Kolumne #mahlzeit

Sagt nicht Populist! Das ist verharmlosend!

Der inflationär benutzte Sammelbegriff Populismus sei doch verharmlosend, verberge sich dahinter doch weit Schlimmeres: Hass. Diskriminierung. Hetze. Darüber denkt die Tischgesellschaft um Kolumnist Stefan M. Dettlinger nach

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
© kako

Ja, ich weiß, manche werden jetzt rufen: Nicht schon wieder was über Populisten. Aber dass die AfD im Bund bei 20 Prozent steht und bei einer Bundestagswahl hinter der Merz-Söder-Front Vize-Meister werden könnte, sollte uns zu denken geben und dürfte so manch europäischen Populisten mächtig freuen. Marine Le Pen, Viktor Orbàn, Geert Wilders und Giorgia Meloni (bestimmt habe ich Wichtige vergessen) haben sich schon zum kollektiven Wellness-Urlaub verabredet und träumen vom nächtlichen Nacktbaden in einem mit bunt blubberndem Dopamin-Endorphin-Gebräu gefüllten Whirlpool, wo sie dann das Sam-Cooke-Lied „A Change Is Gonna Come“ trällern (ohne zu wissen, worum es geht).

Alya und Caro malen sich das zumindest so aus. Ich finde das mäßig lustig. Sie schaukeln sich gegenseitig hoch in ihrer panischen Angst vor diesen Menschen, die nach Menschen fischen und als Populisten diabolisiert werden.

Natürlich sieht Bela das ein bisschen entspannter. Er sagt, Schuld am Siegeszug dieser Populisten sei doch die linksliberale Öko-Elite mit ihren Einkommen weit über dem Durchschnitt von 4105 Euro. Sie, die keine Ahnung habe von den Nöten des Volkes, mache mit ihren Dogmen zu Gendern, politischer Korrektheit, Kontaktschuld, Klimawandel, Cancel Culture und Deplatforming doch allen Diskurs unmöglich. Damit erzürne sie die wahren Meinungsmehrheiten und treibe sie zu den Populisten, die fast die Einzigen seien, die sagten, was sie dächten, und nicht, was sie sagen dürften.

„Es darf doch jeder sagen, was er denkt“, so Caro. „Ja, es kann nur sein“, meint Bela, „dass du deinen Job verlierst, per Shitstorm in den Suizid getrieben wirst oder, falls du zufällig Schauspielerin bist, aus einem längst abgedrehten Film rausgeschnitten wirst und überhaupt erledigt bist, weil du für das ökonomische Kalkül der Produktionsfirma ein Risiko darstellst.“

Ob nicht alle Politiker irgendwie Populisten seien, frage ich, denn die meisten sagten und täten ja Dinge, von denen sie glaubten, dass sie von bestimmten Leuten gern gehört würden. Sei die inflationäre Benutzung und Beliebigkeit des Populismusbegriffs nicht sogar ein akademischer Lapsus, klänge doch „populistisch“ harmlos für das, was sich oft dahinter verberge: Hass. Diskriminierung. Hetze. Ich sähe in Alexander Gauland keinen Populisten, sondern einen Hassprediger, der sage, der Nationalsozialismus sei „ein Vogelschiss der Geschichte“. Ich sähe in Alice Weidel keine Populistin, sondern eine Hasspredigerin, die sage „Schützt endlich die Bürger unseres Landes – statt der grenzenlosen Willkommenskultur!“ Ich sähe … noch ein Beispiel fällt mir gerade nicht ein.

Alya und Caro sehen sich an. „Hm, du willst jetzt aber nicht sagen, dass Annalena genau so Populistin ist wie Alice?“ Grrr …: „Natürlich nicht. Alice ist meines Erachtens keine Populistin, sondern eine Radikale, und Annalena nutzt ihre Position, um eine kulturhegemoniale Rolle zu bewahren und ein grünes Narrativ zu verbreiten. Damit erreicht sie derzeit vielleicht 15 Prozent der Wähler, Weidel 20. Das kann man schlecht finden. Aber so ist Demokratie.“

Mehr zum Thema

Kolumne #mahlzeit

Staat, halte dich doch von der Religion fern!

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Kolumne #mahlzeit

Bela soll den Lackschuh gegen die Jesussandale getauscht haben?

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren
Kolumne #mahlzeit

Klimakatastrophe: Belas Verwandlung

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mannheimer-morgen.de

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen