Der Regierungsbunker - alles geheim in der „Dienststelle Marienthal“

„Dienststelle Marienthal“ war der Tarnname: Unter Weinbergen im Ahrtal befand sich der Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes, auch Regierungsbunker genannt. Er war lange das geheimste und teuerste Bauvorhaben der Bundesrepublik

Von 
Peter W. Ragge
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Hermetisch verschlossen: das „Eingangssperrbauwerk“ der „Dienststelle Mariental“. © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Sascha Kelschenbach und Kajo Meyer

Es ist kalt hier unten, so etwa 85 bis 112 Meter unter dem Ahrgebirge. Alles wirkt beklemmend, auch ein bisschen skurril. Und gedanklich weit weg, ganz weit weg. Dabei ist der Kalte Krieg noch gar nicht so lange her und heute auch gar nicht so fern. Schon gar nicht hier im AdVB, wie die Kurzform für Eingeweihte hieß, im „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung von deren Funktionstüchtigkeit“. Nur ein kleiner Teil des einst gigantischen Bauwerks durfte als Dokumentationsstätte erhalten bleiben – als ein ganz besonderen Stück Geschichte.

Die runden, mit Beton ausgegossenen Metalltore haben einen Durchmesser von 3,60 Metern und ein Gewicht von 25 Tonnen, aber blitzschnell sind sie dennoch. „Zehn Sekunden“, sagt Manfred Linden, einer der Aktiven vom Heimatverein „Alt-Ahrweiler“, die durch den Bunker führen. In zehn Sekunden wären die acht Rolltore vom Eingangsbauwerk zugefahren, um Druckwellen, Hitze und Strahlung eines Atombombenangriffs abzuhalten.

Es ist eine politisch heikle Zeit, in der die Entscheidung für den Bau fällt. USA und Sowjetunion sowie die beiden Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt stehen sich unversöhnlich gegenüber, man fürchtet einen Atomkrieg. Schon 1950 gibt es erste Überlegungen, von wo in einem solchen Fall die Deutschen regiert werden sollen. Spätestens mit dem NATO-Beitritt Deutschlands und der Gründung der Bundeswehr 1955 wird klar, dass die Bundesregierung einen, wie es heißt, „befestigten Befehlsstand“ braucht. Die NATO fordert gar von jedem Mitgliedsland, eine atombombensichere Kommandozentrale einzurichten.

Die Kommandozentrale in der „Dienststelle Mariental“, dem Regierungsbunker. © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Sascha Kelschenbach und Kajo Meyer

Dekontaminationsschleusen: Duschen mit Säurezusätzen unter Beobachtung

Während andere Staaten aber in erster Linie an ihre Regierungen denken, will die junge deutsche Demokratie alle Verfassungsorgane gemeinsam unterbringen: Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht und zumindest das „Notparlament“, also den Gemeinsamen Ausschuss aus Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat nach Artikel 53a Grundgesetz. Man braucht also viel Platz, und das schnell erreichbar vom Regierungssitz, der damals in Bonn ist. Da bieten sich Berge im Ahrtal an.

Schon 1958 beginnen die Planungen und erste Untersuchungen, 1962 ist Baubeginn – aber man muss nicht bei Null beginnen. Zwei Reichsbahntunnel, der Kuxberg- und der Trotzenbergtunnel, mit einem Durchmesser von jeweils sieben bis acht Metern sind schon seit 45 Jahren da. Weil nach dem Ersten Weltkrieg und der Besetzung des Ruhrgebiets die Pläne für die Bahnstrecke nicht weiterverfolgt werden, hat nie ein Zug diese Tunnel passiert.

