachtrag nicht zugestimmt, greift also wieder die ursprüngliche Satzung. Dann können wir keinen Kredit aufnehmen und werden zahlungsunfähig“, mahnte Klein an.

In dieser Ansprache sieht Tobias Heinz ein großes Problem: „Alles, was wir bekommen, sind Mahnungen und Warnungen. Sie können nicht behaupten, die Grundsteuer nicht erhöhen zu wollen und das im gleichen Zug als alternativlose Maßnahme darstellen.“ Die Stadtverordneten blieben bei ihrer Meinung: Erst, wenn genug Maßnahmen zu Einsparungen getroffen worden sind, kann ein gerechterer Grundsteuerhebesatz beschlossen werden. Hierfür schrecken sie vor der Konfrontation mit den Aufsichtsbehörden nicht zurück.

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