Kolumne #mahlzeit

Staat, halte dich doch von der Religion fern!

Frankreich verbietet lange Kleider für Schüler und Schülerinnen. Alya meint, damit rücke der Staat näher zur Diktatur. Übertrieben findet Stefan M. Dettlinger diese Polemik. Aber ganz unrecht hat Alya vielleicht nicht

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Stefan M. Dettlinger
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© kako

Frankreich wird langsam zu einer Diktatur“, sagt Alya und regt sich auf. Sie meint, das neue Verbot von Erziehungsminister Gabriel Attal sei eine echte Zumutung für alle Muslime. „Es ist ein Angriff auf die Religionsfreiheit“, meint Alya, „wie es auch schon das Kopftuchverbot war und überhaupt, dass Schüler und Schülerinnen keine religiösen Symbole in der Schule tragen dürfen.“

„Was für ein Verbot?“, fragt Bela. Er ist mal wieder nicht informiert. Alya schnaubt. Sie erklärt, dass Attal es nun verboten habe, dass Schüler in der Schule lange Kleider tragen: „Keine Abaya für Frauen, keine Qami bei Männern. Punkt.“ Bela: „Hast du in der Schule schon Männer in langen Kleidern rumschlappen sehen?“ Das sei nicht die Frage und er, Bela, ein ignoranter Idiot. Die beiden streiten sich trefflich. Ich tauche in meine Gedankenwelt ab.

Ich habe auch darüber gelesen und muss sagen: Frankreich will da die Stärkung der republikanischen Prinzipien und die Laizität der Republik unterstreichen. Aber repräsentiert eine Schülerin in der Schule den Staat? Ist sie dort nicht als Individuum und sollte die Meinungsfreiheit genießen wie auch die der Religion? Liege ich falsch? Bei der Lehrerschaft ist das anders. Sie ist der Staat. Aber ob ein Schülernder nun Kippa trägt, einen Jesus am Kreuz um den Hals, einen fetten Buddha auf dem Shirt oder eben ein Tuch auf dem Kopf – wen juckt’s! Ich glaube, es juckt mal wieder die Mischpoke von Marine Le Pen und Éric Zemmour, die Rassisten von rechts, die ich islamophob und überhaupt multiphob und multidoof finde. Und Ministerchen fischt da schön im Teich der Volksmeinung und hofft, mit seinem Auftreten der Tendenz entgegenzuwirken, die derzeit der autoritären, vehement antimuslimischen extremen Rechten Wählerstimmen zutreibt.

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„Ist es nicht so?“, höre ich Alya nun schreien, „der Staat, der religiöse Symbole bei Privatpersonen verbietet, verhält sich doch gerade nicht laizistisch. Erst durch Verbote mischt er sich ein!“ Bela ist mundtot. Ich muss sagen: Da ist was dran. Ein souveräner laizistischer Staat, so kann man es sehen, mischt sich erst gar nicht in religiöse Fragen ein, solange sie Privatpersonen betreffen und nicht, wie etwa die Burka oder der Burkini, andere Gesetze wie das Vermummungsverbot verletzen.

Was mich auch irrsinnig an der Diskussion stört, ist, dass es im Grunde immer um die Kleiderordnung von Frauen geht. Die Männer spazieren durch die Welt, wie sie wollen. Viele von den Typen, die neben ihren verschleierten Abaya-Frauen und deren Kinderwagen rumlaufen, sehen aus wie millionenschwere Gangsta-Rapper. Er darf alles. Sie muss alles. Gott schuf den Mann nun mal als erstes. Pech für sie. Okay, ich will nicht verallgemeinern.

Und bei uns? Da sollten sie endlich den konfessionellen Reli-Unterricht in staatlichen Schulen durch Ethik ersetzen, denn: Wo beide Institutionen nicht voneinander getrennt sind, spricht man von Staatskirche, Staatsreligion oder Theokratie. „Du Kratzbürste“, höre ich Bela sagen. Alya bleibt da nur noch ein „Sch …“. Schade, dass Caro nicht da ist. Es wäre ein Fest geworden.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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