Regierungsbunker: Tipps für Besucher

  • Anschrift: Dokumentationsstätte Regierungsbunker, Am Silberberg 0, 53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler
  • Öffnungszeiten: Führungen für Einzelbesucher finden im November und März samstags und sonntags um 11 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr statt, im Dezember, Januar und Februar um 12 Uhr und 14 Uhr, im April 11, 13, 15 Uhr bis zum 12. April, dann ist Saisonstart und Führungen für Einzelbesucher finden mittwochs, samstags und sonntags sowie an Feiertagen von 10 bis 16.30 Uhr je nach dem Besucheraufkommen und nicht zu festen Zeiten statt. Gruppenbesuche ganzjährig mit Voranmeldung über den Ahrtal-Tourismus.
  • Eintrittspreise: Einzelbesucher (incl. Führung) 15 Euro Erwachsene, 12 Euro ermäßigt (Rentner, Schwerbehinderte), 10 Euro ermäßigt (für Schüler, Studenten), 8 Euro Kinder (13-16 Jahre), 6 Euro (ab 8 Jahren).
  • Anreise: Straße „Am Silberberg“ bis zu den Parkplätzen immer geradeaus folgen. Bei Anreise mit der Bahn sind die nächstgelegenen Haltestellen „Ahrweiler Markt oder „Walporzheim“. Von dort aus beträgt der Fußweg je ca. 1,5 km bis zur Dokumentationsstätte. pwr

 

Stattdessen werden in der Zeit der Nationalsozialisten hier Champignons gezüchtet, um französische Importe zu verringern. Dann beschlagnahmt die Wehrmacht die Tunnel für die Rüstungsindustrie, die dort KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter beschäftigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründet das Technische Hilfswerk (THW) in der Nähe eine Ausbildungsstätte und nutzt Teile des Tunnels für Übungen. „THW-Anlagen Marienthal“ lautet daher ein weiterer Tarnname des geheimen Bauprojekts.

Mit dessen Beginn verschwinden Hinweise auf die Tunnel aus Landkarten. Baufirmen müssen Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnen, über Gerüste werden Tarnnetze gehängt, die Baustelle mit Wachpersonal und meterhohen Schilfzäunen abgeschirmt. Die Illustrierte „Quick“ verrät dennoch in der Ausgabe 2/62 „Hier baut Bonn seinen Befehlsbunker“. Details bleiben der Öffentlichkeit aber noch viele Jahrzehnte verborgen.

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Tief im Berg entsteht quasi eine Kleinstadt mit einem verschachtelten, insgesamt 17,3 Kilometer langen Tunnelsystem. Verschachtelt deshalb, weil sich die 83 000 Quadratmeter – etwa 17 Fußballfelder – Nutzfläche auf fünf autarke, strikt voneinander abtrennbare Bauteile erstrecken. „Jedes Bauteil war autark, wenn also eines ausgefallen wäre, hätte man in den anderen weiterarbeiten können“, so Manfred Linden über die hermetisch abgeriegelten Abschnitte.

An den Eingängen sind Dekontaminationsschleusen. Wären also Mitarbeiter im Verteidigungsfall auf dem Weg in den Bunker mit Schadstoffen in Berührung gekommen, hätte man ihre Kleidung verbrannt und sie hier „gereinigt“: Das bedeutet Duschen mit verdünnten Säurezusätzen, wobei das verseuchte Wasser getrennt gesammelt wird. Die Duschräume haben Beobachtungsfenster zur Kontrolle, damit die Reinigung auch gründlich genug erfolgt, ausgerüstet mit Gegensprechanlage und Scheibenwischer wegen des Wasserdampfs. „Man hat an sehr viel gedacht“, sagt Linden.

Auch im Regierungsbunker vorhanden: eine Zahnklinik. © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Sascha Kelschenbach und Kajo Meyer

Wasser ist aus acht bunkereigenen Brunnen und fünf Zisternen gepumpt, mit einem eigenen Labor geprüft worden. 150 Liter Wasser pro Tag und Person – diese Kalkulation hat man zugrundegelegt. Drei Dieselaggregate pro Bauteil hätten im Ernstfall Strom geliefert. Drei Außentanklager und fünf Innentanks mit zusammen 2,8 Millionen Litern den Diesel. Jedes Bauteil hat eine eigene Kommandozentrale, von der aus alle technischen Funktionen überwacht werden können, und eine eigene Großküche. Fernschreiber, Telefone mit Wählscheiben, Schreibmaschinen, eine Rohrpost, aber auch der Operationstisch und der Zahnarztstuhl der Bunkerklinik – ein Rundgang durch den Untergrund ist auch ein Rundgang durch die Technikgeschichte.

Nur der Bundespräsident hat Polstermöbel im Regierungsbunker

897 Büro- und Konferenzräume sowie 936 Schlafräume enthält der Ausweichsitz für Politiker, hohe Beamte und ihre Mitarbeiter. Alle müssen in Mehrbettzimmern mit Doppelstock-Feldbetten und braunen Decken mit der Aufschrift „Bundeseigentum“ schlafen. Nur der Bundeskanzler (eigene Dusche und WC) sowie der Bundespräsident (Badewanne/WC) haben etwas Komfort, der Bundespräsident sogar ein Besprechungszimmer mit gepolsterter Sitzgarnitur – weil Walter Scheel und seine Frau Mildred das von seinem Amtsvorgänger Gustav Heinemann angeschaffte knallrote Polstermöbel nicht mag und sein Amt es dem Bunker zur Verfügung stellt.

Die Sitzgruppe des Bundespräsidenten im Regierungsbunker. © Dokumentationsstätte Regierungsbunker Sascha Kelschenbach und Kajo Meyer

Sogar einen Friseursalon und ein Fernsehstudio gibt es. Von hier hätten Bundespräsident und Bundeskanzler das Volk informiert, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist, an ihren Durchhalte- und Kampfeswillen appelliert. „Heute früh haben Einheiten der sowjetzonalen Volksarmee die Demarkationslinie überschritten und erste Kampfhandlungen ausgelöst. Das ist ein Bruch des Völkerrechts. Die Aggression richtet sich nicht nur gegen uns, sondern gegen alle mit dem deutschen Volk verbündeten Mächte der Welt“, heißt es in einem von 1966 erhaltenen Redeentwurf: „In dieser schweren Stunde stehen wir alle zusammen. Die Kraft, dem Unrecht und der Gewalt zu widerstehen, erwächst aus unserer Gewissheit, den Frieden leidenschaftlich gewollt und den Ausgleich gesucht zu haben“.

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„Der Gewalt zu widerstehen“ – aber wie lange? Im Bunker ist alles auf eine Durchhaltefähigkeit von 30 Tagen ausgelegt. Das gilt für Lebensmittel- und Treibstoffvorräte ebenso wie für die Basalt-Sandluftfilter, über die womöglich verseuchte Luft von Außen geleitet, so gekühlt und dann noch in Aktivkohlefiltern gereinigt wird. „Man ging davon aus, dass die ersten sieben Tage nach einem Angriff entscheidend sind“, ruft Manfred Linden die Zeit des Kalten Krieges in Erinnerung.

Damals nimmt man an, dass sowjetische Panzertruppen über die Fuldaer Senke des osthessischen Berglandes (im NATO-Deutsch „Fulda Gap“) auf Frankfurt vorrücken wollen – was sich nach der Deutschen Einheit bei der Sichtung von Stasi-Unterlagen bestätigt. Die Hoffnung der NATO ist, die Angreifer hier, womöglich mit Hilfe taktischer Atomwaffen, stoppen zu können. „Binnen 30 Tage wäre das entschieden gewesen oder alle strategisch wichtigen Ziele zerstört“, so Linden. Daher die Planung für 30 Tage für eine komplette Besatzung von 3000 Personen. Die Zeit danach: unklar. „Aber man wollte von diesem Bunker aus nicht Krieg führen, sondern ihn verhindern“, betont Linden. „Allein die Tatsache, dass man einen Angriff beantworten konnte, sollte ihn verhindern“, beschreibt er die Doktrin der Abschreckung. Und dafür soll der Bunker eben die Handlungsfähigkeit der Verfassungsorgane sichern.

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Dafür ist der Ausweichsitz dauernd besetzt. „Rund 150 Leute haben hier ständig im Schichtdienst gearbeitet, täglich alles ausprobiert und am Laufen gehalten“, weiß Linden. Nicht nur die schweren Rolltore, aber auch die – einschließlich der Notentriegelung ohne Strom. „Dazu mussten zwei Mann mindestens 45 Minuten von Hand kurbeln“, sagt er. Die gesamte Technik, der gesamte Ablauf habe „permanent trainiert werden“ müssen und Notfälle simuliert, wozu es außer der Sanitätsstation eine eigene Rettungseinheit – ausgerüstet wie eine Grubenwehr zur Rettung Verschütteter – und eine Werkfeuerwehr gibt, jeweils mit Elektro- und Handkarren. Und alle Mitarbeiter haben für die langen unterirdischen Wege Diensträder.

Alle zwei Jahre wird der Weltkrieg geübt - mit dem „Bundeskanzler übungshalber“

Alle zwei Jahre wird es richtig voll im Bunker. 1966 findet erstmals eine Großübung statt, ab 1968 während der NATO-Übungen WINTEX (WINTer EXercise). „Da haben die den kompletten Dritten Weltkrieg durchgespielt“, erzählt Linden, „alle möglichen Szenarien“. Spitzenpolitiker sind da nur selten dabei, lediglich von Bundeskanzler Ludwig Erhard (1963 bis 1966 Kanzler) ist überliefert, dass er mal in den Bunker kommt. Sonst spielen hohe Beamte den „Bundeskanzler übungshalber“, kurz „BK-Üb“, zuletzt etwa Waldemar Schreckenberger, unter Helmut Kohl Chef des Bundeskanzleramtes. Er soll 1989 die letzte Übung abgebrochen haben, als die NATO-Verbündeten den Einsatz von Atomwaffen durchspielen wollen.

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Auch Militärpfarrer seien im Bunker immer dabei gewesen, erzählt Manfred Linden. „Zur seelischen Betreuung, denn es hat immer Leute gegeben, die diese Situation nicht ausgehalten haben“ – sprich in der immer etwas engen, bedrückend wirkenden Atmosphäre einen Bunkerkoller erleiden. Es gibt nur zwei (!) Telefonzellen für Privatgespräche, um Kontakt zu Angehörigen zu halten. Für die ist der Bunker tabu.

1997 beschließt die Bundesregierung, den AdVB aufzugeben – man geht davon aus, dass es friedlich bleibt in Europa. Bis 1989 dahin fallen 40,8 Millionen D-Mark jährlich an Betriebskosten an. Einschließlich der – auf verschiedenen Positionen im Bundeshaushalt versteckten – Baukosten beziffert Linden die Gesamtkosten mit 4,72 Milliarden D-Mark. „Aber das Gleichgewicht der Abschreckung hat uns lange den Frieden erhalten“, meint Linden, „das sollte uns das Geld wert sein“.

2001 beginnt die Bundesregierung, den Bunker abzureißen. 16,4 Millionen Euro werden dafür veranschlagt. Doch im Ahrtal regt sich Protest. Auch wenn lange alles geheim ist – die Nachbarn haben natürlich gewusst, was sich im Berg abspielt. Nach langer politischer Diskussion und mit beim Rückbau eingespartem Geld ist der Bund bereit, einen kleinen Teil des Bunkers zu erhalten. Für 2,5 Millionen Euro wird 2008 eine Dokumentationsstelle eingerichtet, die 200 Meter tief in den Berg hineinreicht, die wichtigsten Räume wenigstens einmal erhält, dazu ein Eingangsbauwerk mit Vortragssaal. Heute betreibt der Heimatverein „Alt-Ahrweiler“ die Dokumentationsstätte. Manche Regierungsdokumente zum Bunker sind zwar immer noch geheim, die Sperrfrist nicht abgelaufen. Aber die Stasi-Unterlagenbehörde hat liefern können – denn die DDR hatte stets mindestens einen Spion im Berg.

Redaktion Chefreporter

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